12. Mai 2016

Neue Runde im Sprachenstreit Graubündens

Das Bündner Verwaltungsgericht hat einen Entscheid des Kantonsparlaments rückgängig gemacht: Die Initiative «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule» ist doch gültig.
Gezerre um die Fremdsprachen, NZZ, 12.5. von Peter Jankovsky

Graubünden ist der einzige Kanton mit drei nationalen Sprachgruppen. Entsprechend vielfältig gestaltet sich der Sprachunterricht, zumal noch die eigentlichen Fremdsprachen hinzukommen. Die Vielfalt sei in der Primarschule zu gross, meint eine Gruppe von Deutsch-Bündner Lehrern und Wirtschaftsleuten: Etliche Volksschüler fühlten sich mit dem gleichzeitigen Unterricht einer Landessprache und Englisch überfordert - was sich negativ auf die muttersprachliche Kompetenz auswirke. Dies könnte später nachteilige Folgen im Berufsleben zeitigen.

Umsetzung «nicht unmöglich»
Daher lancierte die Gruppe im November 2013 erfolgreich die kantonale Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule». Der Grosse Rat erklärte jedoch im April 2015 mit deutlicher Mehrheit die Vorlage für ungültig, weil sie kantonales sowie Bundesrecht verletze. Also legten die Initianten Einsprache beim Verwaltungsgericht ein.

Wie nun die Richter am Mittwoch mitgeteilt haben, scheint eine verfassungs- und bundesrechtskonforme Umsetzung der Fremdsprachen-Initiative «nicht zum Vornherein unmöglich». Sie konnten keinen offensichtlichen Verstoss gegen übergeordnetes Recht entdecken und haben daher die Vorlage als gültig bezeichnet. Gemäss dem Gericht kann man die Einschränkung des Fremdsprachenunterrichts in der Primarschule durch Massnahmen auf der Oberstufe wieder ausgleichen. Beispielsweise mittels einer Erhöhung der Wochenstunden oder nach Niveau getrennter Klassen. Zudem liesse sich eine zweite Fremdsprache auf Primarstufe als fakultatives Fach einführen.

Derlei Massnahmen würden extrem teuer, erklärt Regierungsrat Martin Jäger. Zudem verkomplizierten sie die schulischen Strukturen, weil davon jede Gemeinde betroffen wäre. Der Erziehungsdirektor hatte dem Grossen Rat die Vorlage zur Ablehnung empfohlen: Sie diskriminiere die Bündner Sprachminderheiten und verletze damit Bundesrecht. Während die deutschsprachige Mehrheit der Bündner Grundschüler sich ausschliesslich dem Frühenglischen widmen würde, hätten die italienisch- und romanischsprachigen Kinder gar kein Englisch - ein Wissensrückstand von vier Jahren wäre die Folge. Überdies steht die Initiative laut Jäger im Widerspruch zu den schulischen Harmonisierungsbestrebungen zwischen den Kantonen. Das sieht auch das Verwaltungsgericht ein, stellt aber gleichzeitig fest, der nationale Sprachenkompromiss sei rechtlich nicht bindend. Und dank den erwähnten Massnahmen lasse sich eine Diskriminierung der Sprachminderheiten vermeiden.

Gang vors höchste Gericht
Der Erziehungsdirektor wartet nun ab, ob das Gerichtsurteil in Kraft tritt, und legt gegebenenfalls dem Grossen Rat eine Botschaft zur Initiative vor. Der Interessenverein Pro Grigioni Italiano (Pgi) jedoch wird handeln: Man beabsichtige, sich ans Bundesgericht zu wenden, sagt Pgi-Repräsentant Giuseppe Falbo. Dass die Initiative Bundesrecht verletze, bezeugten die Gutachten zweier renommierter Rechtsprofessoren. In Falbos Augen stellt die Fremdsprachen-Initiative nicht nur eine Diskriminierung der Schüler italienischer und rätoromanischer Muttersprache dar - sondern auch eine Abwertung dieser Minderheitensprachen in Deutsch-Bünden.


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