Die Schule kann Kinder krank machen, Bild: fotolia
Ärzte hinterfragen den Lehrplan, Thurgauer Zeitung, 11.3. von Fritz Bichsel
Schulprobleme machen krank. «Kinder, die den
Anforderungen der Schule nicht genügen, erscheinen über kurz oder lang in der
Kinderarztpraxis oder im Kinderspital»: Das schreiben Roger Lauener, Chefarzt
des Ostschweizer Kinderspitals, und Andreas Würmli, Präsident des Vereins
Ostschweizer Kinderärzte, zur Vortragsreihe «Schule und Pädiatrie». Diese
öffentlichen, auch für Eltern gedachten Referate beginnen heute abend in St.
Gallen. Den Lehrplan, den 21 Kantone einführen wollen – darunter die
Ostschweizer Kantone –, erläutern und bewerten Fachleute für Pädagogik
(Bildungs- und Erziehungswissenschaft), Psychologie und Pädiatrie
(Kinderheilkunde).
Psychosomatische Störungen
Mit Auswirkungen von Lehr- und Lernmethoden müssen
sich Kinderärzte befassen, wenn diese für Schüler nicht passen, Kinder deshalb
an psychosomatischen Störungen leiden. «Diese nehmen zu», berichtet
Vereinspräsident Andreas Würmli. Es gelte zu verhindern, dass das noch
verstärkt werde durch den neuen Lehrplan.
Dieser enthalte viele für den Verein der
Kinderärzte noch unklare Aussagen und lasse zweifeln, «ob da immer das Wohl des
Kindes im Zentrum stand». Offene Fragen gebe es zum Beispiel zu den
vieldiskutierten Zielen im Bereich Wissen und Kompetenzen. Vorbehalte hätten
Kinderärzte beim angestrebten selbständigeren Lernen. «Die Erfahrung als
Kinderarzt und Vater zeigt mir, dass das mindestens im Primarschulalter mehr
Unterstützung durch Eltern erfordert», sagt Würmli. Da sei zu klären, wie jene
Schüler die Ziele erreichen, deren Eltern wenig helfen können. Am Lehrplan 21
konnten Vereinigungen der Kinderärzte nicht mitwirken. Der Präsident des
Ostschweizer Vereins hofft nun, «dass bei der Umsetzung das Informationsmanko
in unseren Reihen und in der Bevölkerung behoben wird».
Lehrkräfte nicht überfordern
Gelegenheit zur Stellungnahme hatte der Verein beim
«Konzept erste Schuljahre» im Kanton St. Gallen. Mit diesem soll die
Einschulung möglichst ohne Separierung von Kindern in Kleinklassen erfolgen.
«Integrativ und individueller unterrichten ist ein gutes Ziel», sagt Andreas
Würmli. Eine Arbeitsgruppe des Vereins habe jedoch festgestellt, dass auch hier
Fragen ungeklärt seien. «Zum Beispiel jene, wie Lehrkräfte – von denen etliche
bereits jetzt am Anschlag sind – den damit entstehenden Mehraufwand bewältigen
können.»
Der Vereinspräsident verweist darauf, dass
Kinderärzte vielfältig am Schulgeschehen beteiligt sind: Sie wirken bereits bei
Früherfassung und Frühförderung mit. Sie entscheiden mit über Sonderschule oder
integrierte Beschulung von Kindern mit Behinderung, über Rückstellung oder
frühere Einschulung. Und in ihrer Praxis sind gesundheitliche Störungen wegen
Schulschwierigkeiten häufig. Beim Beizug von Kinderärzten durch Eltern, Schule
oder Schulpsychologischen Dienst gebe es Hemmschwellen, sagt Würmli. Diese
könnten durch klarere Regelungen abgebaut werden.
«Klarere Aussagen nötig»
All diese Fragen stellten sich auch zum neuen
Lehrplan. Der Verein bedauere, dass sie dort nicht oder ungenügend geklärt
seien. Nun brauche es mindestens bei der Umsetzung in den Kantonen «klarere
Aussagen».
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen