Matthias Burchardts Abrechnung mit der um sich greifenden Heilserwartung an eine rasche Digitalisierung der Schule kommt mir vor wie ein reinigendes Gewitter, das wieder klare Sicht in die Weite schafft. Er vergleicht unreflektierte Digitalisierungsforderungen mit einem Boulevardtheater, bei dem viel Geld für Requisiten, nicht aber für bessere Schauspielkunst eingesetzt werden soll. Zu Recht ärgert sich Burchardt über Medien, die das Theaterstück aufgrund der schönen Kleider rühmen, jedoch kaum nach der Qualität der Aufführung fragen. Eine forcierte Digitalisierung könnte man mit einem Boulevardtheater vergleichen, bei dem viel Geld für Requisiten, nicht aber für bessere Schauspielkunst eingesetzt wird. Das Bild kann noch mit der Rolle unkritischer Medien erweitert werden. Mit grossen Worten rühmen sie das Theaterstück aufgrund der schönen Kleider, ohne jedoch nach der Qualität der Aufführung zu fragen.
Im Präsenzunterricht zeigt sich die Schulqualität, Hanspeter Amstutz, 8.5.
Viele Politiker haben sich mit ihren Aussagen zugunsten einer raschen Digitalisierung schon so weit aus dem Fenster gelehnt, dass sie unangenehmen Fragen zur Lerneffizienz aus dem Weg gehen. Nicht nur Populisten, auch manche Zauberlehrlinge der digitalen Bildungsindustrie fordern die Lehrpersonen mit ihren grossen Ankündigungen ganz schön heraus. Wenn jetzt der alte Meister nicht selber eingreift und deutliche Worte spricht, kann das Bildungsschiff durchaus aus dem Ruder laufen. Geradezu absurd aber wäre es, wenn als Folge der Digitalisierungseuphorie die Schulen künftig primär nach der Menge der eingesetzten Lernprogramme bewertet würden. Doch diese Dummheit ist leider nicht ganz auszuschliessen.
Gegen
eine Grundausstattung der Schulen mit moderner Präsentationstechnik und dem
Einsatz altersgemässer Lernsoftware ist hingegen nichts einzuwenden. Diese
Hilfsmittel können zur Vertiefung grundsätzlich verstandener Kompetenzen
einiges beitragen und mit qualitativ überzeugendem Bild- und Tonmaterial den
Präsenzunterricht bereichern.
Ein stures Nein hiesse, dass man gewisse Chancen moderner digitaler Möglichkeiten verkennt und didaktische Pioniere vor den Kopf stossen würde. Softwarespezialisten und digital versierte Lehrpersonen bleiben gefragt. Sie können das Gros der Lehrerschaft spürbar entlasten, indem sie unter anderem digitales Unterrichtsmaterial einer dringend nötigen Qualitätsprüfung unterziehen und entsprechende Empfehlungen abgeben.
Methodischer
Gestaltungsspielraum ist gefährdet
Eine forcierte Umstellung der Schule auf deutlich mehr digitalen Unterricht wäre aufgrund der vorliegenden Forschungsresultate unverantwortlich. Reformen müssen von der Lehrerschaft mit Überzeugung mitgetragen werden und einen pädagogischen Mehrwert bringen, wenn sie gelingen sollen. Ganz heikel sind Eingriffe in die Methodenfreiheit, die bei einer umfassenden Digitalisierung ziemlich einschneidend wären. Der Gestaltungsspielraum für die Lehrpersonen würde unattraktiv klein. Vom Lehrerberuf im Sinne eines Kapitäns, der für sein Schulschiff verantwortlich ist, bliebe nicht mehr viel übrig.
Lohnenswerte Investitionen in guten Präsenzunterricht
Oberstes Ziel bleibt eine gute Schulqualität. Wer eine kindgerechte und starke Schule will, muss alles daran setzen, dass die Lehrerinnen und Lehrer der Vorbereitung eines lebendigen Präsenzunterrichts erste Priorität einräumen können. Nicht das schulische Rundherum ist die Hauptsache, sondern ein attraktiver Unterricht, der inhaltlich überzeugt. Dabei kommt der Fachdidaktik und der schulinternen Weiterbildung grosse Bedeutung zu. Konkret könnte dies heissen, dass im Bereich Natur und Technik Lehrerteams Zeit erhalten, technische und naturkundliche Versuchsreihen gemeinsam bereitzustellen und Lektionen auszuarbeiten. Solche Vorbereitungsarbeiten wirken sich direkt auf die Qualität der Lektionen aus und schaffen im Gegensatz zu verordneten Weiterbildungsveranstaltungen eine echte Aufbruchsstimmung.
Erfreuliche Resultate stellen sich ebenso ein, wenn sich Lehrpersonen auf mindestens eine Lektion pro Schulmorgen gründlich vorbereiten. Ist es nicht ein ermutigendes Gefühl, wenn Kinder in der Erwartung zur Schule gehen, dass ihnen ihre Lehrerin neben dem soliden Unterricht jeden Morgen etwas Besonderes bietet? Solche Topstunden strahlen auf den ganzen Unterricht aus und lassen das sonst eher routinierte Lernen besser in Kauf nehmen. Viele Jugendliche bestätigen später, dass manche spannende Geschichts- oder Geografiestunde genau diese anregende Wirkung gehabt und sich in ihrer Erinnerung eingeprägt habe.
Was für eine Schule wollen wir?
Digitalisiertes Lernen verspricht mehr selbständiges Lernen. Aber es ist weit entfernt von einem Lernverhalten, welches erst im gemeinsamen Entdecken grosser Zusammenhänge entwickelt wird. Das gilt ganz besonders für die kulturbildenden Fächer. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie hoch der Stellenwert eines kulturschaffenden Bildungsprogramms gegenüber einem einseitig auf Nützlichkeit ausgerichteten Konzept gehandelt wird. Digitales Lernen stösst bei tieferen Bildungsprozessen an Grenzen und kann gute Lehrerinnen und Lehrer in keiner Weise ersetzen. Ob Lehrpersonen primär als Coaches bei Computerprogrammen mitwirken oder gestaltend als aktive Personen eine Klassengemeinschaft lenken, ist von zentraler Bedeutung. Die Diskussion darüber muss in aller Offenheit geführt werden, denn es geht um sehr viel.
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