5. Februar 2015

"Wer nicht mitmacht, kann gehen"

Die Muttenzer Sekundarschule wollte am Landrat vorbei "Lernlandschaften" installieren und Schulniveaus abbauen. Dabei wurden Lehrer unter Druck gesetzt.




Keine Mitsprache bei Umbauprojekt an der Sekundarschule Muttenz, Bild: Dominik Plüss

Baselbieter Pädagogen-Träume, Basler Zeitung, 5.2. von Daniel Wahl



Wenn der Lehrplan-21-Beauftragte des Kanton Baselland, ­Stephan Zürcher (SP), für das unter Päda­gogen umstrittene Kompetenzwerk missioniert, dann orientiert er am Rande auch über die Schulniveaus. Der schlechteste Progymnasiumschüler (Niveau P) an Baselbieter Schulen sei heute so klug wie der beste Realschüler (Niveau A), sagt er und zeichnet zur Illustration Intelligenz-Verteilungskurven, die sich überschneiden. Dabei stellt sich Bildungsbeamter Zürcher nicht die Frage, ob heutzutage die Primarlehrer ihre Schüler zu schlecht selektionieren und diese den falschen Schulniveaus zuteilen. Vielmehr ist seine Feststellung ein Plädoyer und eine Agenda für die gänzliche Aufhebung der verschiedenen Schulniveaus und Leistungszüge – für einen Unterricht mit Lehrer als Coaches und für Schüler in sogenannten Lehrlandschaften, die unabhängig von Leistungsniveaus zu fördern seien.
Diese Ideologie hat die Schulleitung Muttenz verinnerlicht und treibt unter Ausschluss des öffentlichen Diskurses einen radikalen Umbau der Sekundarschulen voran. Eingefädelt wurde dieser unter dem Namen «Pilotprojekt Unterricht in Lernlandschaften an der Sekundarschule Muttenz» von langer Hand. Im Juni des vergangenen Jahres brachte die Schulleitung Projekt und Konzept schliesslich zu Papier.

Bis 80 Schüler im Grossraumbüro
Vorgestellt hat sich die Schulleitung dabei, dass im geplanten Sekun­darschulzentrum am Standort Hinterzweien in Muttenz vier Lernlandschaften neu gebaut und fünf in den bestehenden Gebäuden geschaffen werden müssten – bezugsbereit in den Schuljahren 2019/2020. Demnach würden pro Lernlandschaft ein Lernatelier zu 200 Quadratmeter, je ein bis zwei Input- und Gruppenräume benötigt. In den Foyers sollten Stehtische und Gesprächszonen eingerichtet werden.
Bevölkert werden diese Zonen mit 60 bis 80 Schülerinnen und Schüler, die von vier bis sechs Pädagogen angeleitet werden. Dabei zielt das Projekt darauf ab, nicht Lernlandschaften in eigenen Niveaus (zum Beispiel die Progym-Schüler unter sich) zu installieren; bewusst wird auf die Auflösung der Leistungszüge hingearbeitet und «Unterricht in niveauübergreifenden Lernlandschaften» angeboten. In der Praxis sieht das so aus, dass in so­genannten pädagogischen Teams alle Lehrer Ansprechpartner für allerlei Fragen der Schüler aller Niveaus sind. Dies preist die Schulleitung als Errungenschaft an: «Der Teamgedanke wird verstärkt, die klassische Aufteilung in Klassenlehrpersonen und Fachlehrperson wird aufgelöst, die Stellung der Fachlehrperson wird aufgewertet.» Und durch das persönliche Coaching lernten die Lehrer ihre Schüler besser kennen und könnten engere Beziehungen aufbauen, heisst es.

«Wer nicht mitmacht, kann gehen»
Der Ideologiewechsel hin zu ­Lernlandschaften, Lerncoaches, Kompetenzorientierung, Sammelfächern, Zwangskooperationen und Einheitsschule, welche die Sekundarschulen im Baselbiet forcieren, ist umstritten. Unter Pädagogen wird auch das Gegenteil prognostiziert: Lernlandschaften förderten Beziehungslosigkeit, Schüler könnten sich besser in der Anonymität verstecken. Und der Schutz des Klassenraums gehe verloren. In einer der jüngsten Ausgabe des Migros-Magazins weist der Kinderpsychiater und Buchautor Michael Winterhoffdarauf hin, dass in solchen Lernlandschaften «Fehlentwicklungen bei Kindernnicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch verstärkt» werden.
Die Starke Schule Baselland hat indessen Klagen von Lehrern in Muttenz erhalten, die mit dem Vorgehen der Schulleitung nicht einig sind. «Uns teilen die Lehrer mit, dass die Mitsprache durch die Schulleitung verweigert wird. Es heisst, wem das nicht passt, kann gehen», sagt Saskia Olsson, Geschäftsführerin der Starken Schule Baselland. Die Schulleitung übe Druck auf Lehrpersonen aus, die nicht am Pilotprojekt teilnehmen wollen oder gar grundsätzlich gegen Lernlandschaften seien.

Heikle Rechtslage
Gemäss Informationen der BaZ wollte die Schulleitung zunächst zwei Lernlandschaften im Schulhaus Gründen einrichten und im Schuljahr 2017/18 loslegen. Die Planungsschwierigkeiten, das fehlende Geld für die Umsetzung (eine Klasse, die mit Lernlandschaften unterrichtet wird, benötigt etwa doppelt so viel Platz wie eine traditionelle Klasse) sowie der jüngste Widerstand der Eltern gegen die Klassenverschiebungen in Muttenz (BaZ vom 22. Januar) scheinen indessen das Projekt gebremst zu haben. Auf Anfrage teilte Bildungsdirektor Urs Wüthrich mit, dass kein Beschluss zur Umsetzung vorliege. Er hält auch fest, dass der Unterricht im Rahmen eines Konzepts «Lernlandschaften» keiner formellen Bewilligung bedürfe.
Inwiefern das Bildungsgesetz und damit der Landratsbeschluss ausser Kraft gesetzt wird, wäre aber noch zu klären: Paragraf 89 des Bildungsgesetzes sagt: «Der Landrat hat insbesondere folgende Aufgaben: Er genehmigt die ­Zielsetzung von Bildungskonzepten, ­welche Inhalt und Gliederung des ­kantonalen Bildungssystems oder den bisherigen Bildungsauftrag einzelner Schularten grundlegend verändern.» Zudem beschliesst der Landrat, «ob vom Regierungsrat veranlasste Schulversuche in eine definitive Regelung überführt ­werden». Den Weg über den Landrat und die Einbindung des Par­laments in den Umbau der Sekundarschule ist jedenfalls im Muttenzer Konzept nicht vorgesehen.
Im Gegenteil: Das Konzept, das die Etikette «Pilotversuch» trägt, wird durch die Klassenzimmerumbauten definitiven und endgültigen Charakter haben. Ferner hat sich die Schulleitung, ohne die Resultate des Pilotprojekts zu kennen, selbstbewusst per Juni 2018 zum Ziel gesetzt: «Verabschiedung eines Projektauftrags zur flächen­deckenden Einführung von Lernlandschaften auf Grund der Evaluation.»


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