Der
Kanton Thurgau will das Frühfranzösisch in der Primarschule abschaffen.
Appenzell Innerrhoden hat das vor rund 15 Jahren bereits getan. Und will nicht
mehr zurück. Denn die Erfahrungen seien positiv.
Glücklich mit dem Non, Thurgauer Zeitung, 8.4. von Christian Kamm
Alle kritisieren den Thurgau und seine Absicht, das Frühfranzösisch aus dem
Lehrplan der Primarschule zu kippen. Wirklich alle? Nein, ein kleiner
Halbkanton in der Ostschweiz hat das, was der Thurgau möchte, schon längst
selber getan. Seit 2001 wird in Innerrhoder Primarschulen Frühenglisch
unterrichtet – auf Kosten von Frühfranzösisch. Nicht zum Nachteil der
Französischkenntnisse der Schulabgänger, ist man in Appenzell Innerrhoden nach
15 Jahren Erfahrung von diesem Weg überzeugt.
Die
Stimme des Praktikers
Der
Innerrhoder Ständerat Ivo Bischofberger (CVP) beispielsweise kann mit der
Autorität eines Praktikers sprechen, der damals in der Pionierphase hautnah
dabei gewesen ist. Bischofberger war bis 2010 zehn Jahre lang Rektor am
Gymnasium Appenzell. Er sagt über die Erreichung der Lernziele auch ohne
Frühfranzösisch: «Es geht, das kann ich klar bestätigen.» Aber: Analog zu den
heutigen Plänen im Thurgau wurden auch in Innerrhoden die Französischpensen auf
der Oberstufe entsprechend aufgestockt.
Das
Gymnasium Appenzell stand laut Bischofberger vor einer speziellen
Herausforderung. Die meisten Schüler wechseln nach der sechsten Klasse ins
Kollegium, wie die Kanti in Innerrhoden heisst. Dort drücken jedoch nicht nur
Innerrhoder die Schulbank. «Wir hatten Schüler aus Innerrhoden mit
Frühenglisch, aber null Französischkenntnissen, Ausserrhoder mit
Frühfranzösisch, bis 2008 aber ohne Englisch und mussten das alles auffangen»,
blickt Bischofberger zurück.
«Wenn man
will, dann geht's»
Gelöst
wurde diese heterogene und entsprechend schwierige Ausgangslage mit einer
Schnittstelle nach zwei Jahren. Dann, so das Ziel der Schule, sollten alle
Schüler des Kollegiums punkto Französisch und Englisch auf demselben Level die
verbleibenden vier Jahre bis zur Matura in Angriff nehmen. «Das ist uns
gelungen», bilanziert Bischofberger. «Wenn man wirklich will, dann
funktioniert's. Aber es braucht einen gewissen Aufwand.» Klagen von
weiterführenden Schulen, dass die Innerrhödler einen Rückstand beim Französisch
hätten, sind Bischofberger jedenfalls nie zu Ohren gekommen.
Norbert
Senn, Chef des Innerrhoder Volksschulamtes, verweist an diesem Punkt auch auf
die Maturaquote, die 2014 sogar leicht über dem schweizerischen Durchschnitt
lag. Zwar hat der Halbkanton die Französischkenntnisse seiner Schulabgänger nie
speziell evaluiert. Senn bestätigt aber, dass es keine negativen Rückmeldungen
etwa von Berufsschulen gibt. Was den Amtschef nicht überrascht. Auf der
Primarstufe unterrichte eine nicht auf Sprachen spezialisierte Lehrperson
Frühfranzösisch als eines unter acht oder neun Fächern, gibt Senn zu bedenken.
Hingegen betreue auf der Oberstufe eine speziell für Fremdsprachen ausgebildete
Lehrkraft homogene Niveauklassen – und das in höherer Lektionendotation. Hier
sei deutlich effizienteres Lernen möglich. «Wir stehen zu unserem Weg und sind
überzeugt, dass es ein guter Weg ist.»
Kantonswechsel
ein Problem
Immerhin:
Einen Einwand gegen die Aufkündigung des Sprachenkompromisses durch die
Streichung des Frühfranzösisch lässt auch Ständerat Bischofberger gelten: Wenn
ein Schüler ohne Frühfranzösisch in einen Kanton mitwechselt. Deshalb brauche
es vor dem Entscheid, auf Frühfranzösisch zu verzichten, auch eine
Güterabwägung. Nicht zuletzt müsse man sich die Frage stellen: «Wie viele
Schüler sind überhaupt betroffen?»
Senn
verweist auf die Problematik der Migrantenkinder, die bekanntlich in der Schule
überall bei null beginnen müssten. «Verglichen damit ist die Migration
innerhalb der Schweiz doch kein Problem.»
So
geschlossen sich beide hinter den Innerrhoder Weg stellen, so entschieden
lehnen sie eine mögliche Intervention des Bundes ab. «Ein Eingreifen des
Bundesrates wäre höchst problematisch. Das darf keine Option sein», so
Bischofberger. Ein gewisser Wettbewerb unter den Kantonen sei eine Stärke der
Schweiz, sagt Senn. Dieser bringe mehr, «als alles zu reglementieren».
Lehrmittel
erneuern
Bleibt
die Frage der Lehrmittel. Die Neueren sind alle auf eine Schule mit
Frühfranzösisch ausgerichtet. Senn räumt denn auch ein, dass hier etwas
geschehen müsse und ein Lifting nötig sei. «Wir sind interessiert, mit andern
Kantonen etwas Neues zu machen.» Also auch bald mit dem Thurgau? Senn selber
dürfte dieser Kontakt über die Kantonsgrenze hinweg nicht allzu schwer fallen.
Er ist zwar Amtsleiter in Innerrhoden, aber von Haus aus ein Thurgauer. Und er
sitzt in seinem Wohnkanton Thurgau auch im Grossen Rat.
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