Abgehobene Bildungspolitik und fehlgeleitete Reformen treiben viele Lehrer in ein Burnout, Bild: Aargauer Zeitung
Reformitis macht krank, Weltwoche 44/2014 von Philipp Gut
Eine neue Nationalfondsstudie sorgt für Schlagzeilen – und für
Alarmstimmung in Schul- und Amtsstuben. Ein Drittel aller Lehrer sei stark
Burnout-gefährdet. Zwanzig Prozent seien «ständig überfordert», so der Befund.
Die von der Fachhochschule Nordwest- schweiz durchgeführte Untersuchung fusst
auf einer repräsentativen Umfrage bei 600 Lehrern von der 5. bis zur 9. Klasse.
«Burnout» ist zwar im strengen
Sinn keine klinische Diagnose, und man mag im Boom des B-Worts durchaus auch
eine Modeerscheinung sehen. Aber darum geht es hier nicht. Die Aussagen der
Lehrer sind ernst zu nehmen, wie auch immer man dieses «Ausgebranntsein»
medizinisch definiert.
Tatsache ist: Viele Lehrer
leiden unter einer Belastung, die sie zunehmend als gesundheitsschädigend
wahrnehmen. Beim Stresstest im Schulzimmer fallen immer mehr Lehrpersonen
durch.
Laut den Studienautoren
leiden Frauen und Teilzeitlehrer besonders unter Arbeitsbelastung und Stress.
Das ist interessant und heisst im Umkehrschluss: Männern und Vollzeitlehrern
geht es besser. Von beiden gibt es an den Volksschulen indes immer weniger. Die
Feminisierung des Berufs und damit auch die Zersplitterung des Lehrkörpers in
immer mehr Teilzeitlehrkräfte mit immer kleineren Pensen schreiten ungebremst
voran. Die Folgen: Der Koordinationsaufwand steigt, die Vor- und Nachbereitung
der Unterrichtsstunden wird zu einer organisatorischen und logistischen
Herausforderung. Mehr Absprachen, mehr Sitzungen, ein ständiges Kommen und
Gehen im Klassenzimmer, Schule als bürokratisches Ungeheuer.
Das Übel ist
hausgemacht
Brisant sind die Ursachen
des Phänomens: Die befragten Lehrer nennen in erster Linie die Störung durch
schwierige Schüler, den gestiegenen administrativen Aufwand und neuartige
Lernformen. Hinzu kommt die Schulorganisation nach den Grundsätzen des New Public
Management. Das Stichwort heisst «ge- führte Schulen». Das kann gutgehen, wenn
der Schulleiter eine Persönlichkeit ist und mit Augenmass agiert. Lehrer klagen
allerdings, ihr Spielraum werde unnötig eingeschränkt. So werde ihnen
beispielsweise vorgeschrieben, an welchem Tag sie mit ihrer Klasse auf die
Schulreise gehen dürften.
Brisant, auch politisch,
sind die angeführten Stressfaktoren deshalb, weil sie grösstenteils hausgemacht
sind. Schuld sind eine abgehobene Bildungspolitik und fehlgeleitete Reformen.
Sie treiben viele Lehrer an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Unfreiwillig legt die
Studie offen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist. Belastung durch
schwierige Schüler? Die hat man gefördert durch die sogenannte Integration verhaltensauffälliger
Kinder in die Regelklassen. Administrativer Aufwand? Den hat man vervielfacht
durch eine bewusste Bürokratisierung der Abläufe. Neue, aufwendige Lernformen?
Die hat man gepusht, während der Frontalunterricht, der als effizient, ruhig
und stressarm gilt, von Bildungsexperten und Pädagogen für überholt erklärt und
weitgehend aus den Schulzimmern verbannt wurde.
Fazit: Was die Lehrer krank
macht, ist die Reformitis der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Die
Schulstube ist ein Lackmustest für die Realität. Hier zeigt sich, was Reformen
wirklich taugen. Für die Zukunft kann das nur heissen: Bildungspolitiker und
-bürokraten sollten besser auf die Lehrer hören.
Zum Beispiel beim Lehrplan
21. Praktiker sagen schon jetzt, dass er viel zu kompliziert ist und nicht
funktionieren wird. Noch ist Zeit, die Übung abzublasen. Sonst darf man sich
nicht wundern, wenn die Burnout-Rate bei der nächsten Studie noch höher liegt.
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