5. Februar 2017

Neue Medien im Unterricht

Weil die neuen Medien auch die Schulen erobern, müssen Pädagogen den Umgang mit Smartphone und Tablet lernen. Manche überfordert das.

Nachdem sich die Gruppe gerade noch so schön einig gewesen ist, tobt nun plötzlich ein Glaubenskrieg. Es ist ein sonniger Samstagmorgen im Januar, im Neubau der Pädagogischen Hochschule beim Hauptbahnhof Zürich sitzen sieben Frauen im Halbrund vor der Fensterfront. Die Lehrerinnen besuchen freiwillig eine Weiterbildung und machen sich fit für den Einsatz von Tablets in ihren Schulzimmern.
Hausaufgaben mit Smartphone lösen wird immer verbreiteter. Bild: Goran Basic
Wenn das Tablet beim Purzelbaum hilft, NZZ, 5.2. von Beat Grossrieder

Einig sind sich die Pädagoginnen darin, dass die neuen Medien unabdingbar in den modernen Unterricht gehören, so will es auch der Lehrplan 21. Sie sind ein pädagogisches Muss, weil fast alle Schulkinder sowieso zu ihren eigenen Geräten greifen, kaum haben sie die Finken abgestreift. Doch sollen die digitalen Helfer «ein Werkzeug, kein Spielzeug sein», wie sich der Projektleiter des Angebotes, Thomas Staub, ausdrückt. «Sie sollen den Unterricht ergänzen, nicht dominieren.» So weit, so klar.

Tablets auch in der Turnstunde
Jenseits dieses Konsenses aber gehen die Meinungen auseinander. «Ich werde das Tablet je nach Fach einsetzen», sagt etwa Franziska T. (Name der Redaktion bekannt), die für ein Projekt mit ihren Sechstklässlern demnächst zwei Tablets erhält und sich nun das nötige Rüstzeug holt.

Obwohl sie zur Generation 50 plus gehört, betont sie, dass sie gern mit «so Geräten» arbeite und auch privat «à jour» sein wolle. Sie stelle sich vor, mit der Klasse viele tolle Sachen zu machen; «Vorträge mit selbstgefilmten Videos, Fotoromane, Hörspiele, schöne Präsentationen». Aber: «Im Turnen zum Beispiel würde ich das Tablet nicht einsetzen.»
Kursdozentin Stefanie Schild plädiert für einen fächerübergreifenden Einsatz und gibt zu bedenken: «Auch im Turnen kann ein Tablet nützlich sein. Gelingt einem Kind partout kein schöner Purzelbaum, filmt es die Lehrperson und zeigt ihm auf dem Gerät, an welcher Stelle es jeweils den Fehler macht.» Franziska T. seufzt, während die Runde aufzählt, wo Tablets überall den Unterricht bereichern würden, von der Musikstunde übers Werken bis zum Zeichnen.

Tablets und neue Medien ja, aber wie genau – diese Frage beschäftigt die Lehrerschaft derzeit stark. Die Lehrmittelindustrie bringt ständig neue Gadgets und Tools auf den Markt, denn die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen ist enorm. Dies schafft zwar neue Möglichkeiten, aber auch Zwänge. So steigt der Druck auf die Schulen, sich mit Geräten auszurüsten und flächendeckend WLAN einzurichten. Bereits gibt es besorgte Eltern, die sich aus gesundheitlichen Gründen gegen eine solche Dauerbestrahlung wehren.

Pro Schüler ein Gerät
Die Kids aber haben keine Angst, im Gegenteil: Je mehr die Digitalisierung in den Peer-Groups voranschreite, sagt Thomas Staub, desto stärker setzten die Kinder auch das Elternhaus unter Druck. Warum darf ich nicht gleich lange gamen oder chatten wie meine Kollegen? Wann bekomme ich das neueste Smartphone?

Und auch die Schulen seien bei der Infrastruktur noch nicht so weit, wie sie sein könnten. «Ein Computerraum im Keller, der oft abgeschlossen ist, reicht nicht mehr, ist aber vielerorts noch die Realität», sagt Staub, der als Sekundarlehrer in Andelfingen unterrichtet und dort für jeden Schüler ein Tablet bereithalten kann. Viele Schulen hätten bloss einzelne Geräte zur Verfügung; der Lehrer müsse sie weit im Voraus reservieren, was spontane Einsätze verhindere. Die Entwicklung gehe aber rasant in Richtung «1 zu 1»: jedem Schüler sein persönliches Gerät.

Doch das kostet Geld, das die Schulen nicht haben. In die Lücke springen Sponsoren. In diesem Fall ist dies Samsung; während die PH die Inhalte entwickelt hat, finanziert der Technologiekonzern Geräte und Infrastruktur. Die Schulung mit dem sinnigen Titel «SAMT – Schulen Arbeiten Mit Tablets» ist für die Teilnehmerinnen gratis. Dafür hängt in der rechten Ecke des Klassenzimmers, dort, wo früher der Herrgottswinkel war und ein Kreuz am Nagel hing, eine chromglänzende Plakette mit der Aufschrift: «E-Techlab der PH Zürich, eingerichtet von Samsung».

Angst vor Machtverlust
Im Kurs erläutert Dozentin Stefanie Schild soeben, wie die Lehrpersonen den Startbildschirm ihrer Geräte personalisieren können. Gingen die Schüler etwa für Videoaufnahmen mit den Tablets nach draussen, sei ein begrenztes Nutzerprofil sehr zu empfehlen. Den Kindern stünden dann nicht hundert Apps zur Verfügung, sondern nur exakt jene, die sie wirklich brauchten. So würden sie nicht abgelenkt und erhielten auch keinen Zugang zu unpassenden Inhalten, wenigstens nicht während der Schulzeit.
Das mag zwar für Eltern tröstlich sein, dennoch zeigen sich manche skeptisch. Vor allem gut ausgebildete Eltern hätten zu Hause nicht einmal einen TV und dosierten die Internetnutzung des Nachwuchses. Nun müssen sie sich daran gewöhnen, dass die Kinder in der Schule oft online sind und ihre Hausaufgaben auch auf dem Tablet erledigen.
Mehr noch als die Eltern müssen sich die Lehrer umstellen. Die technischen Voreinstellungen, die sie auf den Tablets vornehmen, um die Geräte schülergerecht einzusetzen, sind nur das eine. Wesentlicher ist die eigene Einstellung zum veränderten Unterrichten. Die Lehrer seien gefordert, neue Rollenbilder zu erarbeiten, sagt Thomas Staub. Hiess es früher, der Lehrer wisse alles, glauben heute schon Zehnjährige, dass eher Google alles weiss.

Haben Lehrer Tablets und Handys bisher streng reguliert oder ganz aus dem Unterricht verbannt, müssen sie die neuen Geräte nun bewusst einsetzen. Und geraten damit in jenen Bereich, wo ihnen die Digital Natives immer um mehrere Nasenlängen voraus sein werden. Genau davor haben manche Lehrer Angst: dass die neuen Medien ihre angestammte Machtposition infrage stellen. Sie fürchten, sich vor der Klasse zu blamieren, wenn sie nicht so agil über die Bildschirme wischen wie die Youngsters.

Neues Lehrerbild: Lerncoach
Daher ist es wichtig, mit der Anschaffung von Tablets auch eine neue Lernkultur im Klassenzimmer zu verankern. Der Lehrer, der als Autorität sagt, wo es langgeht, wird zunehmend ersetzt durch den Lerncoach, der im Hintergrund wirkt und bei Bedarf weiterhilft. Die Lehrerin Franziska T. sagt, der wichtigste Schritt dazu sei, sich einzugestehen, dass der Wissens- und Erfahrungsvorsprung der Schüler nichts Bedrohliches, sondern im Gegenteil etwas Positives sei.

Könne sich die Lehrerin oder der Lehrer eingestehen, dass die Schüler auf diesem Gebiet besser Bescheid wüssten als sie selbst, wirke dies entlastend. «Die Schüler sind dann unglaublich stolz, wenn sie es einmal sind, die der Lehrerin etwas zeigen können statt umgekehrt.» Sobald die Lehrperson diesen Rollentausch akzeptiere, falle die Last von ihr ab, immer alles besser wissen zu müssen.


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