14. Dezember 2020

Besonders Primarschulen kämpfen mit Problemen beim Fernunterricht

Die Schweiz eiert momentan durch die zweite Welle der Covid-19-Pandemie. Praktisch kein Tag vergeht, an dem nicht ein Kanton irgendwelche Massnahmen erlässt und beispielsweise die Turnhallen schliesst, während etwa die Restaurants geöffnet bleiben dürfen. Angesichts der zunehmend unübersichtlichen Lage geht fast vergessen, dass es doch noch einige Konstanten im Wirrwarr der Massnahmen gibt. Dazu gehören die Schulen. Kein Kanton denkt momentan daran, seine Bildungsinstitutionen zu schliessen. Die meisten Schüler, Eltern, Lehrer und Behörden tun alles, um nicht zum flächendeckenden Homeschooling zurückzukehren, wie es während der ersten Welle vom Bundesrat angeordnet worden war. 

Mehr Unterstützung bei Fernunterricht gefordert, NZZ, 10.12. von Erich Aschwanden

Der Fernunterricht hat zwar erstaunlich gut funktioniert. Doch qualitativ hochstehender digitaler Unterricht, bei dem schwächere Schüler nicht auf der Strecke bleiben, ist für alle Beteiligten an den Volksschulen ein Kraftakt. Dies zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie, für die rund 300 Schulleiterinnen und Schulleiter aus den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, St. Gallen und Thurgau befragt wurden. Durchgeführt wurde die Umfrage unter der Federführung von Katharina Maag Merki, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich.

Die Studie «S-Clever» kommt zu dem Schluss, dass ein eigentlicher Digitalisierungsschub stattgefunden habe. Bis im März war digitales Lernen vor allem an den Primarschulen kein grosses Thema. Nach Ende des Lockdowns nutzt nun mindestens die Hälfte, teilweise bis zu 80 Prozent der Schulen Online-Plattformen für den Unterricht, zum Austausch von Lernmaterialien, zur Kommunikation mit Schülerinnen, Schülern und Eltern oder für den Kontakt der Kinder untereinander.

Die Studie, die von Universitäten in der Schweiz, Deutschland und Österreich durchgeführt wird, zeigt allerdings auch, dass die Digitalisierung des Unterrichts keineswegs ein Selbstläufer ist. Von den befragten 299 Schulleitern (64 Prozent Primarstufe, 25 Prozent Sekundarstufe, 10 Prozent Primar- und Sekundarstufe, 1,3 Prozent Gymnasien) benötigen zwei Drittel Support beim Fernunterricht, bei der Kombination von Präsenz- und Selbstlernphasen sowie der Förderung von Kindern, die besonders unterstützt werden müssen.

Auffallend ist, dass an Primarschulen der Bedarf an zusätzlicher Unterstützung deutlich höher ist als an Sekundarschulen. 9 von 10 Schulleiterinnen von Primarschulen empfanden die Zeit des Lockdowns als belastend, bei den Sekundarschulen waren es drei Viertel der Befragten. Die Studienleiterin Maag Merki erklärt dies einerseits damit, dass die Primarschulen vor dem Lockdown noch wenig Erfahrung mit digitalem Unterricht hatten. «Andererseits liegt in der Primarschule der Fokus beim Lernen stärker darauf, Dinge unmittelbar und mit den Händen begreifbar zu machen. Im Fernunterricht ist dies viel schwieriger umzusetzen», erklärt die Pädagogikprofessorin. 

Als grosse Herausforderung erweist es sich, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, die emotionale Probleme haben und speziell motiviert werden müssen. Schwierig wird es für die Lehrpersonen an Schulen, an denen viele Kinder unterrichtet werden, die zu Hause nur schlecht lernen können. Sei es, weil sie keinen Computer haben, nicht über geeignete Räume verfügen oder die Eltern sie nicht unterstützen können. 80 Prozent der Leitenden von Schulen mit einem hohen Anteil an solchen Schülern fanden es schwierig, die notwendigen Hilfestellungen zu gewährleisten. 

Hier gilt es laut Maag Merki nun anzusetzen: «In der Praxis, an pädagogischen Hochschulen und Universitäten müssen nun verstärkt Konzepte für wirkungsvollen digitalen Unterricht entwickelt werden – gerade für die Primarstufe.» Ausserdem brauche es Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Lehr- und Leitungspersonen. Gefordert sind laut Maag Merki auch die Behörden: «Sie müssen klar kommunizieren. Werden ihre Vorgaben als widersprüchlich und im Schulalltag als schwierig umsetzbar erlebt, steigen auch die Belastungen an den Schulen.» 

Um erkennen zu können, wie erfolgreich die Kantone bei der Institutionalisierung des digitalen Unterrichts sind, wurden gezielt die Schulleiter in den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, St. Gallen und Thurgau befragt. Im Februar/März sowie Mitte Mai / Juni 2021 sollen die weiteren Befragungswellen der «S-Clever»-Studie stattfinden. Dabei wird sich laut Maag Merki zeigen, wie die Schulen längerfristig mit der Pandemie umgehen, welche Lösungsansätze besonders fruchtbar sind und welche zusätzliche Hürden – etwa aufgrund von Lehrpersonen in Quarantäne – ergeben. 

Definitive Resultate im Sommer

«Am Schluss haben wir einen Längsschnitt durch das ganze Schuljahr, der zeigt, welche Wege den Schulen am besten dabei geholfen haben, ihre Aufgaben wahrzunehmen, so dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler trotz der Pandemie die Lernziele erreichen.» Im Sommer sollen belastbare Resultate vorliegen, die zeigen, wie die Schweiz, Deutschland und Österreich das schwierige Jahr gemeistert haben. «Es geht nicht darum, zu sagen, wer am besten war, vielmehr wollen wir voneinander lernen», sagt Maag Merki.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen