Die Lehrplangegner kommen aus den verschiedensten Lagern, Bild: Dominique Meienberg
Dem Lehrplan droht Ungemach aus den Kantonen, Tages Anzeiger, 26.7. von Anja Burri
Der Lehrplan 21 legt zum ersten Mal für alle Deutschschweizer
Kinder die gleichen Lernziele fest. «Wir haben die Lehrpläne der 21 Kantone
genommen, sie durch den Fleischwolf gedreht und in einer guten Mitte den neuen
Lehrplan aufgestellt», so beschrieb der Präsident der Deutschschweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) Christian Amsler in einem Interview mit
der «Neuen Luzerner Zeitung» das Vorgehen. Die Botschaft: In den Schulzimmern
werde sich praktisch nichts ändern. Zurzeit wird der Lehrplan aufgrund der
Kritik in der öffentlichen Konsultation noch überarbeitet. Voraussichtlich Ende
Jahr werden die Erziehungsdirektoren den Lehrplan freigeben. In den meisten
Kantonen entscheidet dann der Bildungsrat oder die Regierung, ab wann und wie
die neuen Lernziele gelten.
Doch nun dürfte es
vielerorts anders kommen: Die Lehrplangegner aus den verschiedenen Lagern –
Vertreter aller Parteien, vor allem der SVP, EVP, EDU und der Grünen, aber auch
parteilose Lehrkräfte, Eltern und Vertreter religiös-konservativer Kreise –
schliessen sich zusammen und lancieren Volksinitiativen gegen das 550-seitige
Werk. In den Kantonen Baselland und St. Gallen sind die Initiativen bereits
lanciert.
Wie Recherchen des TA
zeigen, ist dies erst der Anfang: Im Aargau fällt der Startschuss im August. In
Luzern arbeitet das Komitee am Initiativtext. Und in den Kantonen Thurgau und
Graubünden laufen hinter den Kulissen Vorbereitungen, um eine Entscheidung an
der Urne zu erzwingen. Viele der Lehrplankritiker haben in ihren Kantonen
bereits erfolgreich gegen das Schulharmonisierungskonkordat Harmos gekämpft.
Dieses wurde in sieben Kantonen von der Stimmbevölkerung abgelehnt. Das Ziel
von Harmos ist es, die kantonalen Schulsysteme einander anzugleichen. Der
Lehrplan 21 ist eine dieser Harmonisierungsmassnahmen. Er wird aber auch von
jenen Kantonen eingeführt, die bei Harmos nicht mitmachen.
Vielfältige
Gegnerschaft
Die Vorbehalte gegen
den Lehrplan sind so unterschiedlich wie die Leute, die sich engagieren. Immer
lauter wird die Kritik an der Kompetenzorientierung: Die Schüler werden nicht
mehr auf ihr Wissen getestet, sondern es wird überprüft, ob sie dieses Wissen
anwenden können. Die Aargauer Heilpädagogin und Mitinitiantin Elfy Roca ist
überzeugt, dass die Kompetenzorientierung zu einem Bildungsabbau führen wird.
«Der neue Lehrplan baut auf dem selbstgesteuerten Lernen der Kinder auf», sagt
sie. Das töne zwar gut, laufe aber der Chancengerechtigkeit zuwider. Jedes Kind
lerne mit einem Mäppli voller Arbeitsblätter für sich allein. Die Kinder aber
brauchten es, direkt von der Lehrperson angeleitet zu werden und sich in der
Klasse gemeinsam mit einem Lerninhalt zu beschäftigen. Bereits benachteiligte
Kinder würden durch das selbstgesteuerte Lernen noch mehr abgehängt. Andere
Lehrplangegner stören sich an aus ihrer Sicht ideologischen Vorgaben des
Lehrplans zu sensiblen Themen wie Sexualität oder Geschlechterrollen. Wieder
andere kritisieren, dass traditionelle Fächer wie Geografie oder Geschichte von
der Stundentafel verschwinden. Oder sie bezeichnen es als «undemokratisch»,
dass weder die Kantonsparlamente noch die Bevölkerung beim Lehrplan mitreden
dürften.
Am
weitesten sind die Lehrplangegner im Kanton Baselland. Der Verein «Starke Schule Baselland» habe die
Unterschriften bereits zusammen, sagt Geschäftsleiterin Saskia Olsson. Das
Komitee will den Austritt des Kantons aus dem Harmos-Konkordat erreichen. Das
ist nötig, um den Lehrplan 21 zu kippen: Denn mit dem Beitritt zu Harmos
verpflichtete sich Baselland zur Harmonisierung der Bildungsziele.
In St. Gallen haben
die Lehrplangegner zwei Volksinitiativen lanciert. Die erste Initiative
verlangt, dass das Kantonsparlament über den Lehrplan entscheiden darf, und
schreibt Eckwerte vor, die ein Lehrplan erfüllen muss. Unter anderem soll in
der Primarschule nur noch eine Fremdsprache unterrichtet werden. Sagt das Volk
Ja, ist der Lehrplan 21 nicht mehr anwendbar. Mit dem zweiten Volksbegehren
fordern die Initianten einen Austritt aus Harmos. Der Präsident des
Initiativkomitees, Michael Fitzi, sieht die Initiativen als eine Art Notbremse:
«Unsere Volksschule gehörte zu den besten der Welt», sagt er. Durch die vielen
Reformen der letzten Jahre sei das Bildungsniveau gesunken, während
gleichzeitig die Kosten gestiegen seien.
Harmonisierung
der Systeme
Im Aargau wird die
Volksinitiative gegen den Lehrplan am 20. August lanciert. Das Initiativkomitee
will ebenfalls Grundregeln ins Gesetz schreiben, wie der Lehrplan aufgebaut werden
soll. Gelten diese Eckwerte, ist die Einführung des Lehrplans 21 nicht mehr
möglich. In Zürich sind die Bemühungen weniger weit fortgeschritten. Zurzeit
ist eine parlamentarische Initiative hängig, die verlangt, dass der Kantonsrat
das letzte Wort zum Lehrplan hat. Werde der Vorstoss abgelehnt, ziehe sie eine
Volksinitiative in Erwägung, lässt SVP-Kantonsrätin Anita Borer wissen.
Für Beat Zemp,
Präsident des Dachverbands der Schweizer Lehrer, braucht es den Lehrplan 21, um
die kantonalen Schulsysteme zu harmonisieren. Das sei ein Verfassungsauftrag,
den das Stimmvolk klar angenommen habe. Den Initianten stellt er die Frage:
«Wie würden Sie den Harmonisierungsauftrag umsetzen?» Laut Zemp sind die
Lehrplanmacher zudem daran, die grössten Mängel des Lehrplans 21 zu
korrigieren. Die D-EDK nimmt zum jetzigen Zeitpunkt zu den Volksinitiativen
keine Stellung.
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