5. Februar 2015

Unzufriedene Baselbieter

Baselbieter Lehrer gehören zu den unzufriedensten der Schweiz - dies sagt die LCH Studie über die Berufszufriedenheit. Gründe dafür sind vielseitig. Gerade deshalb rückt die anstehende Wahl eines neuen Bildungsdirektors oder einer neuen Bildungsdirektorin ins Zentrum des Interesses. Ein Gespräch mit Roger von Wartburg, Präsident des LVB.


Roger von Wartburg fordert vom neuen Bildungsdirektor eine Entschleunigung, Bild: Kenneth Nars

"Die Lehrer haben bei der Umsetzung gesehen, dass es da und dort hapert", Aargauer Zeitung, 5.2. von Leif Simonsen und Michael Nittnaus


Roger von Wartburg ist Präsident des Lehrervereins Baselland (LVB) und sieht den Wahlen vom 8. Februar gespannt entgegen. Für ihn ist klar: In der Baselbieter Bildungsdirektion, die am 1. Juli neu besetzt wird, muss sich einiges ändern. Der oberste Baselbieter Lehrer übt Kritik am abtretenden SP-Bildungsdirektor Urs Wüthrich. Bei vielen Entscheiden seien die Lehrer aus den Amtsstuben vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Ob der neue Bildungsdirektor oder die neue Bildungsdirektorin bürgerlich oder sozialdemokratisch ist, sei indes sekundär. Wichtig sei, dass die Bildungspolitik künftig weniger «top-down» erfolge, also weniger von oben nach unten.
Herr von Wartburg, wen sollen die Baselbieter Lehrer am 8. Februar in die Regierung wählen?
Roger von Wartburg: In parteipolitischen Fragen gibt der Lehrerverein explizit keine Wahlempfehlung ab, wir sind als Verband eine neutrale Institution. Wir versuchen, den Kandidaten Aussagen zu entlocken, die wir dann unseren Mitgliedern transparent machen. Diese können sich dann selbst ein Bild machen.
Anders formuliert: Welche Eigenschaften muss der neue Baselbieter Bildungsdirektor mitbringen?
Zunächst muss er Ruhe einkehren lassen, nachdem in den letzten Jahren zu viele Reformen parallel vorangetrieben wurden. Jetzt braucht es eine Phase der Konsolidierung. Die Integrative Schulung oder die Frühfremdsprachen, die Umstellung auf sechs Primarschuljahre und der neue Lehrplan: Das ist alles für sich mit grossem Aufwand für uns Lehrer verbunden.
Mit Verlaub: Das klingt genau wie die FDP-Kandidatin Monica Gschwind, die für einen Marschhalt bei der Einführung des Lehrplans 21 plädiert. Ist dies nicht ein Votum für einen konservativen, bürgerlichen Regierungsrat?
Ich glaube nicht, dass dies es eine Frage von konservativ oder progressiv ist. Für mich ist es eine Frage nach der Qualität und dem Mehrwert der Projekte, die aufgegleist werden. Beim Lehrplan 21 stellt sich nicht nur die Frage: Wann wird er eingeführt? Die Frage stellt sich auch nach dem Wie. Wir müssen den Lehrplan 21 pragmatisch umsetzen und Bewährtes beibehalten. In unserem Kanton aber herrscht oft eine – ich nenne es jetzt mal so – «Neomanie». Alles, was neu ist, ist prinzipiell besser als das Bewährte.
Urs Wüthrich hat einen Grossteil des Lehrer-Berufsstands gegen sich aufgebracht. Aus welchen Fehlern kann der Nachfolger lernen?
Den Lehrern hat dieses Mantra, man sei bei allen Reformen bestens auf Kurs, sauer aufgestossen. Denn sie haben ja bei der Umsetzung gesehen, dass dies da und dort hapert. Wir Lehrer müssen künftig besser an den Umsetzungen dieser Reformen beteiligt werden, denn die Ergebnisse können wir doch von den Schulzimmern aus besser beurteilen als die vom Schreibtisch in der Verwaltung. Und es gab auch immer wieder Kommunikationsmängel.
Nennen Sie ein Beispiel.
Mir fallen da die Broschüren zur Wassersicherheit bei Schulausflügen ein. Plötzlich flatterte diese Broschüre in die Schulen, ohne dass wir vorab informiert gewesen waren. Die Verunsicherung war gross, wir haben die neuen Regeln einem Jurist zur Abklärung gegeben. Der hat uns gewarnt: Sollten sich Lehrer nicht an die Auflagen halten, «hangen» sie. Als wir danach bei der Bildungsdirektion nachfragten, wiegelte man ab: Das sei nur eine Empfehlung. Das ist eines von vielen Mustern für die problematische Kommunikation der Bildungsdirektion in den vergangenen Jahren.
Offenbar krankt das Verhältnis aber auch an ideellen Unterschieden.
Es stimmt, dass wir gewissen Projekten kritisch gegenüber stehen, welche bei der Bildungsdirektion hoch im Kurs stehen. Nehmen wir das selbst organisierte, individualisierende Lernen, etwa die Lernlandschaften. Das wird momentan sehr einseitig gepusht, obwohl längst nicht alle Lehrer, Erziehungswissenschaftler und Kinderpsychologen davon überzeugt sind. So wird daran gezweifelt, dass beispielsweise Neunjährige ihr eigenes Lernen selber managen und über zehn Tage einteilen können. Hier stellt sich auch die Frage, wie weit die teilautonom geleiteten Schulen selber über neuartige Schulversuche entscheiden können, wenn es mehr sein soll als nur ein Schulversuch. Solche abweichenden Modelle gibt es ja bis anhin vor allem an Privatschulen. Für eine Privatschule entscheiden sich Eltern aber bewusst. Wenn aber die Privatschule von gestern die öffentliche Schule von morgen ist, muss vorher eine politische Diskussion stattfinden.
Es steht ja noch eine Initiative zum Ausstieg aus dem Bildungskonkordat Harmos vom Komitee Starke Schule Baselland im Raum. Stehen Sie hinter dieser Initiative?
Der Harmos-Austritt steht in meinen Augen nicht im Vordergrund. Harmos ist aber kein Freipass für einen umfassenden Schulumbau. Man muss trennen zwischen Notwendigem und Übertriebenem. Wenn es zur Abstimmung über einen Harmos-Austritt des Kantons Baselland kommt, dann werden wir die Lehrer sicher wieder befragen. Bei der letzten Umfrage vor einem Jahr stellten sich 80 Prozent hinter einen Harmos-Ausstieg – was sicher weniger mit der inhaltlichen Harmonisierung als mit der Art und Weise der Umsetzung zu tun hatte.
Es ist unlängst publik geworden, dass die Baselbieter Lehrer zu den unzufriedensten in der Schweiz gehören. Wo drückt der Schuh? Der Kanton Baselland ist ja nicht der einzige Kanton, in dem reformiert wird.
Zum einen hängt es damit zusammen, dass die Baselbieter Lehrer vor der Bildungsharmonisierung mit dem System zu grossen Teilen zufrieden waren und keine Reformen herbeisehnten. Dies vielleicht im Gegensatz zu Basel-Stadt, wo alle froh waren, dass sie zu einem neuen Bildungssystem übergehen konnten. Zum anderen hat man in den letzten Jahren unter dem Label Harmos noch andere Reformen lanciert, die auf die Methodenfreiheit der Lehrer abzielen. Das erlebe ich in anderen Kantonen als weniger ausgeprägt. Im Baselbiet kommen diese Bestrebungen auch immer zu ideologisiert daher, so im Sinn von: «Schaut her, wir präsentieren euch jetzt den Heiligen Gral des Unterrichtens.» Mehr Pragmatismus und Pluralismus ist angebracht. Immerhin, das muss ich auch einräumen: In den letzten Wochen gab es positive Signale aus der Bildungsdirektion, den LVB künftig besser und früher einbinden zu wollen.
Gerade was die Aus- und Weiterbildungen in den Sekundarschulen angeht, haben sich die Lehrer in jüngster Vergangenheit oft quergestellt. Muss man Ihnen da nicht auch etwas Behäbigkeit vorwerfen?
Ich mache jetzt mal ein Beispiel: Mir als Fremdsprachenlehrer an der Sekundarschule ist eine Weiterbildung verordnet. Diese Weiterbildung nennt sich «Didaktik der Mehrsprachigkeit». Was ich bisher darüber gelesen habe, war entweder nichts Neues oder dann inhaltlich fragwürdig. Ich empfinde das als etwas seltsam. Schliesslich haben wir Fremdsprachenlehrer unsere Fächer studiert, inklusive Fachdidaktik und Auslandaufenthalt. Viel nötiger wäre eine umfangreiche Ausbildung in meinen Augen für diejenigen, die neue Sammelfächer unterrichten sollen. Ein Geschichtslehrer beispielsweise, der zukünftig auch Geografie unterrichtet. Bei den fachlichen Ausbildungen aber war die Bildungsdirektion immer viel zurückhaltender. Man versteift sich auf das Methodische – aber zuerst müssen die Lehrer als Grundlage doch fachlich gut ausgebildet sein. Wir haben beispielsweise bis heute keine Zahlen bekommen, wie viele Baselbieter Sekundarlehrer ohne adäquate Ausbildung unterrichten.
Wenn Sie sich schon nicht aus der
Reserve locken lassen, geben Sie zum Schluss noch einen kleinen Tipp ab: Wen wollen die Lehrer ab dem nächsten Sommer mehrheitlich in der Bildungsdirektion?
Es stehen sich wohl zwei Überlegungen gegenüber: Welche Kandidaten versprechen die angesprochene Entschleunigung im Bildungswesen? Und welche Kandidaten könnten die Bildung zum grossen Sparobjekt erklären? Das macht die Prognose auch so schwierig.


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