Der Nutzen von Primarfranzösisch ist nach wie vor umstritten, Bild: Keystone
Thurgau will Frühfranzösisch möglichst bald abschaffen, Tages Anzeiger, Anja Burri, 10.3.
Das
kommt selten vor im Parlament: Eine Abstimmung in einem kleinen Kanton ist das
Gesprächsthema im Bundeshaus. Die Nidwaldner, die sich am Sonntag klar für zwei
Fremdsprachen in der Primarschule ausgesprochen hatten, schafften es gestern
gar ins Protokoll des Nationalrats. «Als Westschweizer freue ich mich, dass
sich die Nidwaldner um den nationalen Zusammenhalt sorgen», so begann
Nationalratspräsident Stéphane Rossini (SP) die zweite Sessionswoche. «Vielen
Dank an Nidwalden!», sagte auch der Genfer SP-Nationalrat Manuel Tornare ins
Mikrofon, bevor er über den Aussenpolitischen Bericht sprach.
Während sich viele
nationale Parlamentarier und auch die Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren (EDK) über das Nidwaldner Bekenntnis zum Frühfranzösisch
freuen, treibt ein anderer Kanton die Abschaffung desselben unbeeindruckt
voran. Im Thurgau laufen die Vorbereitungsarbeiten auf Hochtouren, um den
Französischunterricht von der fünften Klasse auf die Sekundarstufe, also auf
die 7. Klasse, zu verschieben. «Die Arbeitsgruppe ist im Einsatz», sagt
Erziehungsdirektorin Monika Knill (SVP). Im vergangenen August hatte der Grosse
Rat eine entsprechende Motion überwiesen. Diesen parlamentarischen Auftrag
werde sie aufgrund nationaler Debatten nicht hinterfragen, sagt Knill.
Die Arbeitsgruppe aus
Vertretern des Erziehungsdepartements, Lehrkräften und Schulbehörden hat viele
Fragen zu klären. Es geht etwa darum, wie die Französischlektionen umverteilt
werden, welche Lehrmittel es braucht oder wie es möglich wäre, Französisch auf
der Primarstufe weiter als Freifach anzubieten. Das Ziel sei klar, sagt Knill:
«Unsere Schüler müssen am Ende der neunten Klasse gleich gut Französisch
sprechen wie die Schüler in anderen Kantonen.» Bis Ende Jahr soll das Konzept
vorliegen und in die Umsetzungsbestimmungen zum Lehrplan 21 einfliessen.
Anfang 2016 folgt eine kantonale Vernehmlassung. Der neue
Fremdsprachenunterricht soll schliesslich mit der geplanten Einführung des
Lehrplans 21 im Schuljahr 2017/18 beginnen.
Keine Angst vor dem Bund
Vor dem Machtwort des
Bundes fürchtet sich Knill derzeit nicht. «Der Thurgau steht in der Pflicht,
dass unsere Schüler am Ende gleich gut oder besser Französisch sprechen», sagt
sie. Und die Harmonisierungsbilanz der kantonalen Erziehungsdirektoren im Juni
komme sowieso zu früh, um ihren Kanton zu tadeln. «Bis zum Sommer 2017 erfüllen
wir die Sprachenstrategie der EDK», sagt sie. Falls der Bund die Kantone
tatsächlich zu einer einheitlichen Fremdsprachenumsetzung zwingen wolle, werde
der nationale Zusammenhalt anderweitig empfindlich geschwächt. «Das wäre für
die föderale Schweiz sehr bedauerlich», sagt sie.
Verbündete Lehrer
Anders als in Nidwalden
stehen im Thurgau auch die Lehrer hinter der Abschaffung des Frühfranzösisch.
«Jedes Kind in der Schweiz hat ein Recht auf gleichwertige Bildung am Ende der
Volksschule, sagt Anne Varenne, Präsidentin des Lehrerverbands Bildung Thurgau.
Der Weg dorthin müsse der Bund aber jedem Kanton selber überlassen. Im Thurgau
seien die Schüler mit zwei Fremdsprachen nicht überfordert. «Aber der heutige
Französischunterricht mit zwei Lektionen pro Woche ist einfach nicht
effizient», sagt sie. Zudem könnten die Sekundarschüler auf dem schwächeren
Niveau, der sogenannten Stammklasse G, das Französisch wieder abwählen. «Davon machen
viele Teenager Gebrauch», sagt Varenne. Mit einer Verschiebung des
Französischunterrichts auf die Sekundarstufe könne erstens die Zahl der
Lektionen pro Woche verdoppelt werden. Und zweitens wäre das Abwählen nicht
mehr möglich. Wie Knill ist auch die Lehrerpräsidentin überzeugt, dass die
Schüler besser Französisch sprechen werden als heute.
Ausgelöst hat die ganze
Entwicklung Verena Herzog, die vor zwei Jahren mit Mitstreitern die Motion im
Thurgauer Grossen Rat einreichte. Ziel sei es, dass die Primarschüler bessere
Grundlagen in Deutsch und Mathematik erhielten – bei mindestens gleich guten
Französischkenntnissen, sagt sie. Heute ist Herzog SVP-Nationalrätin und
verfolgt die Debatte ums Frühfranzösisch im Bundeshaus. «Es kann nicht sein,
dass der Zusammenhalt unseres Landes von Französischlektionen abhängt», sagt
sie. Die Art, wie die Primarschüler heute Französisch lernten, sei eine
Alibiübung. Aus ihrer Sicht sollten die Ostschweizer Kantone «gemeinsam den
gleichen Weg gehen». Weil die Gegner des Frühfranzösisch auch in Schaffhausen
oder St. Gallen stark seien, schätze sie diesen Plan als realistisch ein.
Einen möglichen
Verbündeten hat der Thurgau im Kanton Appenzell Innerrhoden. Dort lernen die
Schüler ab der 3. Klasse Englisch und ab der 7. Klasse Französisch. Die
Sprachenstrategie der EDK, wonach in der Primarschule zwei Fremdsprachen
unterrichtet werden müssen, wird nicht erfüllt. Eine Änderung ist bis jetzt
nicht geplant. «Wir fahren gut damit», sagt Ständerat Ivo Bischofberger (CVP),
einst Rektor des Gymnasiums Appenzell. Das hätten Untersuchungen gezeigt.
Solche «Sonderzüge»
möchte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard (SP) verhindern. Für ihn ist
klar: «Um unser viersprachiges Land zusammenzuhalten, sollen alle Primarschüler
eine zweite Landessprache lernen.» Das Bekenntnis aus Nidwalden reiche nicht.
«Das Parlament muss den Druck auf die Kantone aufrechterhalten», sagt er.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen