Das Bündner
Verwaltungsgericht hat einen Entscheid des Kantonsparlaments rückgängig
gemacht: Die Initiative «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule» ist doch
gültig.
Gezerre um die Fremdsprachen, NZZ, 12.5. von Peter Jankovsky
Graubünden
ist der einzige Kanton mit drei nationalen Sprachgruppen. Entsprechend
vielfältig gestaltet sich der Sprachunterricht, zumal noch die eigentlichen
Fremdsprachen hinzukommen. Die Vielfalt sei in der Primarschule zu gross, meint
eine Gruppe von Deutsch-Bündner Lehrern und Wirtschaftsleuten: Etliche
Volksschüler fühlten sich mit dem gleichzeitigen Unterricht einer Landessprache
und Englisch überfordert - was sich negativ auf die muttersprachliche Kompetenz
auswirke. Dies könnte später nachteilige Folgen im Berufsleben zeitigen.
Umsetzung «nicht
unmöglich»
Daher
lancierte die Gruppe im November 2013 erfolgreich die kantonale Volksinitiative
«Nur eine Fremdsprache in der Primarschule». Der Grosse Rat erklärte jedoch im
April 2015 mit deutlicher Mehrheit die Vorlage für ungültig, weil sie
kantonales sowie Bundesrecht verletze. Also legten die Initianten Einsprache
beim Verwaltungsgericht ein.
Wie
nun die Richter am Mittwoch mitgeteilt haben, scheint eine verfassungs- und
bundesrechtskonforme Umsetzung der Fremdsprachen-Initiative «nicht zum
Vornherein unmöglich». Sie konnten keinen offensichtlichen Verstoss gegen
übergeordnetes Recht entdecken und haben daher die Vorlage als gültig
bezeichnet. Gemäss dem Gericht kann man die Einschränkung des
Fremdsprachenunterrichts in der Primarschule durch Massnahmen auf der Oberstufe
wieder ausgleichen. Beispielsweise mittels einer Erhöhung der Wochenstunden
oder nach Niveau getrennter Klassen. Zudem liesse sich eine zweite Fremdsprache
auf Primarstufe als fakultatives Fach einführen.
Derlei
Massnahmen würden extrem teuer, erklärt Regierungsrat Martin Jäger. Zudem
verkomplizierten sie die schulischen Strukturen, weil davon jede Gemeinde
betroffen wäre. Der Erziehungsdirektor hatte dem Grossen Rat die Vorlage zur
Ablehnung empfohlen: Sie diskriminiere die Bündner Sprachminderheiten und
verletze damit Bundesrecht. Während die deutschsprachige Mehrheit der Bündner
Grundschüler sich ausschliesslich dem Frühenglischen widmen würde, hätten die
italienisch- und romanischsprachigen Kinder gar kein Englisch - ein
Wissensrückstand von vier Jahren wäre die Folge. Überdies steht die Initiative
laut Jäger im Widerspruch zu den schulischen Harmonisierungsbestrebungen
zwischen den Kantonen. Das sieht auch das Verwaltungsgericht ein, stellt aber
gleichzeitig fest, der nationale Sprachenkompromiss sei rechtlich nicht
bindend. Und dank den erwähnten Massnahmen lasse sich eine Diskriminierung der
Sprachminderheiten vermeiden.
Gang vors höchste Gericht
Der
Erziehungsdirektor wartet nun ab, ob das Gerichtsurteil in Kraft tritt, und
legt gegebenenfalls dem Grossen Rat eine Botschaft zur Initiative vor. Der
Interessenverein Pro Grigioni Italiano (Pgi) jedoch wird handeln: Man
beabsichtige, sich ans Bundesgericht zu wenden, sagt Pgi-Repräsentant Giuseppe
Falbo. Dass die Initiative Bundesrecht verletze, bezeugten die Gutachten zweier
renommierter Rechtsprofessoren. In Falbos Augen stellt die
Fremdsprachen-Initiative nicht nur eine Diskriminierung der Schüler
italienischer und rätoromanischer Muttersprache dar - sondern auch eine
Abwertung dieser Minderheitensprachen in Deutsch-Bünden.
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