Vor zehn
Jahren machte ich in der Weltwoche auf Probleme in der Schule durch schlecht
integrierte Ausländer aufmerksam. Meine linken Kollegen waren empört
und wechselten die Strassenseite, wenn sie mich sahen. Zuspruch erhielt
ich ausgerechnet von den Migranten selbst.
Heilsamer Tabubruch, Weltwoche, 9.6. von Alain Pichard
Zum
zehnten Mal jährt sich ein Ereignis, das in meinem Leben tiefe Spuren
hinterlassen hat. Das Ereignis kam einer Zäsur gleich, an der auch die Weltwoche ihren
Anteil hatte.
Es war im
Sommer 2006, als die Schweiz heftig über die Revision des Asyl- und
Ausländergesetzes debattierte. Dieses Gesetz war zwar schon vorher in
wesentlichen Teilen aufgegleist worden. Verschärft und vertreten wurde es aber
vom damaligen Bundesrat Christoph Blocher. Dieser Umstand war sicher auch ein
Grund dafür, wie heftig dieser Abstimmungskampf geführt wurde. Fast alle
Medien, viele Kulturschaffende und unser eigenes links-grünes Umfeld kämpften
erbittert gegen diese Vorlage, wetterten über einen «Lügenbundesrat», der
Probleme aufbausche und Fremdenfeindlichkeit schüre.
Ich war
damals aktives Mitglied der Grünen Partei und überzeugtes Mitglied der
Gewerkschaft VPOD. Ich war aber auch Lehrer an einem Oberstufenzentrum der
Stadt Biel und als solcher konfrontiert mit den vielen realen Problemen, die
uns Teile der zweiten und zum Teil dritten Generation der Migranten in der
Schule bescherten.
Es war
eine schwierige Zeit. Unsere auf Toleranz und Verständnis eingestellten
Schulen waren teilweise überfordert mit dem flegelhaften Verhalten von
Exponenten der neuen Schülergeneration. Massive Unterrichts-
störungen, unzählige
nervenaufreibende Gespräche mit den Eltern dieser Jugendlichen, der Auftritt
immer zahlreicherer Institutionen, welche einbezogen werden mussten oder
wollten, führten zu einer enormen Fluktuation beim Lehrkörper.
Die
schulisch tiefer eingestuften Realklassen füllten sich mit fremdsprachigen
Schülerinnen und Schülern, die Schweizer Eltern nahmen ihre Kinder aus diesen
Klassen, zogen in andere Wohngegenden oder suchten sich eine Privatschule.
Darunter befanden sich auch mir bestens bekannte linke Persönlichkeiten, welche
in Sonntagspredigten das Hohelied der Toleranz und des Willkommens sangen, ihre
eigenen Kinder aber nicht in den Brennofen multikultureller Schwärmereien
schicken mochten.
Hysterische Kampagne
Ich sass
mit Kurt, Bruno und Peter, alles solide linke Lehrerkollegen, in der
symbolträchtigen «Rotonde», dem Restaurant des ehemaligen Volkshauses. Wir
standen vor einem schwerwiegenden Entscheid. In zahlreichen Vorgesprächen war
uns klargeworden: Wir würden alle für diese Gesetzesrevision stimmen. Unsere
Erfahrungen, aber auch unsere nüchternen Analysen liessen uns keine Wahl. Die
hysterische Kampagne unserer links-grünen Freunde hatte nichts mit dem vorliegenden
Problem zu tun. Am meisten aber bekümmerte uns die Erosion der Bildungsqualität
und, damit verbunden, die Tatsache, dass sich mit dieser Entwicklung ein
nachhaltiger Schulerfolg für unsere Migrantenkinder unmöglich einstellen
konnte. Kein Lehrer hat es gerne, wenn seine Schüler nichts lernen.
Wir
beschlossen, unseren Dissens öffentlich zu machen, und verfassten dazu eine Art
Erklärung. Diese schickten wir dem Lehrermagazin, unserem
Verbandsblatt. Ich selber hatte einen wesentlichen Teil meiner linken
gewerkschaftlichen Tätigkeit mit der Herausgabe dieser Zeitung verbracht und
war lange Zeit Mitglied der Redaktion gewesen. Wir erhielten keine Antwort.
Darauf schickten wir den Artikel der Woz, quasi als Diskussionsbeitrag. Auch
darauf gab es keine Antwort. Die Zeit drängte, und ich war beleidigt.
Allgemein härtere Gangart
Ich nahm
Kontakt mit Alex Baur auf, dem bekannten Journalisten der Weltwoche.
Dieser erklärte sich bereit, unseren Artikel zu veröffentlichen. Nun war ja die Weltwoche schon
damals das Feindbild der Linken und ihr Herausgeber Köppel ein Scharfmacher von
Blochers Gnaden in deren Augen. Das war auch meinen Kollegen zu viel. Sie
konnten sich nicht dazu durchringen, diesen Artikel in ihrem Namen in diesem
Blatt zu veröffentlichen. Ich tat es daraufhin in eigener Verantwortung und
schrieb, durchaus etwas schelmisch, «im Namen von vier linken Lehrkräften».
Ich war
auf einiges gefasst. Aber die Reaktionen meiner linken Mitstreiter überraschten
sogar ein altes Schlachtross wie mich. «Schweinehund», «Blocher-Geselle»,
«Verräter» – über mich ergoss sich die ganze Palette linker moralischer
Empörungsbegriffe, die in dieser ohnehin schon aufgeheizten Atmosphäre zur
Verfügung standen. Viele Parteimitglieder forderten meinen Ausschluss, ein
leitendes Mitglied meiner Sektion meinte gegenüber der lokalen Presse, man
werde geeignete Massnahmen ergreifen.
Der
damalige Nationalrat und Präsident der Grünen, Ueli Leuenberger, reiste nach
Biel, um seine Sicht der Dinge, sprich: seine Integrationsvorstellungen
vorzustellen. Er pries die Integrationsbemühungen seiner Stadt Genf und
verurteilte meine Stellungnahme als Fremdenfeindlichkeit übelster Sorte. Auch
mein ehemaliger Freund und Mitarbeiter der Gewerkschaftszeitung, Ruedi Tobler,
schrieb mir: «Dein Artikel ist einfach nur schlecht!» Die Folge: Ich konnte
über vier Jahre nichts mehr in «meiner» Verbandszeitung, die ich ja massgeblich
mitgeprägt hatte, schreiben. Eine Veranstaltung zur neuen Schulordnung, die ich
im Namen der Grünen Partei noch vor der Veröffentlichung organisiert hatte,
wurde von meinen Parteimitgliedern boykottiert. Es erschien genau eine Person.
Die
Menschen wechselten die Strassenseite, wenn sie mich sahen. Neben der Untat, in
derWeltwoche publiziert zu haben, hatten wir noch einen zweiten
Tabubruch begangen. Wir hatten nämlich erklärt, dass sich nicht alle
Migrantengruppen mit unserem Bildungssystem schwertäten. Wir bekundeten nämlich
kaum Probleme mit Italienern, Spaniern, Russen, Vietnamesen und so weiter.
Wir
nannten die schwierigen Bevölkerungsgruppen beim Namen. Muslimische Schüler,
Brasilianer, zum Teil auch Afrikaner. Zugegeben, das alles war, im Rückblick
gesehen, doch etwas viel für meine ehemaligen Mitstreiter.
Trotzdem
gab es auch die anderen Reaktionen. Neben vielen Lehrkräften und einigen
Freunden hielt mir besonders und überraschenderweise eine Gruppe die Stange,
unaufgeregt und unaufgefordert. Es waren die Migrantenvereine, die Kurden, die
Albaner, die vielen Ex-Schülerinnen und -Schüler, die mich als Lehrer kannten
und eines wussten: «Dieser Mann ist unser Anwalt. Er forderte und förderte. Er
interessierte sich für uns.» Ich wurde eingeladen, auf offener Strasse
beglückwünscht – und bald darauf Adressat eines weiteren Problems innerhalb
unserer muslimischen Gemeinde. Mit Nicolas Blancho und seinem Islamischen
Zentralrat war eine radikale Ausprägung des Islam entstanden, welche vor allem
junge Jugendliche in ihren Bann zog. Junge Erwachsene verschwanden plötzlich in
sogenannten Islamschulen, verzweifelte Eltern meldeten sich nicht bei den
wegschauenden Integrationsbehörden, sondern bei mir. Die Revision wurde
bekanntlich mit über 70 Prozent der Stimmen angenommen. Eine vernichtende
Niederlage des links-grünen Milieus, das nicht einmal das eigene Lager hinter
sich scharen konnte.
Die
heutige Migrationsdebatte leidet zwar immer noch an Denkverboten und kann
phasenweise wieder in Hysterie umschlagen. Rückblickend lässt sich aber
feststellen: Grundsätzlich hat sich ein pragmatischer Stil im Umgang mit den
Kindern unserer Einwanderer durchgesetzt. Die Rhetorik unseres
Weltwoche-Artikels gehört heute längst zum üblichen Vokabular vieler linker
Politiker, Sozialarbeiter und Schulleiter.
Die
Schulen reagieren heute viel klarer auf muslimische Sonderwünsche und lassen
sich kaum mehr auf der Nase herumtanzen. Eine allgemein härtere Gangart
gegenüber Disziplinlosigkeiten wurde eingeschlagen, zum Vorteil unserer
Schüler und vor allem auch unserer Migrantenkinder. Chaos im Unterricht will niemand.
Der neue
Chefredaktor des VPOD-Magazins Bildungspolitik, Johannes Gruber, lässt mich
wieder schreiben, in der Weltwoche publizieren heute auch
andere Linke wie Cédric Wermuth oder Peter Bodenmann. Mit der erfolgreichen Basler
Zeitung unter Markus Somm ist ein neuer liberaler Verbündeter
aufgetaucht, der das in unserer Demokratie wichtige checks and
balances-System verstärkt. Grundsätzlich orientieren sich die Medien heute
mehr an dem, was ist, und nicht mehr so stark an dem, was sein soll. Ich trat
aus der Grünen Partei aus und politisiere heute bei den Grünliberalen.
Vor
einiger Zeit war ich an eine Wohnungseinweihung eines ehemaligen Schülers
eingeladen. Der Bosnier mit Schweizer Pass, der 1994 als Flüchtling in die
Schweiz gekommen war, hat sich mit seinem Vater gerade ein eigenes Haus
gekauft. Die ganze Familie rackerte und sparte dafür. Geradezu begeistert war
er aber, als er schon wenige Tage nachdem er mit dem Verkäufer einig geworden
war, einen Termin beim Notar, der bereits das Grundbuch anvisiert hatte,
erhielt und merkte, dass er jetzt bald ein wirklicher Besitzer sein würde. In
seinem Heimatland hätte dies ein Jahr gedauert und wäre ohne Schwarzgeld kaum
möglich gewesen.
Integration bedeutet
Arbeitschancen
Im
Schweizer Arbeitsmarkt sind unsere ausländischen Mitbürger viel besser
integriert als im übrigen Europa. Und dies, obwohl die Schweiz ab 2000 im
Verhältnis wesentlich mehr Immigranten aufgenommen hat als etwa die USA. Sie
sind alle kranken- und altersversichert und pensionsberechtigt. Die Kinder des
Bosniers machen eine Lehre, und eine seiner Töchter ist Mitglied in dem von mir
gegründeten Lehrlings- und Migrantentheater Biel.
«Wer sich
anstrengt», vertraute mir der gelernte Polymechaniker an, «kann in diesem Land
etwas erreichen.» Und er ärgert sich wie ich über die Migrantenflüsterer,
welche die Schweiz als ein integrationsfeindliches Land darstellen und den
neuen Migranten eine Umwertung aller Werte vorpredigen: keine Leistung, viele
aufpäppelnde Sonderbetreuungen, Rassismusberatungsstellen und
Integrationsbehörden, welche ihr Geld vom Staat beziehen, die eigene
Institution in den Konkurs treiben und ihren ausländischen Klienten vor allem
eines suggerieren: «Wir sind doch alle Opfer.»
Integration
findet durch Arbeitschancen statt. Das ist, was zählt. Und wir müssen dafür
sorgen, dass dies auch so bleibt, gerade in Biel, wo diese Erfolgsstory ins
Stottern zu geraten droht. Und wir brauchen eine offene Debatte über die
Probleme, welche die Migration mit sich bringt. Dazu braucht es die Weltwoche genauso
wie die WOZ.
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