6. Oktober 2014

Wertevermittlung an den PH

Pädagogische Hochschulen stehen vor der Herausforderung, allgemeingültige Werte vermitteln zu müssen. Welche Regeln in der Vermittlung von Weltanschauungen gelten sollen, ist aber unklar. Einerseits wird das Recht auf eine eigene Meinung hochgehalten, wo die Grenze zu extremen Positionen liegt und wie diese allenfalls sanktioniert werden, ist nicht geregelt.




Rassismus, Religion, Sexualität: Wie sollen Tabuthemen an PH behandelt werden? Bild: Orlando Hoetzel

Nicht alle sehen die Welt gleich rund, NZZ, 6.10. von Anna Rosenwasser


Manche Lehrpersonen gestalten ihren Unterricht aus politischer Sicht zu einseitig, findet die Junge SVP. Deshalb hat die Partei Anfang September das Schulprojekt «Freie Schule» lanciert, eine Plattform, auf der unter anderem Schülerinnen und Schüler sich über die geäusserten Haltungen ihrer Lehrpersonen beschweren können. Kategorien tragen Titel wie «Verunglimpfung von Personen oder Parteien», «Benachteiligung Andersdenkender» und «Politische Indoktrination». Die Idee einer solchen Beschwerde-Plattform ist neu - die Angst, Lehrpersonen könnten mit ihren Werthaltungen den Nachwuchs schädlich beeinflussen, besteht schon lange. Dürfen Menschen in Lehrsituationen ihre persönliche Meinung kundtun? Welche Regeln sollen für die Menschen gelten, die anderen von Berufs wegen die Welt erklären?
Nicht festgeschrieben
Diese Fragen werden heutzutage schon am Anfang der Lehrerausbildung in den pädagogischen Hochschulen thematisiert. Erwin Beck, Rektor der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, sieht eine Entwicklung zu mehr Offenheit. «Früher gab es klare Ansichten, welche politischen Haltungen in der Lehrerbildung vertreten werden müssen», sagt Beck. Zur Vorbildfunktion von Lehrern etwa gehörte die militärische Ausbildung - eine Voraussetzung, die heute so nicht mehr zutrifft.
In den Leitbildern von pädagogischen Hochschulen (PH) wird deutlich: Das Recht, eine eigene Meinung und Identität zu vertreten, wird hochgehalten. Wie weit die Meinungsäusserung der Dozierenden gehen darf, ist aber meist nicht genauer schriftlich festgehalten. An der PH Graubünden beispielsweise gibt es einen Wertekodex: Das Schulgesetz gibt dazu die Richtlinien vor, die Hochschule selbst definiert in dem Papier aber keine Tabuthemen und Konsequenzen. Die einzige Handlungsrichtlinie lautet, dass die Diskussionen dem Unterricht dienen sollen. «Falls tatsächlich extreme Meinungen vertreten werden, müsste grundsätzlich die Berufseignung überprüft werden», sagt Gian-Paolo Curcio, Rektor der PH Graubünden.
«Bei rassistischen Aussagen gibt es nichts zu diskutieren», meint Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte und Prorektor Lehre an der Universität Luzern. «Sobald eine Position jemand anderen in Mitleidenschaft zieht, ist es nicht mehr tolerierbar.» Tabu sind für Ries auch Aufrufe zu Demonstrationen aller Art. Die Religionszugehörigkeit einer Lehrperson hingegen müsse nicht thematisiert werden, könne aber bei Bedarf Erwähnung finden, «etwa bei Begründungen zu ethisch und emotional sensiblen Themen wie Schwangerschaftsabbruch».
Dass die Religion durchaus die Werthaltungen von Lehrpersonen beeinflussen kann, hat Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands, schon öfters erlebt. «Zweimal kam es vor, dass Schülerinnen und Schüler es meldeten, dass eine sehr christliche Lehrperson Homosexualität als falsch ansah und das sagte.» Lätzsch vertraut auf die Schülerschaft, sobald diese aus dem leicht beeinflussbaren Kindesalter herausgewachsen ist - und auf die moderne Technik: «Die Schülerinnen und Schüler googeln und decken die Hintergründe für solche Haltungen rasch auf.»
Persönlich äussern, aber . . .
Google hin oder her: Das Thema Sexualität im schulischen Kontext bleibt heikel. «Es ist ein grosser Unterschied, ob Sexualität von einem PH-Dozenten auf der Metaebene thematisiert wird oder eine Lehrperson direkt in der Klasse das Thema bringt», erklärt Lukas Geiser, der Sexualpädagogik an der PH Zürich unterrichtet. «Als Dozent kann ich mich zu einem Thema persönlich äussern, um die Studierenden dann zu fragen: Was macht das mit euch? Es geht um die reflektierte Auseinandersetzung auf einer Metaebene», erläutert Geiser. Und doch gebe es Werte, die die pädagogische Hochschule den Studierenden direkt übertragen will; «etwa die Haltung, dass sexuelle Gewalt in keiner Weise akzeptiert wird», führt der Sexualpädagogik-Dozent als Beispiel an.
Während die Junge SVP das Problem bei den politischen Ansichten der Lehrpersonen sieht, stehen pädagogische Hochschulen eher bei religiösen Angelegenheiten vor einer Herausforderung: Der persönliche Glaube kann zu heiklen Haltungen führen, etwa bei den Themen Abtreibung oder Homosexualität. Beck von der PH St. Gallen schildert: «Die Diversity spielt eine zunehmende Rolle. Wir respektieren die Vielfalt und Unterschiedlichkeit - solange sie nicht die Freiheit eines anderen einschränkt.» Kämen dogmatische Haltungen seitens Dozierender zum Ausdruck, liessen Reaktionen der Studierenden nicht auf sich warten, ist Beck sich sicher. «Die Dozierenden sollen eigene Meinungen äussern dürfen, solange sie sie klar begründen können. Es braucht den Diskurs, und der darf auch irritieren.»
Eigene Haltung muss sein
Irritierende Diskurse als Ansporn zur Diskussion: So sieht es auch Martin Gatti, Präsident des Berufsverbands der Lehrerinnen und Lehrer im Kanton Bern. Kapitalismuskritik im Geschichtsunterricht? «Eine kritische Würdigung liegt absolut drin.» Mögliche Atomkraftwerk-Szenarien? «Eine Diskussion der Gefahren sollte zugelassen werden.» Abtreibung als Mord bezeichnen? «Denkbar an einer stark christlich geprägten Schule. An einer öffentlichen: nein, danke. Diskussionen über das Thema: unbedingt», findet Gatti.

«Man kann nicht unterrichten, ohne einen Teil seiner Persönlichkeit und Haltung einzubringen», formuliert es Lätzsch. Die Lehrerinnen und Lehrer mögen in ihren politischen, religiösen und ethischen Ansichten nicht übereinstimmen, aber dass die Meinung im Unterricht reflektiert geäussert werden darf - und sogar soll -, darin sind sie sich alle einig.

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