Lange war die
schulpolitische Gefechtslage sehr übersichtlich. Links und rechts, gut und
böse, fortschrittlich und reaktionär standen sich in sauber geordneten
Formationen gegenüber. Gemessen an den leidenschaftlichen politischen
Auseinandersetzungen in den 1960er- und 1970er-Jahren herrschte an der
pädagogischen Front ein ruhiger, fast einschläfernder Diskussionston. Das Thema
«Schule» rutschte in der Prioritätenliste aller Parteien weit nach hinten.
Der Elfenbeinturm beginnt zu bröckeln, Basler Zeitung, 30.10. von Roland Stark
Die Volksschule als
Wahlkampfthema wurde – kaum überraschend – schliesslich von der SVP entdeckt.
Ihr Chefstratege Christoph Blocher, assistiert von seiner Frau und dem
«Experten», Nationalrat Ulrich Schlüer, orteten auf der Suche nach
Brandbeschleunigern für die neue Opposi- tionspolitik die Schule als ideales
Vehikel – zumal diese von den anderen Parteien sträflich vernachlässigt worden
war. Eine unübersehbare Parallele zur Asyl- und Ausländerpolitik. Seit Jahren
gehört nun der Kampf gegen den Lehrplan 21, gegen Harmos und die links-grüne
Lehrerschaft zum eisernen Bestand der Munitionskiste rechtskonservativer
Agitatoren. An den Plakatwänden tauchten plötzlich weinende, offensichtlich an
ihrer Schulsituation leidende Kinder auf.
Die politische Konkurrenz
und die Bildungsbürokratie reagierten – ebenso wenig überraschend – mit den
ebenso traditionellen wie erfolglosen Rezepten: Leugnen oder Verniedlichen der
Probleme, Diffamierung der Kritiker oder einfach Schweigen. Ein Erziehungsdirektor
mit überragenden kommunikativen Fähigkeiten, desinteressierte Parteien,
narkotisierte Medien und handzahme Gewerkschaften halfen mit, dass im Kanton
Basel-Stadt selbst einschneidende bildungspolitische Veränderungen störungsfrei
und ohne kontroverse Debatte beschlossen werden konnten. Die SP, zu deren
Kerngeschäft einmal Erziehung, Bildung und Kultur gehörten, fiel als kritische
Begleiterin der Reformprozesse praktisch aus, was nicht zuletzt mit Christoph
Eymanns geschickter Personalpolitik erklärt werden kann. Ein
Gewerkschaftskollege aus Baselland stellte kürzlich die zugespitzte These auf,
dass sich «die tragfähigen SP-Seilschaften längst aus den Schulhäusern
verabschiedet und in die
Planungs-Forschungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etagen hinauf verschoben
hätten».
Nun scheint aber der Wind
zu drehen, der Elfenbeinturm der Schulbürokratie bekommt erste Risse. In ihrer
Kolumne in der Zeit – weit weg, in sicherer Distanz zum politischen Heimathafen
Basel – bläst SP-Ständerätin Anita Fetz zum Angriff und zieht eine vernichtendeBilanz der beschlossenen und geplanten Reformen. Sie schreibt von einer
«überambitionierten Bürokratenmaus», die einen «Dokumentenberg geboren» habe,
den Lehrplan 21 nennt sie «gescheitert» und ein «Monsterwerk».
Wir lesen auch von
«pseudopädagogischen Reformen», «neumodischen Torheiten» und übertriebener
«Projektitis». Selbst an den teuren Schulhausum- und neubauten («Beton statt
Bildung») mäkelt sie herum. Und zum Schluss serviert sie noch eine pure
Selbstverständlichkeit: «Für das Leben lernen wir. Nicht für die
Bildungsbürokratie.» (Die Zeit, 23. 10. 2014)
Vermutlich wird Anita Fetz
umgehend die Etikette «Nestbeschmutzerin» angeklebt bekommen. Dabei ist es
verdienstvoll und lobenswert, erziehungs- und bildungspolitische Themen auch
wieder ins Zentrum linker Debatten zu rücken. Spät, sehr spät, aber vielleicht
doch nicht zu spät.
Roland Stark ist ehemaliger Präsident der SP Basel-Stadt
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