Um
im Bildungswesen den gegenwärtigen Herausforderungen adäquat zu begegnen,
fordert Rolf Arnold in seinem Gastkommentar «Es dämmert - nach vorn. Wider diePolemiken gegen die neue Lernkultur» (NZZ 19. 4. 16), das bisherige Konzept
«<Learning from the past> dringend zu modifizieren» und sich von der
«Fixierung auf Inhalte [zu] lösen».
Leserbrief, NZZ, 29.4. von Herbert Birchler
Wovon aber soll der Mensch lernen, wenn
nicht aus den Erfahrungen und Fehlern der Vergangenheit? Der wesentliche Zweck
dabei ist nicht die Anhäufung von Faktenwissen, sondern schlicht eine Tätigkeit
namens Denken: Nur so erhält der Mensch die Gelegenheit, zu kombinieren, zu
vergleichen, Zusammenhänge zu erkennen, Schlüsse zu ziehen und somit
Urteilskraft und Orientierung zu erlangen, nach wie vor keine unwesentlichen Schlüsselkompetenzen.
Warum eigentlich sich solche Kompetenzen nicht losgelöst von, sondern an
sorgfältig ausgewählten und als relevant beurteilten Inhalten aneignen? Fehlt
diese Auswahl, nähert man sich bedenklicher Inhaltsbeliebigkeit.
Eine
weitere Aussage des Pädagogikprofessors erstaunt: Er spricht von einer
«skandalös geringen Nachhaltigkeit des bisherigen Lernens», wobei «die
Kenntnisse mehrerer Schuljahre oft fast vollständig verblassen». Klar, ich kann
nicht mehr alle Latein-Vokabeln runterschnarren, die ich einmal mühselig
büffeln musste; klar, ich kann nicht locker aus dem «Faust» rezitieren, mit dem
ich mich wochenlang abgemüht habe. Aber meine damaligen Bemühungen speisen mein
Selbstvertrauen bis heute, somit also die auch für Rolf Arnold zentralen
Lehrziele «Persönlichkeitsstruktur» und «Verhaltenssicherheit».
Der
moderne Lehrer soll weniger «steuern» und «belehren» als vielmehr die Lernenden
beim Suchen «begleiten» und «beraten». Ausser dass in der Praxis zwischen
diesen Aktivitäten kaum unterschieden werden kann: Wonach soll man denn suchen?
Muss nicht zuerst mindestens die Richtung gewiesen werden, bevor der arme
Suchende überhaupt etwas finden kann? Wozu braucht es denn noch den Lehrer,
wenn der sein profundes Wissen, sein orientierendes Urteil nicht mehr anbringen
darf? Und worin genau unterscheidet sich die «notwendige Gestaltung von
Kontexten für die selbstorganisierte Aneignung» von der beklagten «Steuerung»
durch den ach so autoritär Dozierenden?
Nein,
die meisten Modelle der sogenannten neuen Lernkultur vermögen gedanklich und
pädagogisch immer noch nicht zu überzeugen. Im Gegenteil: In dieser Form
verraten sie im Grunde genommen eine veraltete Denkweise und sind gerade nicht
geeignet, den neuen Zeiten wirksam zu begegnen.
Herbert Birchler, Zürich
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