23. August 2015

"Doppeltes Fremdsprachenobligatorium auf Dauer nicht haltbar"

Mit Beginn des neuen Schuljahres dürfte der Fremdsprachenunterricht auf der Sekundarstufe I (noch) anspruchsvoller werden. Erstmals nämlich sind jetzt Schülerinnen und Schüler in die Oberstufe eingetreten, die bereits vier Jahre Französisch und zwei Jahre Englisch in ihrem Schulrucksack mitbringen. Eine Herausforderung bedeutet dies vor allem für jene, die innerhalb der Sek B (Basisanforderungen) im Rahmen der Speziellen Förderung unterstützt werden.
Zwei Fremdsprachen als Pflicht: "Das lässt sich auf Dauer nicht halten", Solothurner Zeitung, 22.8. von Elisabeth Seifert



«Die Leistungsunterschiede werden noch grösser», prognostiziert Beat Weber. Er ist Schulischer Heilpädagoge an der Oberstufe Wasseramt Ost und weiss aus Erfahrung, wie schwer es seinen Schützlingen oft fällt, eine Fremdsprache zu erlernen. «Dieses Problem wird sich künftig weiter akzentuieren», ist er überzeugt. Für ihn steht denn auch fest: «Das doppelte Fremdsprachenobligatorium für alle Schülerinnen und Schüler lässt sich auf Dauer nicht halten.»
Beat Weber ist mit dieser Haltung nicht alleine. Auch für den Verband der Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO) bildet das Fremdsprachenobligatorium auf der Sekundarstufe I einen Knackpunkt der Speziellen Förderung. Anders beurteilt die Mehrheit der Volksschullehrkräfte die Situation in der Primarschule. In den (früheren) Kleinklassen auf beiden Schulstufen erhielten die Kleinklassenlehrpersonen weitgehende Kompetenzen, welche Schüler Fremdsprachenlektionen besuchten – oder eben nicht.
Restriktive gesetzliche Regelung
«Es geht natürlich nicht darum, dass Sek-B-Schüler, die keine Lust haben, Französisch und Englisch zu lernen, einfach vom Fremdsprachenunterricht dispensiert werden», unterstreicht Beat Weber. Für Jugendliche aber, die bereits in anderen Fächern individuelle Lernziele (=Förderstufe B) haben, sollte diese Möglichkeit bestehen, so der Heilpädagoge. Gemäss der aktuellen Verordnung zum Volksschulgesetz ist «die Dispensation von einzelnen Fächern nur ausnahmsweise und bei Vorliegen besonderer Umstände möglich». An der Oberstufe Wasseramt Ost – und nicht nur hier – wird diese restriktive Regelung bei Dispensationen vom Fremdsprachenunterricht pragmatisch ausgelegt. Die Schüler der 1. Sek B besuchen grundsätzlich alle den Unterricht in Französisch und Englisch. In den Klassen der 2. und 3. Sek B werden durchschnittlich 2 von 16 Jugendlichen von einer Fremdsprache dispensiert.
Die Oberstufe Wasseramt Ost mit den beiden Schulstandorten in Subingen und Derendingen hat die Spezielle Förderung und allfällige Dispensationen im Bereich der Fremdsprachen in einem schuleigenen Konzept geregelt. Dazu gehört, dass in der 1. Sek B alle am Fremdsprachenunterricht teilnehmen. «Wir haben festgestellt, dass einige Kinder nach dem Übertritt in die Sek B erfreuliche Leistungssteigerungen erreichen», so Weber. In der Mathematik, im Deutsch und manchmal auch in den Fremdsprachen. Weber führt dies unter anderem auf die kleineren Klassen zurück.
Dann aber gibt es immer Schüler, die in mehreren Fächern – und auch in den Fremdsprachen – auf die Förderung mittels individueller Lernziele angewiesen sind. Bei ausgeprägten Lernschwierigkeiten, und nach einer Förderphase ohne positive Auswirkungen, werde in engem Kontakt mit den Eltern abgeklärt, ob eine Dispensierung ab der zweiten Klasse angezeigt wäre. Den Antrag stellen in einem solchen Fall die Eltern, mitunterzeichnet wird dieser von der Klassen- und Förderlehrperson, bevor das Gesuch dann vom Schulleiter beurteilt wird. «Es müssen alle Beteiligten, auch der Schüler selber, mit einem solchen Schritt einverstanden sein.»
Förderung im «Lernatelier»
Die Eltern werden dabei auch auf die Nachteile einer Fremdsprachen-Dispensierung hingewiesen, betont Weber. Beispielsweise sind für die Berufslehren zur Detailhandelsfachfrau und zum Koch entsprechende Fremdsprachenkenntnisse Voraussetzung.
Für die meisten handwerklichen Berufe indes gehören weder Französisch noch Englisch in der Berufsschule zu den Kernkompetenzen. Deshalb erachtet Beat Weber eine Dispensierung für vertretbar. Dies um so mehr, weil die betreffenden Schüler während des Fremdsprachenunterrichts ihrer «Gspänli» im Rahmen eines «Lernateliers» in den übrigen Schulfächern unter der Anleitung einer Förderlehrperson gefördert werden. Weber: «Die Schüler beschäftigen sich hier mit jenen Lerninhalten, die für ihren erfolgreichen Besuch der Berufsschule entscheidend sind.» In erster Linie sind dies Deutsch und Mathematik.
In der Prim ein Motivationsfaktor
In der Primarschule, wo die Fremdsprachen  im Unterschied zur Sek I für die Promotion keine Rollen spielen, präsentiert sich die Situation etwas anders. «Wir haben bei den Fremdsprachen einen höhen Beurteilungsspielraum, den wir auch nützen», sagt Rolf Meyer, Schulischer Heilpädagoge an der Primarschule Balsthal. Es ist denn auch eher selten der Fall, dass Kinder in den Fremdsprachen individuelle Lernziele (=Förderstatus B) haben – und damit keine Note im Zeugnis. Der Französisch- und Englischunterricht sei gerade auch für schulisch schwächere Kinder eine Möglichkeit, am Unterricht zu partizipieren, beobachtet Meyer.«Oft haben sie in den Fremdsprachen ein Erfolgserlebnis.»
Das erkläre sich auch damit, dass die Kinder in der Primarschule erst damit beginnen, Französisch und Englisch zu lernen. In dieser Phase, so Meyer, zeigen sich die Leistungsunterschiede noch weniger deutlich. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben sogar gewisse Vorteile, weil sie auf ihre Erfahrungen beim Erlernen der deutschen Sprache aufbauen können.
Die neue Art des Fremdsprachenunterrichts, der zu Beginn vor allem das Hörverständnis und das Sprechen in den Vordergrund rückt, komme den Bedürfnissen schwächerer Schüler entgegen. Die Lehrpersonen hätten mittlerweile zudem Erfahrung darin, den Unterricht differenziert auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder auszurichten. Das habe dann auch den Effekt, dass die knapp bemessenen Förderlektionen nur selten für die Unterstützung im Bereich Fremdsprachen eingesetzt werden müssen.



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