Die Schweiz eiert momentan durch die zweite Welle der Covid-19-Pandemie. Praktisch kein Tag vergeht, an dem nicht ein Kanton irgendwelche Massnahmen erlässt und beispielsweise die Turnhallen schliesst, während etwa die Restaurants geöffnet bleiben dürfen. Angesichts der zunehmend unübersichtlichen Lage geht fast vergessen, dass es doch noch einige Konstanten im Wirrwarr der Massnahmen gibt. Dazu gehören die Schulen. Kein Kanton denkt momentan daran, seine Bildungsinstitutionen zu schliessen. Die meisten Schüler, Eltern, Lehrer und Behörden tun alles, um nicht zum flächendeckenden Homeschooling zurückzukehren, wie es während der ersten Welle vom Bundesrat angeordnet worden war.
Mehr Unterstützung bei Fernunterricht gefordert, NZZ, 10.12. von Erich Aschwanden
Der Fernunterricht hat zwar erstaunlich gut funktioniert. Doch qualitativ hochstehender digitaler Unterricht, bei dem schwächere Schüler nicht auf der Strecke bleiben, ist für alle Beteiligten an den Volksschulen ein Kraftakt. Dies zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie, für die rund 300 Schulleiterinnen und Schulleiter aus den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, St. Gallen und Thurgau befragt wurden. Durchgeführt wurde die Umfrage unter der Federführung von Katharina Maag Merki, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich.
Die Studie «S-Clever» kommt zu dem Schluss, dass ein
eigentlicher Digitalisierungsschub stattgefunden habe. Bis im März war
digitales Lernen vor allem an den Primarschulen kein grosses Thema. Nach Ende
des Lockdowns nutzt nun mindestens die Hälfte, teilweise bis zu 80 Prozent der
Schulen Online-Plattformen für den Unterricht, zum Austausch von
Lernmaterialien, zur Kommunikation mit Schülerinnen, Schülern und Eltern oder
für den Kontakt der Kinder untereinander.
Die Studie, die von Universitäten in der Schweiz,
Deutschland und Österreich durchgeführt wird, zeigt allerdings auch, dass die
Digitalisierung des Unterrichts keineswegs ein Selbstläufer ist. Von den
befragten 299 Schulleitern (64 Prozent Primarstufe, 25 Prozent Sekundarstufe,
10 Prozent Primar- und Sekundarstufe, 1,3 Prozent Gymnasien) benötigen zwei
Drittel Support beim Fernunterricht, bei der Kombination von Präsenz- und
Selbstlernphasen sowie der Förderung von Kindern, die besonders unterstützt
werden müssen.
Auffallend ist, dass an Primarschulen der Bedarf an
zusätzlicher Unterstützung deutlich höher ist als an Sekundarschulen. 9 von 10
Schulleiterinnen von Primarschulen empfanden die Zeit des Lockdowns als
belastend, bei den Sekundarschulen waren es drei Viertel der Befragten. Die
Studienleiterin Maag Merki erklärt dies einerseits damit, dass die
Primarschulen vor dem Lockdown noch wenig Erfahrung mit digitalem Unterricht
hatten. «Andererseits liegt in der Primarschule der Fokus beim Lernen stärker
darauf, Dinge unmittelbar und mit den Händen begreifbar zu machen. Im
Fernunterricht ist dies viel schwieriger umzusetzen», erklärt die
Pädagogikprofessorin.
Als grosse Herausforderung erweist es sich, Schülerinnen und
Schüler zu unterstützen, die emotionale Probleme haben und speziell motiviert
werden müssen. Schwierig wird es für die Lehrpersonen an Schulen, an denen
viele Kinder unterrichtet werden, die zu Hause nur schlecht lernen können. Sei
es, weil sie keinen Computer haben, nicht über geeignete Räume verfügen oder
die Eltern sie nicht unterstützen können. 80 Prozent der Leitenden von Schulen
mit einem hohen Anteil an solchen Schülern fanden es schwierig, die notwendigen
Hilfestellungen zu gewährleisten.
Hier gilt es laut Maag Merki nun anzusetzen: «In der Praxis,
an pädagogischen Hochschulen und Universitäten müssen nun verstärkt Konzepte
für wirkungsvollen digitalen Unterricht entwickelt werden – gerade für die
Primarstufe.» Ausserdem brauche es Investitionen in die Aus- und Weiterbildung
der Lehr- und Leitungspersonen. Gefordert sind laut Maag Merki auch die
Behörden: «Sie müssen klar kommunizieren. Werden ihre Vorgaben als
widersprüchlich und im Schulalltag als schwierig umsetzbar erlebt, steigen auch
die Belastungen an den Schulen.»
Um erkennen zu können, wie erfolgreich die Kantone bei der
Institutionalisierung des digitalen Unterrichts sind, wurden gezielt die
Schulleiter in den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, St. Gallen und Thurgau
befragt. Im Februar/März sowie Mitte Mai / Juni 2021 sollen die weiteren
Befragungswellen der «S-Clever»-Studie stattfinden. Dabei wird sich laut Maag
Merki zeigen, wie die Schulen längerfristig mit der Pandemie umgehen, welche
Lösungsansätze besonders fruchtbar sind und welche zusätzliche Hürden –
etwa aufgrund von Lehrpersonen in Quarantäne – ergeben.
Definitive Resultate im Sommer
«Am Schluss haben wir einen Längsschnitt durch das ganze
Schuljahr, der zeigt, welche Wege den Schulen am besten dabei geholfen haben,
ihre Aufgaben wahrzunehmen, so dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler
trotz der Pandemie die Lernziele erreichen.» Im Sommer sollen belastbare
Resultate vorliegen, die zeigen, wie die Schweiz, Deutschland und Österreich
das schwierige Jahr gemeistert haben. «Es geht nicht darum, zu sagen, wer am
besten war, vielmehr wollen wir voneinander lernen», sagt Maag Merki.
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