Roger von Wartburg fordert vom neuen Bildungsdirektor eine Entschleunigung, Bild: Kenneth Nars
"Die Lehrer haben bei der Umsetzung gesehen, dass es da und dort hapert", Aargauer Zeitung, 5.2. von Leif Simonsen und Michael Nittnaus
Roger von
Wartburg ist Präsident des Lehrervereins Baselland (LVB) und sieht den Wahlen
vom 8. Februar gespannt entgegen. Für ihn ist klar: In der Baselbieter
Bildungsdirektion, die am 1. Juli neu besetzt wird, muss sich einiges
ändern. Der oberste Baselbieter Lehrer übt Kritik am abtretenden
SP-Bildungsdirektor Urs Wüthrich. Bei vielen Entscheiden seien die Lehrer aus
den Amtsstuben vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Ob der neue
Bildungsdirektor oder die neue Bildungsdirektorin bürgerlich oder sozialdemokratisch
ist, sei indes sekundär. Wichtig sei, dass die Bildungspolitik künftig weniger
«top-down» erfolge, also weniger von oben nach unten.
Herr von Wartburg, wen sollen die Baselbieter
Lehrer am 8. Februar in die Regierung wählen?
Roger von
Wartburg: In parteipolitischen Fragen gibt der
Lehrerverein explizit keine Wahlempfehlung ab, wir sind als Verband eine
neutrale Institution. Wir versuchen, den Kandidaten Aussagen zu entlocken, die
wir dann unseren Mitgliedern transparent machen. Diese können sich dann selbst
ein Bild machen.
Anders formuliert: Welche Eigenschaften muss der
neue Baselbieter Bildungsdirektor mitbringen?
Zunächst muss
er Ruhe einkehren lassen, nachdem in den letzten Jahren zu viele Reformen
parallel vorangetrieben wurden. Jetzt braucht es eine Phase der Konsolidierung.
Die Integrative Schulung oder die Frühfremdsprachen, die Umstellung auf sechs
Primarschuljahre und der neue Lehrplan: Das ist alles für sich mit grossem
Aufwand für uns Lehrer verbunden.
Mit Verlaub: Das klingt genau wie die
FDP-Kandidatin Monica Gschwind, die für einen Marschhalt bei der Einführung des
Lehrplans 21 plädiert. Ist dies nicht ein Votum für einen konservativen,
bürgerlichen Regierungsrat?
Ich glaube
nicht, dass dies es eine Frage von konservativ oder progressiv ist. Für mich
ist es eine Frage nach der Qualität und dem Mehrwert der Projekte, die
aufgegleist werden. Beim Lehrplan 21 stellt sich nicht nur die Frage: Wann wird
er eingeführt? Die Frage stellt sich auch nach dem Wie. Wir müssen den Lehrplan
21 pragmatisch umsetzen und Bewährtes beibehalten. In unserem Kanton aber
herrscht oft eine – ich nenne es jetzt mal so – «Neomanie». Alles, was neu ist,
ist prinzipiell besser als das Bewährte.
Urs Wüthrich hat einen Grossteil des Lehrer-Berufsstands
gegen sich aufgebracht. Aus welchen Fehlern kann der Nachfolger lernen?
Den Lehrern hat
dieses Mantra, man sei bei allen Reformen bestens auf Kurs, sauer aufgestossen.
Denn sie haben ja bei der Umsetzung gesehen, dass dies da und dort hapert. Wir Lehrer
müssen künftig besser an den Umsetzungen dieser Reformen beteiligt werden, denn
die Ergebnisse können wir doch von den Schulzimmern aus besser beurteilen als
die vom Schreibtisch in der Verwaltung. Und es gab auch immer wieder
Kommunikationsmängel.
Nennen Sie ein Beispiel.
Mir fallen da
die Broschüren zur Wassersicherheit bei Schulausflügen ein. Plötzlich flatterte
diese Broschüre in die Schulen, ohne dass wir vorab informiert gewesen waren.
Die Verunsicherung war gross, wir haben die neuen Regeln einem Jurist zur
Abklärung gegeben. Der hat uns gewarnt: Sollten sich Lehrer nicht an die
Auflagen halten, «hangen» sie. Als wir danach bei der Bildungsdirektion
nachfragten, wiegelte man ab: Das sei nur eine Empfehlung. Das ist eines von
vielen Mustern für die problematische Kommunikation der Bildungsdirektion in
den vergangenen Jahren.
Offenbar krankt das Verhältnis aber auch an
ideellen Unterschieden.
Es stimmt, dass
wir gewissen Projekten kritisch gegenüber stehen, welche bei der
Bildungsdirektion hoch im Kurs stehen. Nehmen wir das selbst organisierte,
individualisierende Lernen, etwa die Lernlandschaften. Das wird momentan sehr
einseitig gepusht, obwohl längst nicht alle Lehrer, Erziehungswissenschaftler
und Kinderpsychologen davon überzeugt sind. So wird daran gezweifelt, dass
beispielsweise Neunjährige ihr eigenes Lernen selber managen und über zehn Tage
einteilen können. Hier stellt sich auch die Frage, wie weit die teilautonom
geleiteten Schulen selber über neuartige Schulversuche entscheiden können, wenn
es mehr sein soll als nur ein Schulversuch. Solche abweichenden Modelle gibt es
ja bis anhin vor allem an Privatschulen. Für eine Privatschule entscheiden sich
Eltern aber bewusst. Wenn aber die Privatschule von gestern die öffentliche
Schule von morgen ist, muss vorher eine politische Diskussion stattfinden.
Es steht ja noch eine Initiative zum Ausstieg aus
dem Bildungskonkordat Harmos vom Komitee Starke Schule Baselland im Raum.
Stehen Sie hinter dieser Initiative?
Der
Harmos-Austritt steht in meinen Augen nicht im Vordergrund. Harmos ist aber
kein Freipass für einen umfassenden Schulumbau. Man muss trennen zwischen
Notwendigem und Übertriebenem. Wenn es zur Abstimmung über einen
Harmos-Austritt des Kantons Baselland kommt, dann werden wir die Lehrer sicher
wieder befragen. Bei der letzten Umfrage vor einem Jahr stellten sich 80
Prozent hinter einen Harmos-Ausstieg – was sicher weniger mit der inhaltlichen
Harmonisierung als mit der Art und Weise der Umsetzung zu tun hatte.
Es ist unlängst publik geworden, dass die
Baselbieter Lehrer zu den unzufriedensten in der Schweiz gehören. Wo drückt der
Schuh? Der Kanton Baselland ist ja nicht der einzige Kanton, in dem reformiert
wird.
Zum einen hängt
es damit zusammen, dass die Baselbieter Lehrer vor der Bildungsharmonisierung
mit dem System zu grossen Teilen zufrieden waren und keine Reformen
herbeisehnten. Dies vielleicht im Gegensatz zu Basel-Stadt, wo alle froh waren,
dass sie zu einem neuen Bildungssystem übergehen konnten. Zum anderen hat man
in den letzten Jahren unter dem Label Harmos noch andere Reformen lanciert, die
auf die Methodenfreiheit der Lehrer abzielen. Das erlebe ich in anderen
Kantonen als weniger ausgeprägt. Im Baselbiet kommen diese Bestrebungen auch
immer zu ideologisiert daher, so im Sinn von: «Schaut her, wir präsentieren
euch jetzt den Heiligen Gral des Unterrichtens.» Mehr Pragmatismus und
Pluralismus ist angebracht. Immerhin, das muss ich auch einräumen: In den
letzten Wochen gab es positive Signale aus der Bildungsdirektion, den LVB künftig
besser und früher einbinden zu wollen.
Gerade was die Aus- und Weiterbildungen in den
Sekundarschulen angeht, haben sich die Lehrer in jüngster Vergangenheit oft
quergestellt. Muss man Ihnen da nicht auch etwas Behäbigkeit vorwerfen?
Ich mache jetzt
mal ein Beispiel: Mir als Fremdsprachenlehrer an der Sekundarschule ist eine
Weiterbildung verordnet. Diese Weiterbildung nennt sich «Didaktik der
Mehrsprachigkeit». Was ich bisher darüber gelesen habe, war entweder nichts
Neues oder dann inhaltlich fragwürdig. Ich empfinde das als etwas seltsam.
Schliesslich haben wir Fremdsprachenlehrer unsere Fächer studiert, inklusive
Fachdidaktik und Auslandaufenthalt. Viel nötiger wäre eine umfangreiche
Ausbildung in meinen Augen für diejenigen, die neue Sammelfächer unterrichten
sollen. Ein Geschichtslehrer beispielsweise, der zukünftig auch Geografie
unterrichtet. Bei den fachlichen Ausbildungen aber war die Bildungsdirektion
immer viel zurückhaltender. Man versteift sich auf das Methodische – aber
zuerst müssen die Lehrer als Grundlage doch fachlich gut ausgebildet sein. Wir
haben beispielsweise bis heute keine Zahlen bekommen, wie viele Baselbieter
Sekundarlehrer ohne adäquate Ausbildung unterrichten.
Wenn Sie sich schon nicht aus der
Reserve locken lassen, geben Sie zum Schluss noch einen kleinen Tipp ab: Wen wollen die Lehrer ab dem nächsten Sommer mehrheitlich in der Bildungsdirektion?
Reserve locken lassen, geben Sie zum Schluss noch einen kleinen Tipp ab: Wen wollen die Lehrer ab dem nächsten Sommer mehrheitlich in der Bildungsdirektion?
Es stehen sich
wohl zwei Überlegungen gegenüber: Welche Kandidaten versprechen die
angesprochene Entschleunigung im Bildungswesen? Und welche Kandidaten könnten
die Bildung zum grossen Sparobjekt erklären? Das macht die Prognose auch so
schwierig.
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