Schulische
Lehrmethoden sind so vergänglich und wiederkehrend wie die Jahreszeiten. In den
Achtzigern herrschte das Sprachlabor, im Wesentlichen gesteuerter
Einzelunterricht an überdimensionierten Tonbandgeräten. In den Neunzigern kam
der Werkstattunterricht, eine Art Postenlauf im Schulzimmer, bei dem die
Lernenden selbstständig Aufträge bearbeiteten. Wenig später hatte unser
Nachwuchs die individuelle Selbstständigkeit wieder verloren, denn nun konnte
er im Rahmen kooperativer Lernformen nur noch miteinander lernen.
Heute
ist die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler nicht nur zurückgekehrt,
sie hat sich sogar potenziert. Selbstorganisiertes Lernen nennt sich dieses
flüchtige Mysterium.
Bei
diesem Konzept entdecken und erarbeiten sich die Lernenden beispielsweise im
Fremdsprachenunterricht Vokabular und Grammatik selbstständig anhand von auch
für Lehrpersonen anspruchsvollen, dem jeweiligen Sprachniveau nicht angepassten
Texten. Passepartout, so das schön klingende Beispiel für selbstorganisiertes
Lernen, bietet folglich weder nennenswerte Erklärungen zur Grammatik oder
entsprechende Übungen, noch wird systematisch Wortschatz aufgebaut. Im Sinne
der Lernautonomie gilt bei Passepartout: Beobachten, selbstständig analysieren,
selber herausfinden und die gewonnenen Erkenntnisse in der Klasse diskutieren
und festhalten.
Selbstorganisiertes Lernen mit einem offenkundig untauglichen Konzept, Basler Zeitung, 5.10. von Felix Hoffmann
Was
bleibt, sind schwierige Texte
Das
Kernelement dieses Konzepts lautet «Sprachbad». Damit gemeint ist das einer
Fremdsprache dauernde Ausgesetztsein, beispielsweise im fremdsprachigen Ausland.
Verbringt man dort genug Zeit, lernt sich die entsprechende Fremdsprache unter
anderem mittels Zeitungen, Fernsehen, Radio und Gesprächen mit Einheimischen
auch ohne systematische Beschäftigung mit Grammatik und Wortschatz.
Der
Umkehrschluss der Passepartout-Ideologen: Entfallen Grammatik, Wortschatz und
Systematik im Unterricht, lernt sich die Fremdsprache mittels Sprachbad von
selbst. Abgesehen von dieser Unmöglichkeit, lässt sich mit wöchentlich zwei bis
drei Lektionen logischerweise kein Sprachbad realisieren. Folglich fehlen bei
Passepartout die Grammatik, der Wortschatz, die Systematik und das Sprachbad.
Was bleibt, sind die für die Schülerschaft zu schwierigen Texte.
Passepartout
ist ein ideologisches Fehlkonstrukt. Die Frage ist, ob die Befürworter über
genügend Einfluss verfügen, das Scheitern gegenüber der Öffentlichkeit zu
vertuschen, um das Gesicht zu wahren. Ein Versuch in diese Richtung ist das vom
Steuerzahler finanzierte digitale Marketing der Zürcher Nemuk AG. Die Firma
liefert in der Tat ein Topprodukt.
Doch
jedes Marketing muss scheitern, wenn der propagierte Artikel die Macht des
Faktischen ignoriert. Eine weitere Möglichkeit der Manipulation könnten
Evaluationen bieten, indem hauptsächlich die besten Fremdsprachenlernenden oder
gar Muttersprachler getestet würden.
Angesichts
der offenkundigen Untauglichkeit des Passepartout-Konzepts und dessen
Lehrwerken sowie der vernichtenden Rückmeldungen aus der Schüler-, Eltern- und
Lehrerschaft braucht es keine kostspieligen Evaluationen und auch keine halben
Lösungen wie teure Ergänzungsmaterialien für nicht funktionierende Schulbücher.
Denn was nichts ist, lässt sich nicht ergänzen.
Ideologisches
Fehlkonstrukt
Beide
Schritte verursachen unnötige Mehrkosten. Die einzige Lösung ist die Lehrmittelfreiheit
auf der Sekundarstufe I, wie sie bereits auf der Sekundarstufe II besteht.
Niemand kann nämlich besser beurteilen, was in ihrem Fremdsprachenunterricht
funktioniert, als die Lehrpersonen, die täglich im Klassenzimmer stehen und
dadurch über einen unvergleichbaren Erfahrungsschatz verfügen.
Viele
ergänzende Unterrichtsmaterialien haben sie sich im Laufe ihrer Lehrtätigkeit
auf eigene Kosten zugelegt. Ansonsten hat der freie Markt längst entschieden,
welches die besten und damit am weitesten verbreiteten Schulbücher für
Fremdsprachen sind. Diese gibt es dank des Wettbewerbs im Gegensatz zu den
teuren und unbrauchbaren Passepartout-Lehrbüchern auch zu vernünftigen Preisen.
Das
eingangs erwähnte selbstorganisierte Lernen bildet die Grundlage der für
Erwachsene angebotenen Fernkurse zur Vorbereitung auf die eidgenössische
Maturität. Gemessen an allen Kandidaten, die beginnen, sich via Fernstudium auf
die Matura vorzubereiten, bewegen sich die erfolgreichen Absolventen im
einstelligen Prozentbereich. Dies nicht etwa, weil die grosse Mehrheit an den Prüfungen
scheitert. Nein! Die allermeisten schaffen es gar nicht erst an die Examen.
Sie
geben vorher auf, da sie nicht genügend selbstdiszipliniert, also
selbstorganisiert lernen können. Selbstorganisiertes Lernen verlangt von
Kindern, Pubertierenden und Jugendlichen, woran die allermeisten Erwachsenen
scheitern.
Felix
Hoffmann ist Sekundarlehrer und wohnt in Himmelried.
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