Die
Szene wäre zum Lachen, wenn sie nicht zum Weinen wäre. In
einem Schulzimmer in Kentucky fesselt ein Polizist die Arme eines achtjährigen
Buben mit Handschellen hinter seinem Rücken, und zwar an den Oberarmen, da die
Handgelenke für die Fesseln zu dünn sind. Der Knabe hatte versucht, dem
Polizisten «eine zu verpassen», hatte zuvor einen Lehrer getreten und sich
geweigert, den Aufforderungen der Erwachsenen nachzukommen.
Wer soll in den Schulen für Disziplin sorgen, NZZ, 19.10. von Peter Winkler
Die
American Civil Liberties Union (ACLU) klagte, und ein Bundesrichter urteilte,
der Polizist habe unverhältnismässige Gewalt angewendet. Das
ist für die Bürgerrechtsorganisation sicher ein schöner Erfolg. Allerdings
könnte es die Ratlosigkeit in den amerikanischen Schulen noch vergrössern. Das
Problem ist nämlich, dass Lehrer und Schulleiter routinemässig die Polizei
rufen, wenn sie Probleme mit Schülerinnen und Schülern haben. Aus Angst, sich
mit Eltern anzulegen, die sofort mit dem Anwalt drohen, oder in gewalttätige
Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, weichen die Pädagogen der
Disziplinierung unbotmässiger Schüler aus. Gleichzeitig scheinen immer mehr
Eltern geneigt, die disziplinarische Seite der Erziehung ihrer Kinder der
Schule zu überlassen.
Laut der
ACLU wurden im Schuljahr 2011/12 3,5 Millionen Schülerinnen und Schüler vorübergehend
von der Schule verwiesen und verpassten dadurch 18 Millionen Unterrichtstage.
Der grösste Teil von ihnen waren Schüler mit Lernbehinderungen. Es könnte auch
anders gehen, wie die Redland Middle School in einem Vorort der Hauptstadt
Washington zeigte. Innerhalb eines Jahres sank die Zahl jener, die ins Büro des
Schulleiters zitiert wurden – die erste Stufe von Disziplinarmassnahmen
–, von 1200 auf 30. Das Ei des Kolumbus:
intensivere Betreuung. Das bedingt engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Doch die
Budgets der Schulbehörden sind knapp. In der gleichen Region, in der die
Redland-Schule steht, müssen frischgebackene Lehrer rund 20 Jahre lang sparen, um sich die
Anzahlung für ein Haus leisten zu können. Das ist nicht die beste Motivation
für besonders grosses Engagement.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen