Schulleiter
haben Mühe, qualifizierte Pädagogen zu finden – das gefährdet die Chancengleichheit
der Kinder.
Wenn es Lehrern an Wissen mangelt, Sonntagszeitung, 12.6. von Fabian Eberhard und Nadja Pastega
Wenn
alles gut geht, steht nach den Sommerferien vor jeder Volksschulklasse eine Lehrperson.
Mit Müh und Not dürften die offenen Stellen gerade noch besetzt werden. Doch
der Preis dafür ist hoch. Eine repräsentative Umfrage bei 1141 Schweizer
Schulleitern zeigt: Wegen der Lehrerknappheit werden bei Neuanstellungen zum
Teil erhebliche Qualitätseinbussen in Kauf genommen. Um die Leerstellen in den
Klassenzimmern zu füllen, greifen die Schulen auch auf Personal zurück, das
nicht die nötige Ausbildung mitbringt.
Erstmals
haben die Verbände der Schulleiter aus der Deutschschweiz (VSLCH), der
Westschweiz und dem Tessin die Stellensituation gesamtschweizerisch untersucht.
Das Resultat ist alarmierend: In der Deutschschweiz gaben nur 17 Prozent der
Schulleiter an, dass sie alle Personallücken mit Lehrkräften besetzen konnten,
die den Anforderungen des Stellenprofils entsprechen – 83 Prozent der
Schulchefs mussten auch unterqualifizierte Pädagogen anheuern. Noch prekärer
ist die Situation in der Romandie und im Tessin, wo nur 9 Prozent der
Schulleiter bei Neuanstellungen ausschliesslich genügend qualifizierte Lehrer
fanden.
«Die
Schulleitungen müssen bei der Besetzung der offenen Stellen oȑ erheblich Kompromisse
eingehen», sagt VSLCH-Präsident Bernard Gertsch. Laut Beat Zemp, Präsident des
Schweizer Lehrerdachverbands (LCH), wird sich das noch verschärfen: «Die
Tendenz, dass Schulleiter anstellen müssen, wen sie gerade bekommen, wird
weiter zunehmen.» Schon heute würden in gewissen Regionen bis zu einem Viertel
fachfremde Lehrer unterrichten.
Der
Lehrermangel zwingt die Schulen, mit Personal zu jonglieren. Vor den Klassen
stehen Lehramtsanwärter, um fehlende Pädagogen zu ersetzen, Primarlehrer helfen
in den Sekundarschulen aus, Französischlehrer unterrichten auf der Oberstufe
zusätzlich Deutsch, auch wenn sie für dieses Fach kein Patent haben. Auch
Zivildienstler und Pensionierte helfen in den Klassen aus, um Schüler mit
Lernschwierigkeiten durch den Stoff zu lotsen.
Auf der
Suche nach genügend Personal werben Schweizer Schulen zudem regelmässig
jenseits der Landesgrenzen und stellen Lehrkräfte aus Deutschland und
Österreich an. Pädagogen also, die keinen Dialekt sprechen und das Schweizer
Schulsystem nur aus der Ferne kennen.
«Die
Schulen versuchen, den Lehrkräftemangel irgendwie auszugleichen», sagt
Schulleiter-Präsident Gertsch, «man sucht nach immer kreativeren Lösungen.»
Schwer zu besetzen sind für das kommende Schuljahr vor allem Vakanzen in
Primarschulen. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Deutschschweizer Schulleiter
gab in der Umfrage an, dass sie Mühe haben, Stellen für Fachlehrer in der 3.
bis 6. Klasse zu besetzen. Genügend Lehrkräfte fehlen insbesondere für die Fächer
Textiles Werken (Handarbeit) und Frühfranzösisch.
Der
Lehrermangel schlägt auch auf die Oberstufe durch. 42 Prozent der
Deutschschweizer Schulleiter finden kaum genügend qualifiziertes Personal für
Fachlehrerstellen. Drei Prozent bezeichnen die Situation sogar als «hoffnungslos».
Wie in
den letzten Jahren fehlen auch Heilpädagogen: Hier melden 84 Prozent der
Befragten Probleme bei der Rekrutierung. Das führt immer wieder dazu, dass
fehlende Heilpädagogen mit Klassenassistenzen ohne pädagogische Ausbildung
ersetzt werden. Einzig beim Turnunterricht ist die Lage rosig: Sportlehrer gibt
es nach wie vor mehr als genug.
Der
Bedarf an Lehrkräften wird weiter steigen
Die
Gründe für den Lehrermangel sind vielfältig. Pensionierungen, Teilzeitboom und
das Fachlehrersystem, das Generalisten durch Spezialisten ersetzte, lassen den
Nachwuchsbedarf in die Höhe schnellen. Gemäss Gertsch verschärfen auch
«Abbaumassnahmen an den Schulen die Lehrerknappheit». Wenn Klassen
zusammengelegt würden und Unterstützungsgebote für Kinder mit Lernschwächen
gestrichen würden, steige die Belastung im Lehrerberuf.
Aber
auch kantonsübergreifende Einflüsse spielen eine Rolle. Die einzelnen Kantone
zahlen unterschiedlich hohe Lehrerlöhne, was zu Abwanderungsbewegungen führt –
zum Beispiel von Bern nach Solothurn und Freiburg. «Das gefährdet die
Chancengleichheit der Kinder», warnt Gertsch. Ein Schüler in einem schlecht
zahlenden Kanton werde nicht gleich motivierte Lehrer haben wie ein Kind, dass
in einem Hochlohnkanton zur Schule geht. Um dem entgegenzuwirken, brauche es
«attraktive Arbeitsbedingungen und eine Harmonisierung der Lehrerlöhne». Das
fordert auch Lehrerpräsident Beat Zemp: «Das Qualitätsgefälle zwischen den
Kantonen unterwandert die Chancengleichheit.»
Eine
Entspannung der Lehrerknappheit ist nicht in Sicht. In den nächsten Jahren
werden viele männliche Pädagogen mit Vollzeitpensen pensioniert, gleichzeitig
steigt der Anteil der Frauen. Viele von ihnen arbeiten teilzeit. Das werde den
Bedarf an Lehrkräften zusätzlich erhöhen, so Gertsch.
Die wahren Ursachen des Lehrermangels werden in den Medien fast immer verschwiegen. Wenn die unsinnigen und teuren Reformen nicht hinterfragt und gestoppt werden, wird sich der Lehrermangel noch verschärfen. Die Junglehrer werfen den Bettel schneller hin, als die erfahrenen Lehrer, von denen immer mehr in Pension gehen. Bereits während der Ausbildung geben bis 20 Prozent der PH-Studenten auf. Viele beklagen die praxisfremden und umstrittenen reformideologischen Ansätze („selbstgesteuertes Lernen“ des Lehrplan 21 usw.) der PH-Ausbildung. Wegen der mangelhaften Vorbereitung und den unerprobten Lehrmethoden und katastrophalen Lehrmitteln (bei Frühfremdsprachen usw.) scheitern viele später an der Realität des Alltags: Im ersten Berufsjahr hört jeder sechste Lehrer auf, nach fünf Jahren arbeitet die Hälfte der Junglehrer nicht mehr im Beruf. Ein Lehrerstudent der Primarstufe studiert kostet den Steuerzahler 36'300 Franken, auf der Sekundarstufe 43'200 pro Jahr. Mit einem Reformstopp könnten diese Gelder sinnvoller eingesetzt werden.
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