"Die Gegner - auch namhafte Wissenschaftler - warnen vor einem Bildungsabbau", Bild: Tages Anzeiger
Vorsicht, Absturzgefahr! Tages Anzeiger, 26.7., Kommentar von Anja Burri
Der Lehrplan 21 soll
eine längst überfällige Harmonisierung bringen: Endlich würden für alle
Deutschschweizer Schulkinder die gleichen Lernziele gelten. Weil sie wussten,
dass ein solches Werk unzählige Begehrlichkeiten weckt, wollten die
Deutschschweizer Erziehungsdirektoren (D-EDK) ein unkoordiniertes Jekami
vermeiden. Hinter verschlossenen Türen erarbeiteten Fachleute die Lernziele. Nur
während ein paar Monaten hatte die Öffentlichkeit Gelegenheit, Kritik zu
äussern. Die Rechnung schien aufzugehen: Die überwiegende Mehrheit der
Rückmeldungen sei positiv, vermeldete die D-EDK unlängst. Man werde die
wichtigsten Kritikpunkte berücksichtigen und den Lehrplan anpassen. Eine echte
Diskussion liessen die Lehrplanmacher mit diesem Zeitplan nicht zu.
Jetzt findet die Debatte verzögert statt, und die Kritiker sind
gezwungen, zu drastischen Mitteln zu greifen. Sie schliessen sich zusammen und
lancieren Volksinitiativen. Es ist kein Zufall, dass viele nun wieder aktiv
werden, die bereits das Konkordat Harmos zur Schulharmonisierung bekämpften.
Das sollte die Bildungsbürokraten aufrütteln: Harmos wurde in sieben Kantonen
abgelehnt. In zwei weiteren steht das Konkordat nun mit den Initiativen auf der
Kippe.
Die Lehrplangegner sind längst nicht nur Ewiggestrige und
Religiöse, die sich an der Sexualkunde oder dem Genderbegriff stören. Vielen
geht es um eine grundsätzliche Debatte über die Ausrichtung der Volksschule.
Sie beobachten die immer neuen Reformen mit Unbehagen. Aus ihrer Sicht ist die
Kompetenzorientierung, die der Lehrplan einführt, keine harmlose Anpassung an
die moderne Pädagogik, wie es die Lehrplanmacher darstellen. Die Gegner – auch
namhafte Wissenschaftler – warnen vor einem Bildungsabbau wie in Nordamerika.
Dort wurden die von der OECD propagierten Standards, die sich nach den
Bedürfnissen der Wirtschaft richten, bereits eingeführt. Wer es sich in den USA
leisten kann, schickt sein Kind in eine Privatschule. Es ist nicht bewiesen,
dass hier dasselbe passieren wird. Aber wenn sich die Bildungsdirektoren weiter
weigern, auf Augenhöhe mit den Kritikern zu diskutieren, droht der
Totalabsturz.
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