Die Euphorie rund um den frühen Fremdsprachenunterricht ist
verflogen und hat einer weit um sich greifenden Ernüchterung Platz gemacht.
Erinnern wir uns, was uns die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) mit der
Einführung des neuen Sprachenkonzepts 2004 versprochen hat: Die Kinder würden
spielerisch leicht und schnell Fremdsprachen lernen. Grobe Fehlinterpretationen
der vorhandenen Forschungsresultate führten zur grotesken, aber populären
Behauptung, Kinder lernten eine Sprache im schulischen Umfeld schneller als
Jugendliche oder Erwachsene. Die Faktenlage entzaubert diese Wunschträume
unserer schlecht beratenen Bildungschefs: Eine Studie nach der anderen zeigt
dasselbe Resultat: Erfolgreicher Unterricht an der Primarschule ist mit zwei
bis drei Wochenlektionen in einer Fremdsprache nicht zu schaffen.
Entzauberte Wunschträume, Basler Zeitung, 13.4. von Urs Kalberer
In
starkem Kontrast dazu treten regelmässig Exponenten der Pädagogischen
Hochschulen (PH) an die Öffentlichkeit und beschwören das Festhalten an zwei
Primarfremdsprachen. Diese offensichtliche Diskrepanz zur Forschung in der
Frage der Effizienz und Nachhaltigkeit unseres Fremdsprachenkonzepts ist nicht
nachvollziehbar. Wie ideologisch argumentieren unsere Pädagogischen
Hochschulen? Diese Frage stellt sich besonders nach dem Beitrag von FrauProfessor Le Pape Racine in dieser Zeitung. Verständigung auf Englisch
bedeutet für sie keine positive Horizonterweiterung (was sie fürs Französische
gerne in Anspruch nimmt), sondern den Verlust der französischsprachigen Kultur.
Dagegen kennt sie nur ein Heilmittel: möglichst früh mit dem
Französischunterricht beginnen. Angesichts solcher Thesen fällt auf, wie wenig
Disput die Sprachenfrage innerhalb der PH auslöst. Das ist, besonders bei
diesem brisanten Thema, kein Ruhmesblatt für die teuren Forschungsabteilungen
dieser Hochschulen. Fortschritt lebt von der Auseinandersetzung – es scheint,
als ob sich die Lehrerbildungsanstalten hier aus taktischen Gründen einen
Maulkorb umhängen würden und sich auf das Wiederholen von Parolen beschränkten.
Mitverantwortlich für das Debakel ist auch die obligatorisch verordnete neue
Fremdsprachendidaktik, bekannt unter dem schillernden Begriff «Didaktik der
Mehrsprachigkeit». Dieses pädagogische Schlagwort (wer könnte etwas gegen
Mehrsprachigkeit einwenden?) soll darüber hinwegtäuschen, dass junge
Primarschüler eben noch nicht in der Lage sind, Strukturen zu erkennen und
anzuwenden. Die falsch verstandene Inhalts- und Handlungsorientierung,
verbunden mit einer umstrittenen Fehlerkultur, bremsen die spärlichen
Lernfortschritte zusätzlich. Die Promotoren des frühen Fremdsprachunterrichts
stehen argumentativ mit dem Rücken zur Wand. In ihrer Not spielen sie auf Zeit.
Jahrelang werden nun schon Erfahrungen gesammelt. Nachdem der Lehrplan 21
inklusive der beiden Frühfremdsprachen mit viel Einsatz am Volk vorbei ins
Trockene gebracht wurde, kündigt die EDK aufs Jahr 2015 eine Bilanz an. In der
Nordwestschweiz lässt man sich damit sogar noch bis 2018 Zeit. Es wird
vertröstet, verzögert und verschleiert. Und wenn dringend Rechtfertigungen
gebraucht werden, sind die Sündenböcke schnell benannt: Es sind die Lehrkräfte,
die zu wenig Sprachkompetenz hätten oder die anspruchsvollen didaktischen
Konzepte noch nicht begriffen hätten. Die grösste Schlaumeierei ist aber, wenn
angesichts der enttäuschenden Resultate plötzlich nicht mehr das Erlernen einer
Fremdsprache, sondern das Eintauchen in eine andere Kultur im Vordergrund
steht. Weshalb dies ausgerechnet im Alter von neun Jahren geschehen soll und
der nationale Zusammenhalt somit von Primarschülern abhängt, bleibt nach wie
vor offen.
Damit
es klar ist: Wir alle wollen, dass unsere Kinder möglichst erfolgreich zwei
Fremdsprachen lernen. Das ist grundsätzlich auch möglich. Doch der von der EDK
eingeschlagene und von den Pädagogischen Hochschulen vehement verteidigte Weg
führt ins Abseits. Die Schule ist im Würgegriff der frühen Fremdsprachen. Diese
können nicht nachhaltig unterrichtet werden, kosten viel Geld und verdrängen
andere wichtige Fächer aus dem Stundenplan. Allein das Fach Französisch hat
während der Primarschule einen Lektionsbedarf, der den Deutschlektionen von
zwei ganzen Schuljahren entspricht. Anstatt eine ganze Schülergeneration zu
Leidtragenden einer missglückten Reform zu machen, ist handeln angesagt. Ein
späterer Beginn des Fremdsprachenunterrichts bei einer gleichzeitig höheren
Lektionenzahl ist in jedem Fall der heutigen Regelung vorzuziehen.
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