Eigentlich sei sie eine «grenzenlose Optimistin», sagt Silvia Steiner (CVP). Aktuell beschreibt die Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) ihre Gemütslage als «verhalten optimistisch». Aufgrund knapper Impfstoffe und angesichts mutierter Virenstämme und noch unklarer Auswirkungen der vergleichsweise hohen Bewegungsfreiheiten während der Festtage sei abzuwarten, ob die Zahlen nicht wieder in die Höhe schnellten. Sie sei selbst gespannt.
Doch was bedeutet das nun für die Zürcher Schulen?
"Fernunterricht ist der letzte Ausweg", Tages Anzeiger, 9.1. von Anielle Peterhans
Frau Steiner, welches sind Ihre Erinnerungen an die
Schulschliessung im Frühling?
Rückblickend kann man sagen, dass wir wertvolle Erfahrungen sammeln konnten mit
Fernunterricht. Die Schulen meisterten diese Aufgabe gut. Es zeigte sich aber
auch, wo Optimierungspotenzial besteht in Bezug auf die technische Ausrüstung,
die Unterrichtsmaterialien und die Ausbildung. Digitale Plattformen, die teils
zum ersten Mal genutzt wurden, fanden vielfach Eingang in den schulischen
Alltag. Auf der anderen Seite sahen wir aber auch, welche Auswirkungen der
Fernunterricht auf die Schülerinnen und Schüler, auf ihr Lernverhalten, ihren
Lernerfolg und ihre Psyche hat. Gerade der letzte Punkt bringt die EDK als Gesamtgremium
zur Überzeugung, dass wir alles tun müssen, um Schulschliessungen und die
Umstellung auf Fernunterricht zu verhindern.
Warum ist das so wichtig?
Ein Teil der Schülerinnen und Schüler auf der Stufe Sek I befindet sich im
Berufswahlverfahren. Die Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschulen und der
Mittelschulen sind im Qualifikationsverfahren. Eine Umstellung auf
Fernunterricht just zu diesem Zeitpunkt könnte einen Knick in der
Bildungslaufbahn zur Folge haben. Es könnte den Kindern und Jugendlichen
schaden, wenn ein Corona-Jahrgang entsteht. Ihr Recht auf Bildung jetzt
einzuschränken, bedeutet, dass sie allenfalls Nachteile hätten bei der
Eingliederung in den Arbeitsprozess oder dem weiteren Verlauf ihrer
Bildungskarriere.
Welche Konsequenzen hat eine Schliessung ausserhalb
der Schule?
Ich sehe vor allem im sozialen Bereich Probleme: Bei den psychiatrischen
Notfallinstitutionen für Jugendliche und Kinder zeigt sich nämlich eine Zunahme
der Notfallkontakte von rund 40 Prozent. Häusliche Gewalt hat im Kanton Zürich
um 10 Prozent zugenommen. Das heisst: Schülerinnen und Schüler erleiden durch
Schulschliessungen nicht nur einen Bildungsnachteil, sie sind auch potenziell
in ihrer Integrität gefährdet. Ein solcher Eingriff in die Freiheitsrechte kann
nur Ultima Ratio sein. Wir müssen alles daran setzen, mögliche
Kollateralschäden zu vermeiden - also eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen
Nutzen in der Pandemiebekämpfung und Beeinträchtigung durch die Massnahmen.
Ist Zürich heute nicht besser auf diese Situation
vorbereitet?
Wir verfügen über verschiedene Eskalationsszenarien, die bereits ausgearbeitet
sind. Für uns ist es massgebend, wie sich die epidemiologische Lage
weiterentwickelt und ob die Zahlen weitere Massnahmen für die Schulen
nahelegen.
Was ist, wenn sich die Lage deutlich verschlechtert?
Wir könnten auf Fernunterricht umstellen und mit klugen organisatorischen
Ausnahmeregelungen wohl das Schlimmste verhindern. Aber es muss der letzte
Ausweg sein und nur Bestandteil eines kompletten Lockdown. Wenn die
Schülerinnen und Schüler nicht mehr in die Schulen müssen, weil sie im
Fernunterricht sind, aber die Läden offen sind, dann gehen sie - plakativ
gesagt - einfach ins Shoppingcenter. Dort mischen sich dann Personengruppen,
die sonst unter sich blieben. Und dann haben wir einen Effekt, der noch
schädlicher ist, als wenn sie in die Schulen gehen. In der Schule wissen wir,
welche Personengruppen zusammen sind.
Der Bundesrat bestätigte am Mittwoch, dass die Kantone
auch weiterhin über den Bildungsbereich entscheiden. Arbeiten Sie zusammen?
Unter den Kantonen herrscht ein starker Konsens. Gerade in den Volksschulämtern
gibt es interkantonale Absprachen, um Massnahmen anzugleichen. Der Bundesrat
wird der EDK demnächst einen Prüfauftrag erteilen: Die Kantone sollen
überlegen, welche zusätzlichen Massnahmen in obligatorischen Schulen getroffen
werden können, falls solche unumgänglich sind.
Welche wären das?
Ich will nicht auf Details eingehen, aber wir halten die Eskalationskonzepte in
der Schublade bereit. Man darf nicht vergessen, wir haben schon heute gute
Schutzkonzepte: Es gibt ausgedehnte Maskenpflicht, Einschränkungen im
Sportunterricht, Hygieneauflagen und Unterricht auf Distanz. Die
Bildungsdirektion hat darum für die Schulen ein spezialisiertes Contact-Tracing
aufgebaut. Es ergänzt das kantonale Contact-Tracing, um vertieft die schulische
Situation zu klären und die Schulen zu beraten. So kann man auf lokale
Ausbrüche rasch reagieren. Derzeit ist die Infektionszahl bei den unter
18-Jährigen relativ tief.
Sind im Eskalationskonzept auch Entlastungsvorschläge
für Lehrpersonen vorgesehen?
Das Wohl der Lehrpersonen liegt mir am Herzen. Ich glaube nicht, dass der
Fernunterricht viel Druck von ihnen wegnehmen würde. Wir müssen sehr genau
schauen, wo es Entlastungsmöglichkeiten gibt und wie man reagieren kann, wenn
wir nicht mehr genügend Lehrkräfte haben, weil sie krankheitsbedingt ausfallen.
Das ist aber eine Führungsaufgabe der Schulleitungen, die das bisher gut
gehandhabt haben. Und es ist ein laufender Prozess.
Auch der LCH will ja den Fernunterricht wenn immer möglich vermeiden. Und wie die EDK begründet dies auch der LCH mit der Chancengerechtigkeit. Seltsam, da weist z.B. PISA seit 20 Jahren auf die schlechten Bildungschancen von bestimmten Bevölkerungsgruppen hin und jetzt, ausgerechnet während einer Pandemie, entdeckt man plötzlich den Notstand bei der Chancengerechtigkeit.
AntwortenLöschenAuch seltsam: Als wir im Mai wieder in die Schule gehen durften, war man des Lobes voll für den so wunderbar umgesetzten Fernunterricht. Jetzt will niemand mehr etwas davon wissen.
Und nochmals etwas Seltsames: Deutschland, Italien und Österreich schlossen die Schulen trotz deutlich tieferen Zahlen als die Schweiz. Sind diese Länder einfach blöd?