Innerrhoden ist Pionierkanton unter den Abweichlern und will nicht zurück, Bild: www.ai.ch
"Dann machen wir das so", NZZ, 31.10. von Jörg Krummenacher und Erich Aschwanden
In Appenzell geht die Rede, dass Carlo Schmid, der
frühere Landammann, Ende des vorigen Jahrhunderts seinen Schulamtsleiter
gefragt habe, wie es denn mit dem Französischunterricht in der Primarschule so
laufe. «Es ist zäch», antwortete dieser sinngemäss, worauf Schmid fragte: «Wäre
es vielleicht mit Englisch besser?» Er habe das Gefühl, das wäre wohl besser,
entgegnete der Schulamtsleiter. «Dann machen wir das so», entschied Schmid. Er
schickte die Lehrerschaft der Primarstufe zum vertieften Englischlernen, und
seit 2001 lehrt diese die Innerrhoder Kinder ab der 3. Klasse Englisch. Der
Französischunterricht folgt erst in der Sekundarschule. So läuft das im
Kleinstkanton Innerrhoden mit seinen derzeit 1686 Volksschülern und seinen zwei
Sekundarschulen in Appenzell und Oberegg.
Separates Lehrmittel
Im Schulzimmer der Sekundarklasse 2b in Appenzell
stehen die Worte «médecin» und «patient» an der Wandtafel. Die Lektion handelt
davon, Körperteile zu benennen, im Gespräch einen Arzttermin zu simulieren, zu
sagen, wo was weh tut. Der Lehrer spricht ausschliesslich französisch und
vermittelt den Stoff in spielerischer Form, die Klasse arbeitet konzentriert
mit. Noch kommen manche Antworten stockend, noch fällt Einzelnen die korrekte
Aussprache schwer, doch das Niveau ist passabel. Das Lehrmittel stammt von der
interkantonalen Lehrmittelzentrale in Zürich, es ist dasselbe wie in andern
Kantonen. Speziell für Appenzell Innerrhoden hat die Lehrmittelzentrale aber
eine Separatausgabe konzipiert, eine an die Altersstufe angepasste
Zusammenfassung des Stoffs, wie er andernorts ab der 5. Klasse vermittelt wird.
«Unser Modell hat sich in der Praxis bewährt», sagt
Roland Inauen, der Carlo Schmid 2013 als Landammann und Erziehungsdirektor
abgelöst hat. Niemand wolle in Innerrhoden zum Frühfranzösisch zurück. Inauen
betont aber auch, dass er im Sprachenstreit keinesfalls provozieren, das
Innerrhoder Modell nicht gegen ein anderes ausspielen möchte.
«Das Französisch liegt uns am Herzen», ergänzt
Norbert Senn, der heutige Amtsleiter der Innerrhoder Volksschule. Er glaubt,
dass sich Sprach- und Schulreisen von Deutschschweizer Schülern in die
Westschweiz nachhaltiger auf den nationalen Austausch und Zusammenhalt
auswirken als die Frage, ob Französisch auf Primar- oder Sekundarstufe gelehrt
werde. Senn ist in doppelter Rolle mit dem Thema konfrontiert: Er arbeitet in
Innerrhoden, wohnt aber im Thurgau und sitzt dort für die CVP im Kantonsrat. Er
hat sich mit dessen Mehrheit für eine Motion ausgesprochen, die den
Französischunterricht neu in die Sekundarschule verschieben will. Der noch
nicht umgesetzte Thurgauer Entscheid hat zu einem nationalen Aufschrei geführt.
Dass Appenzell Innerrhoden wie auch der Aargau und Uri längst auf
Frühfranzösisch verzichten, scheint den wenigsten bewusst zu sein.
Dieselbe Sprachkompetenz
In Innerrhoden hält man es für wenig zielführend,
die Frage des Französischunterrichts zur Nagelprobe für den föderalistischen
Zusammenhalt zu machen. Sosehr das Französische in den Innerrhoder Primarschulen
zur Quantité négligeable wurde, so sehr achtet der Kanton darauf, es in der
Sekundarschule mit hoher Kadenz zu unterrichten: mit fünf Lektionen in der
ersten und je vier in der zweiten und dritten Klasse. «Unsere Jugendlichen
erreichen zweifellos die Sprachkompetenzen, wie sie das Sprachengesetz für das
Ende der obligatorischen Schulzeit verlangt», sagt Roland Inauen. Auf die
Qualität des Französischunterrichts auf Sekundarstufe wirke sich positiv aus,
dass er durch bestens ausgebildete Fachlehrerinnen und -lehrer erfolge.
Einen Makel allerdings gibt es: In der Realschule
ist das Französische Freifach - ein Widerspruch zum Sprachengesetz. «Das müssen
wir anschauen, und allenfalls müssen wir über die Bücher gehen», räumt Inauen
ein, verweist aber darauf, dass das wesentliche Ziel in der Realschule darin
bestehe, die Jugendlichen auf gute Art für das Berufsleben fit zu machen.
Manche Realschüler seien mit zwei Fremdsprachen überfordert.
Sonderzüglein
Auch der Kanton Aargau kennt kein Frühfranzösisch
auf der Primarschulstufe. Anders als seine Nordwestschweizer Partner
Basel-Stadt, Baselland und Solothurn, aber wie Zürich wählte der Aargau ab dem
Schuljahr 2008/09 Englisch zur ersten Fremdsprache. Französisch hingegen wird
erst auf der Oberstufe unterrichtet. Dies soll auch noch eine Weile so bleiben.
Im Sommer hat der Aargauer Regierungsrat nämlich entschieden, den Lehrplan 21
erst auf das Schuljahr 2020/21 einzuführen - drei Jahre später, als dies
ursprünglich geplant war. Auf diesen Zeitpunkt soll auch die Einführung von
Frühfranzösisch erfolgen.
Ein anderes Sonderzüglein in der an Sprachmodellen
nicht armen Schweizer Schullandschaft fährt der Kanton Uri. Im Gotthardkanton
setzt man auf die Sprache der südlichen Nachbarn. Ab der 5. Klasse lernen die Primarschüler
Italienisch, Frühfranzösisch gibt es nicht. Beim sogenannten Urner Modell wird
die zweite Landessprache zudem nur als Wahlpflichtfach gelehrt - eine Lösung,
die man sich in anderen Zentralschweizer Kantonen auch für Frühfranzösisch
vorstellen könnte. Auf Anfang dieses Schuljahres hat Uri das Angebot ausgebaut.
Nun wird Italienisch - neben dem Pflichtfach Französisch - auch auf der
Oberstufe weitergeführt. Die Stärkung des Italienischunterrichts sieht die
Urner Regierung als deutliches Zeiten zugunsten des Nachbarkantons Tessin.
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