13 Kinder aus 7 Nationen besuchen die Integrationsklasse, Bild: Oliver Menge
Wie funktioniert Unterricht mit ausschliesslich fremdsprachigen Kindern? Solothurner Zeitung, 26.3. von Oliver Menge
«Der Hase, der
Esel, der Hahn. Aber die Katze, die Ziege, die Schlange», Lehrerin Annette
Kofmel schiebt Karten mit Zeichnungen der entsprechenden Tiere verdeckt auf dem
Tisch umher. Ein paar Kinder sitzen rings herum und sprechen gemeinsam: «Wo ist
der Hase? Hier ist kein Hase.» Eines der Kinder tippt auf eine Karte, die
Lehrerin dreht sie um – es ist der Hase. Begeistert reisst der kleine Henry die
Arme hoch, er hat gewonnen.
Dies ist nur
eine der vielen verschiedenen Möglichkeiten, wie die Kinder die deutsche
Sprache erlernen. Denn dies steht in dieser Klasse im Vordergrund. Sie wird
nämlich ausschliesslich von fremdsprachigen Kindern besucht, die mit ihren
Eltern erst vor kurzem in die Schweiz gekommen sind. «Dabei handelt es sich um
Flüchtlinge, Asylbewerber, aber auch um Ausländer mit einer
Aufenthaltsbewilligung, die hier arbeiten», erklärt Annette Kofmel, welche die
sogenannte Integrationsklasse im Schulhaus II schon seit 11 Jahren führt. «Die
Kinder sprechen am Anfang kein einziges Wort Deutsch, man verständigt sich oft
mit Händen und Füssen, Mimik und Gestik und sehr oft mit Bildern», erklärt sie.
Ein Jahr lang
besuchen die Mädchen und Buben die Integrationsklasse jeweils am Morgen für
vier Lektionen. Daneben besuchen sie den normalen Unterricht in ihrer
Stammklasse. Nicht nur die deutsche Sprache wird in der Integrationsklasse
unterrichtet, sondern auch Mathematik, wo die Kinder oft grosse Defizite
aufweisen.
Ein wichtiger
Teil des Unterrichts besteht auch darin, den Kindern die hiesigen Bräuche und
Lebensgewohnheiten, den Umgang untereinander und soziale Umgangsformen
näherzubringen. «Die Kinder sind zwar nicht verwöhnt. Sie haben schon früh
lernen müssen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, denn meist schlafen sie mit
ihren Geschwistern zusammen im selben Raum zu zweit oder zu dritt. Man kann
ihnen mit wenig grosse Freude bereiten.»
Aber doch ist
das für sie hier eine neue Welt, eine andere Kultur. «Ich erzähle ihnen, wie wir
hier leben, dass wir zum Beispiel für Ostern Eier färben, weil das für uns ein
freudiges Ereignis ist. Und sie erzählen von speziellen Bräuchen ihrer
Herkunftsländer.» Der Kulturaustausch sei wichtig, man sei bestrebt, eine
Brücke vom Herkunftsland zur Schweiz bauen zu helfen, und lebt die
Wertschätzung aller verschiedenen Kulturen. Man könne den Kindern so helfen,
einen allfälligen Kulturschock zu überwinden. Religion spiele dabei keine
Rolle, sagt Kofmel.
13 Kinder aus sieben Nationen
Momentan
besuchen 13 Kinder aus sieben verschiedenen Nationen die Integrationsklasse.
Sie sind im Alter zwischen 8 und 14 Jahren und besuchen die Schule seit dem
Zeitpunkt ihrer Ankunft in Grenchen – ein normales Schuljahr, das nach den
Sommerferien beginnt, gibt es nicht.
Die
Zusammensetzung nach Nationalitäten richtet sich auch nach den internationalen
Krisen: «Letztes Jahr hatten wir sehr viele Eritreer, vor Weihnachten waren
insgesamt 17 Kinder in der Klasse. Ich musste eine Assistenz beantragen, das war
alleine nicht mehr zu bewältigen.» Für dieses Jahr rechnet sie mit einer
Zunahme von Kindern aus Syrien, die mit ihren Familien vor dem Bürgerkrieg und
der Terrormiliz IS geflüchtet sind.
Kinder, die
schon einigermassen gut Deutsch verstehen, sprechen und schreiben können,
besuchen an einem oder zwei Morgen pro Woche den Unterricht in ihrer
Stammklasse. «Die Niveauunterschiede sind oft sehr gross, sodass ich in
verschiedenen Gruppen unterrichten muss und den Kindern ein Lehrprogramm ihrem
Niveau entsprechend bieten muss. Die Schere ist weit offen.» Zweimal die Woche
findet der Unterricht im Informatikraum am Computer statt, einmal für Deutsch,
einmal für Matheunterricht.
Eltern müssen Deutsch lernen
Die Eltern
spielten eine wichtige Rolle, erklärt Annette Kofmel: «Eltern, die sich hier
integrieren wollen, die hierbleiben und sesshaft werden wollen, sind in der
Regel selber bemüht, Deutsch zu lernen, und besuchen Deutschkurse. Kinder
solcher Eltern machen schneller Fortschritte, weil beide Teile voneinander profitieren
können.»
Andere Eltern
informiert sie anlässlich der Standortgespräche, die sie regelmässig
durchführt, über die verschiedenen Möglichkeiten und Angebote an Deutschkursen.
«Es gibt aber auch Fälle, in denen die Eltern eigentlich nur so schnell wie
möglich wieder weg möchten oder sonst irgendwelche Schwierigkeiten bestehen. Da
ist es manchmal fast aussichtslos, den Kindern etwas beibringen zu wollen.»
Gabriela und
Darlin stammen beide aus der Dominikanischen Republik. Sie sind Geschwister, er
ist 10 Jahre alt, seine Schwester 13. Und sie haben Streit. Denn bei der
Aufgabe, die sie lösen mussten, sich gegenseitig Sätze vorlesen und Artikel
ergänzen, fiel ein falsches Wort – auf Deutsch – und schon beginnt ein Streit,
der beleidigte Bruder will nicht mehr mit seiner Schwester üben, was diese
ziemlich kalt lässt. Annette Kofmel schlichtet den Streit der beiden und
besänftigt die Wogen mit einigen mahnenden Worten. Jedes für sich setzt nun
einen Text vom Präsens ins Imperfekt. Kontrollieren können die Kinder selber,
ob sie die Sache richtig gemacht haben.
«Das Wichtigste
überhaupt ist reden und den Kindern den ‹Schnabel wetzen›. Wichtig ist auch,
dass die Kinder Spass beim Deutschlernen haben, sonst ist das Ganze verlorene
Liebesmüh.» Dabei stelle sie den Unterricht in Zusammenhang mit einem aktuellen
Thema wie der Jahreszeit oder einem aktuellen Brauch, wie jetzt gerade Ostern.
Annette Kofmel
besucht jährlich Weiterbildungskurse und ist in puncto Deutschunterricht auf
dem neusten Stand. Bei den Lehrmitteln allerdings hapert es: «Es gibt zwar
geeignete Lehrmittel für Integration, aber ich habe noch keines gefunden, das
ich eins zu eins übernehmen könnte. Mein Unterrichtsmaterial habe ich selber
zusammengestellt», sagt die Lehrerin, und kontrolliert die Arbeiten eines
Jungen, der notorisch sein Heft zu Hause vergisst. «Bravo! Kein Fehler. Aber
morgen bringst du das Heft mit, versprochen?»
In der Woche
vom 23. bis 27. März finden im ganzen Kanton die traditionellen «Tage der
offenen Volksschule» statt. Sie gewähren Interessierten Einblick in den
Schulalltag des Kindergartens, der Primarschule und der Sekundarstufe I.
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