Für die
meisten Schülerinnen und Schüler ist es die schönste Zeit des Jahres: Der
Sommer mit seinen schier unendlichen Ferien. Doch das süsse Nichtstun könnte in
einigen Wochen seinen Tribut fordern – wenn die Kinder wieder die Schulbank
drücken müssen, sich aber nicht an den Stoff des vorigen Schuljahres erinnern.
In den Ferien vergessen Schüler das Gelernte, Blick, 14.7. von Mario Nowak
Zahlreiche Studien aus den USA zeigen, dass Schüler während der Sommerferien
einen erheblichen Teil ihrer Fähigkeiten wieder verlieren, vor allem in der Mathematik. Forschende sprechen vom Ferieneffekt.
Besonders davon betroffen sind Kinder aus einkommensschwachen Familien, deren
Eltern meist wenig gebildet sind und ihren Nachwuchs kaum fördern können.
Nur
das Lesen verbessert sich
In Europa ist das Phänomen des Ferieneffekts noch
kaum erforscht. Aber erste Studien aus Deutschland, Schweden und Österreich enthüllen: Auch hier verlernen Kinder
in den Sommerferien den Schulstoff – wenn auch weniger stark als in den USA.
«Das liegt vermutlich daran, dass die Ferien in Europa wesentlich kürzer sind
als in Übersee, wo sie bis zu zwölf Wochen dauern», sagt Manuela Paechter von
der Universität Graz.
Die
Erziehungspsychologin hat den Ferieneffekt in Österreich untersucht, indem sie
die Leistung von 182 Schülern im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren
unmittelbar vor und nach den Sommerferien getestet hat. Das Ergebnis: Die
Kinder schnitten im rechnerischen Denken und in der Intelligenz nach den Ferien
schlechter ab als davor.
Anders im
Lesen, da verbesserten sie sich über die Ferien – wohl, weil sie etliche Bücher
verschlungen hatten. «Das zeigt, wie bedeutend das Lesen während der
Sommerferien ist», sagt Paechter. Trotzdem litt die Rechtschreibung der
Schüler. «Nur weil ein Kind viel liest, verbessert sich die Rechtschreibung
nicht automatisch», so Paechter. «Um nicht zu vergessen, muss man üben.»
Freizeitgestaltung ist enorm wichtig
Immerhin: Nach
einigen Wochen Unterricht waren die Unterschiede wieder ausgeglichen und kein
Kind litt dauerhaft unter der mangelnden geistigen Anregung während der Ferien.
Und anders als in den USA gab es keine Kluft zwischen Schülern aus ärmeren und
reicheren Familien.
Allerdings
hat die Erziehungspsychologin Paechter die Studie in
einer ländlichen Region durchgeführt, und dort seien die Unterschiede zwischen
Arm und Reich geringer. Ausserdem gebe es im Freizeitverhalten der Landkinder
weniger grosse Unterschiede als bei Stadtkindern. In Städten erwartet Paechter
deshalb einen grösseren Unterschied zwischen Arm und Reich.
Die
Lernforscherin Tina Hascher von der Universität Bern sagt, es sei entscheidend,
womit sich die Kinder während der Ferien beschäftigen. «Das beeinflusst direkt,
wie stark der Ferieneffekt ausfällt.» Das heisst nicht, dass die Kids auch in
den Ferien Mathematik pauken sollten. Doch: «Es ist zentral, dass sie sich
geistig anregend beschäftigen.»
Das können
viele Dinge sein: Ein Baumhaus bauen, spannende Bücher oder Comics lesen, mit Lego etwas
konstruieren, einen Bach stauen oder ausrechnen, was sie mit ihrem Taschengeld
kaufen können. «Hauptsache, es ist etwas, das den Kindern Spass macht und ihre
Interessen fördert», sagt Hascher.
Elterliche
Hilfe ist notwendig
Doch nicht
immer kämen die Kinder selbst auf solche Ideen. Es sei wichtig, dass sie von
den Eltern kreative Anregungen bekommen. Studien zeigen, dass es vor allem
Eltern mit höherer Bildung sind, die ihren Nachwuchs so aktiv fördern. «Dagegen
mangelt es einkommensschwachen Familien oft an solchen Einfällen», sagt die
Lernforscherin. «Und häufig sind das Familien mit Migrationshintergrund.»
Kinder aus
fremdsprachigen Familien haben darum noch einen weiteren Nachteil: Viele reden
in den Ferien kaum Deutsch. Das sei schlecht, sagt die Erziehungspsychologin
Paechter, denn: «Kinder lernen eine Sprache durch Nachahmen.» Und: Fast jedes
Fach wird in Deutsch unterrichtet. Die Sprache ist also für alle Fächer
zentral, sogar für die Mathematik. «Darum ist es so wichtig, die Sprache
permanent zu verwenden», sagt Paechter.
Fremdsprachige
Kinder sollten deshalb auch in den Ferien ihre Schul-Gspändli treffen, sagt
auch Tina Hascher. Ein gutes Mittel seien Angebote wie der Ferienpass, wo
Kinder geistig anregende Aktivitäten besuchen können. «Das beugt dem
Ferieneffekt vor und entlastet gleichzeitig die Eltern.»
Besser
kürzere Ferien
Hascher hat
Verständnis dafür, dass nicht alle Eltern ihren Kindern ein riesiges
Ferienprogramm bieten können. Denn die Ferien der Kinder dauern viel länger als
die von berufstätigen Eltern. So plädiert Hascher dafür, das Konzept der
Tagesschulen auf die Ferien zu erweitern. Ihre Idee: Die Sprösslinge wären
betreut, doch sie müssten nicht Schulstoff lernen. Die Kinder könnten etwa
Museen besuchen oder Tiere in der Natur beobachten. Hascher sieht den Staat in
der Pflicht: «Gerade für einkommensschwache Familien sind möglichst günstige Angebote
wichtig.»
Entscheidend
ist offenbar auch die Länge der Sommerferien. In den USA dauern diese bis zu
zwölf Wochen, dementsprechend ausgeprägt ist der Ferieneffekt. Hierzulande sind
die Ferien zwar kürzer: Im Durchschnitt sind es sechs Wochen. Doch gerade wegen
des Ferieneffekts sei das immer noch zu lang, findet Hascher. Denn bisher
richten sich die Länge und die Verteilung der Ferien im Schuljahr nicht danach,
dass Kinder möglichst gut lernen können. Vielmehr dauern die Sommerferien aus
Tradition so lange, etwa weil die Kinder früher auf den Feldern mithelfen
mussten.
Heute ist das
längst nicht mehr der Fall. «Man muss schon darauf achten, dass sich die
Schülerinnen und Schüler möglichst gut erholen können», sagt Hascher. Aber dazu
sei nicht so viel Zeit nötig: «Die Sommerferien dauern zu lange.» Besser wäre
es, die gesamte Anzahl Ferienwochen gleichmässiger auf das Schuljahr zu
verteilen, sagt die Lernforscherin: «Vier Wochen Sommerferien sollten reichen.»
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