Weil die neuen Medien auch die Schulen erobern, müssen Pädagogen den Umgang mit Smartphone und Tablet lernen. Manche überfordert das.
Nachdem sich die Gruppe gerade noch so schön einig gewesen ist, tobt nun
plötzlich ein Glaubenskrieg. Es ist ein sonniger Samstagmorgen im Januar, im
Neubau der Pädagogischen Hochschule beim Hauptbahnhof Zürich sitzen sieben
Frauen im Halbrund vor der Fensterfront. Die Lehrerinnen besuchen freiwillig
eine Weiterbildung und machen sich fit für den Einsatz von Tablets in ihren Schulzimmern.
Hausaufgaben mit Smartphone lösen wird immer verbreiteter. Bild: Goran Basic
Wenn das Tablet beim Purzelbaum hilft, NZZ, 5.2. von Beat Grossrieder
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Einig sind sich die Pädagoginnen darin, dass die neuen Medien
unabdingbar in den modernen Unterricht gehören, so will es auch der Lehrplan
21. Sie sind ein pädagogisches Muss, weil fast alle Schulkinder sowieso zu
ihren eigenen Geräten greifen, kaum haben sie die Finken abgestreift. Doch
sollen die digitalen Helfer «ein Werkzeug, kein Spielzeug sein», wie sich der Projektleiter
des Angebotes, Thomas Staub, ausdrückt. «Sie sollen den
Unterricht ergänzen, nicht dominieren.» So weit, so klar.
Tablets auch in der Turnstunde
Jenseits dieses Konsenses aber gehen die Meinungen auseinander. «Ich
werde das Tablet je nach Fach einsetzen», sagt etwa Franziska T. (Name der
Redaktion bekannt), die für ein Projekt mit ihren Sechstklässlern demnächst
zwei Tablets erhält und sich nun das nötige Rüstzeug holt.
Obwohl sie zur Generation 50 plus gehört, betont sie, dass sie gern mit
«so Geräten» arbeite und auch privat «à jour» sein wolle. Sie stelle sich vor,
mit der Klasse viele tolle Sachen zu machen; «Vorträge mit selbstgefilmten
Videos, Fotoromane, Hörspiele, schöne Präsentationen». Aber: «Im Turnen zum
Beispiel würde ich das Tablet nicht einsetzen.»
Kursdozentin Stefanie Schild plädiert für
einen fächerübergreifenden Einsatz und gibt zu bedenken: «Auch im Turnen kann
ein Tablet nützlich sein. Gelingt einem Kind partout kein schöner Purzelbaum,
filmt es die Lehrperson und zeigt ihm auf dem Gerät, an welcher Stelle es
jeweils den Fehler macht.» Franziska T. seufzt, während die Runde aufzählt, wo
Tablets überall den Unterricht bereichern würden, von der Musikstunde übers
Werken bis zum Zeichnen.
Tablets und neue Medien ja, aber wie genau – diese Frage beschäftigt die
Lehrerschaft derzeit stark. Die Lehrmittelindustrie bringt ständig
neue Gadgets und Tools auf den Markt, denn die Mediennutzung von Kindern und
Jugendlichen ist enorm. Dies schafft zwar neue Möglichkeiten, aber auch Zwänge.
So steigt der Druck auf die Schulen, sich mit Geräten auszurüsten und
flächendeckend WLAN einzurichten. Bereits gibt es besorgte
Eltern, die sich aus gesundheitlichen Gründen gegen eine solche
Dauerbestrahlung wehren.
Pro Schüler ein Gerät
Die Kids aber haben keine Angst, im Gegenteil: Je mehr die
Digitalisierung in den Peer-Groups voranschreite, sagt Thomas Staub, desto
stärker setzten die Kinder auch das Elternhaus unter Druck. Warum darf ich
nicht gleich lange gamen oder chatten wie meine Kollegen? Wann bekomme ich das
neueste Smartphone?
Und auch die Schulen seien bei der Infrastruktur noch nicht so weit, wie
sie sein könnten. «Ein Computerraum im Keller, der oft abgeschlossen ist,
reicht nicht mehr, ist aber vielerorts noch die Realität», sagt Staub, der als
Sekundarlehrer in Andelfingen unterrichtet und dort für jeden Schüler ein
Tablet bereithalten kann. Viele Schulen hätten bloss einzelne Geräte zur
Verfügung; der Lehrer müsse sie weit im Voraus reservieren, was spontane
Einsätze verhindere. Die Entwicklung gehe aber rasant in Richtung «1 zu 1»:
jedem Schüler sein persönliches Gerät.
Doch das kostet Geld, das die Schulen nicht haben. In die Lücke springen
Sponsoren. In diesem Fall ist dies Samsung; während die PH die Inhalte
entwickelt hat, finanziert der Technologiekonzern Geräte und Infrastruktur. Die
Schulung mit dem sinnigen Titel «SAMT – Schulen Arbeiten Mit Tablets» ist
für die Teilnehmerinnen gratis. Dafür hängt in der rechten Ecke des
Klassenzimmers, dort, wo früher der Herrgottswinkel war und ein Kreuz am Nagel
hing, eine chromglänzende Plakette mit der Aufschrift: «E-Techlab der PH
Zürich, eingerichtet von Samsung».
Angst vor Machtverlust
Im Kurs erläutert Dozentin Stefanie Schild soeben, wie die Lehrpersonen
den Startbildschirm ihrer Geräte personalisieren können. Gingen die Schüler
etwa für Videoaufnahmen mit den Tablets nach draussen, sei ein begrenztes
Nutzerprofil sehr zu empfehlen. Den Kindern stünden dann nicht hundert Apps zur
Verfügung, sondern nur exakt jene, die sie wirklich brauchten. So würden sie
nicht abgelenkt und erhielten auch keinen Zugang zu unpassenden Inhalten,
wenigstens nicht während der Schulzeit.
Das mag zwar für Eltern tröstlich sein, dennoch zeigen sich manche
skeptisch. Vor allem gut ausgebildete Eltern hätten zu Hause nicht einmal einen
TV und dosierten die Internetnutzung des Nachwuchses. Nun müssen sie sich daran
gewöhnen, dass die Kinder in der Schule oft online sind und ihre Hausaufgaben
auch auf dem Tablet erledigen.
Mehr noch als die Eltern müssen sich die Lehrer umstellen. Die
technischen Voreinstellungen, die sie auf den Tablets vornehmen, um die Geräte
schülergerecht einzusetzen, sind nur das eine. Wesentlicher ist die eigene
Einstellung zum veränderten Unterrichten. Die Lehrer seien gefordert, neue
Rollenbilder zu erarbeiten, sagt Thomas Staub. Hiess es früher, der Lehrer
wisse alles, glauben heute schon Zehnjährige, dass eher Google alles weiss.
Haben Lehrer Tablets und Handys bisher streng reguliert oder ganz aus
dem Unterricht verbannt, müssen sie die neuen Geräte nun bewusst einsetzen. Und
geraten damit in jenen Bereich, wo ihnen die Digital Natives immer um mehrere
Nasenlängen voraus sein werden. Genau davor haben manche Lehrer Angst: dass die
neuen Medien ihre angestammte Machtposition infrage stellen. Sie fürchten, sich
vor der Klasse zu blamieren, wenn sie nicht so agil über die Bildschirme
wischen wie die Youngsters.
Neues Lehrerbild: Lerncoach
Daher ist es wichtig, mit der Anschaffung von Tablets auch eine neue
Lernkultur im Klassenzimmer zu verankern. Der Lehrer, der als Autorität sagt,
wo es langgeht, wird zunehmend ersetzt durch den Lerncoach, der im Hintergrund
wirkt und bei Bedarf weiterhilft. Die Lehrerin Franziska T. sagt, der
wichtigste Schritt dazu sei, sich einzugestehen, dass der Wissens- und
Erfahrungsvorsprung der Schüler nichts Bedrohliches, sondern im Gegenteil etwas
Positives sei.
Könne sich die Lehrerin oder der Lehrer eingestehen, dass die Schüler
auf diesem Gebiet besser Bescheid wüssten als sie selbst, wirke dies
entlastend. «Die Schüler sind dann unglaublich stolz, wenn sie es einmal sind,
die der Lehrerin etwas zeigen können statt umgekehrt.» Sobald die Lehrperson
diesen Rollentausch akzeptiere, falle die Last von ihr ab, immer alles besser
wissen zu müssen.
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