Die
Weiterbildungsschule (WBS) gilt als Sinnbild für die gescheiterte Basler
Schulreform der 90er-Jahre. Statt zum Gegenmodell des Gymnasiums wurde sie zum
Auffangbecken für schulisch Schwache. Nächste Woche schliesst sie für immer die
Türen.
Der verzweifelte Kampf um Anerkennung, Schweiz am Wochenende, 24.6. von Leif Simonsen
Nächste
Woche ist für die Basler Weiterbildungsschule (WBS) Schluss. Für eine Schule
hatte sie eine kurze Lebensdauer von 20 Jahren. Rückblickend muss man dennoch
von einer beachtlichen Leistung sprechen. Viele hätten nach dem chaotischen
Start darauf gewettet, dass die WBS ziemlich schnell wieder abgeschafft wird.
Als
«grauenhaft» sind Germaine Laschinger die ersten Monate in Erinnerung
geblieben. Die damalige Schulleiterin der WBS Bäumlihof stiess am ersten
Schultag im August 1997 auf ein völlig unbeholfenes Lehrerkollegium. Weil sich
in der Schweiz kaum Lehrer gefunden hatten, die in der WBS unterrichten
wollten, musste die unpopuläre Schule auf Leute aus Deutschland zurückgreifen.
Einige von ihnen stellten klar, dass die WBS nur eine Übergangslösung für sie
bedeute und hatten verwegene Ansprüche. Im jüngsten «Schulblatt» erinnert sich
Laschinger an Pensenwünsche wie «Ich unterrichte besser, wenn ich wach bin, also
Unterricht bitte erst ab 8.35 Uhr.» Oder: «Obwohl es mir in Basel unheimlich
gut gefällt, habe ich immer noch das Reissen nach meiner Heimat. Damit es sich
lohnt, möchte ich am Samstag frei haben.» Noch in den letzten Lehrerkonferenzen
vor dem Start seien Lehrer hereingetröpfelt, die «weder von der WBS noch von
der Schweiz» eine Ahnung gehabt hätten. Als Laschinger einen neuen Kollegen
anwies, sich die Schulunterlagen «neben dem Lavabo» zu nehmen, habe sie dieser
verständnislos angeschaut. Die Kollegen eilten ihr zu Hilfe und übersetzten auf
Hochdeutsch: «Sie meint das Spülbecken.»
Schon bald eine Verliererschule
Nicht
besser war der Ruf der WBS bei den Schülern und vor allem bei den Eltern. Mit
der Basler Schulreform der 90er-Jahre hatte Basel den Weg in die
Eigenständigkeit gesucht. Fortan sollten statt einer Niveau-Unterteilung gleich
nach der Primarschule die dreijährige gemischte Orientierungsschule (OS)
darüber entscheiden, ob die Kinder ans Gymnasium oder eben an die neu
gegründete WBS befördert würden. Diese strebte mit dem Slogan «Der Königsweg
zum Beruf» nach Anerkennung.
Stattdessen
wurde sie schon bald zur Verliererschule. Ausgerechnet im Kanton, der mit der
Einführung der niveau- übergreifenden Orientierungsschule die soziale
Durchmischung fördern wollte, waren die Pausenplätze fortan geprägt von einer
imaginären Trennungslinie. Hans Georg Signer, 1997 Rektor am Gymnasium
Leonhard, wurde Zeuge eines «unfairen Wettbewerbs» zwischen Gymnasium und WBS.
«Das Gymnasium hatte ein klares Profil. Man wusste, wofür die Schule stand und
dass man am Schluss eine Matur hatte.» Die WBS sei «die grosse Unbekannte»
gewesen – allein unter dem Namen habe sich kaum jemand etwas vorstellen können.
Berührungspunkte zwischen den WBSlern und den Gymnasiasten gab es kaum. Auch
das Bestreben, diese Vorbehalte mit institutionalisierten Treffen zu mindern,
scheiterte. Die Gymnasiasten verirrten sich dann in die Aufenthaltsbereiche der
WBSler, wenn diese sich auf dem Pausenhof Schlägereien lieferten. Die
gymnasiale Arroganz schwappte auch in die Lehrerzimmer über. Das WBS-Gebäude –
etwa am Bäumlihof – wurde sogar von einigen Lehrern als «Affenkasten»
bezeichnet. Immerhin: Unter den WBS-Lehrern sei die Stimmung nicht schlecht
gewesen, sagt Laschinger. «Wir lasen jeden Tag in der Zeitung, wie schlecht
unsere Schule war. Dadurch sind wir richtig zusammengerückt.»
Durchmischung gescheitert
Die WBS
ging anfangs durch die Hände vieler Bildungsdirektoren. Hansruedi Striebel
(FDP) musste die Schule eher widerwillig aufgleisen. Stefan Cornaz (FDP) musste
sich für den Fehlstart 1997 verantworten. Und Veronica Schaller (SP) sah sich
zu tiefgreifenden Reformen veranlasst. Im Jahr 2000 initiierte sie
Aktionsprogramme. Leistungsstarke Schüler sollten besser gefördert und
Standortbestimmungen sowie Schlussprüfungen nach den zwei Jahren WBS eingeführt
werden. 2004 wurden die Leistungszüge eingeführt. Fortan waren die E- und
A-Züge getrennt. Ein weiteres Eingeständnis, dass die angestrebte Durchmischung
gescheitert war. Die Idee der Schulreform war gewesen, dass sich der
Stundenplan in der WBS an der Leistung der einzelnen Schüler richtete. In Mathe
etwa sollten sie das höhere Niveau besuchen können und in Französisch das
tiefere. Dadurch waren alleine in der Organisation Glanzleistungen gefragt,
erinnert sich Laschinger.
Demütige Abschiedsparty
Doch
die Imagepflege nützte nichts, auch wenn die Qualität der WBS merklich
verbessert werden konnte. Wann immer die Eltern die Möglichkeit sahen, ihre
Kinder an die Orientierungsschule zu schicken, nahmen sie diese wahr.
Stefan
Bühler, der seit dem ersten Schultag 1997 in der WBS de Wette tätig ist und die
Schule seit 14 Jahre leitet, sagt, das Bild der «Restschule» habe bis zuletzt
Bestand gehabt. «Wir waren stets Juniorpartner des Gymnasiums.» Die Hoffnung,
die jungen Menschen perfekt auf das Berufsleben vorzubereiten, habe sich
zerschlagen. Bis heute würden lediglich rund 20 Prozent eine direkte
Anschlusslösung im Stellenmarkt – etwa in einem Lehrlingsbetrieb – finden, sagt
Bühler. Die anderen würden in eine der zahlreichen schulischen Brückenangebote
eingegliedert. Als das Basler Parlament 2010 entschied, dem Harmos-Konkordat
beizutreten, war das Schicksal der WBS besiegelt. Heute, sieben Jahre später,
stehen die letzten WBS-Schüler vor ihren letzten Abschlussprüfungen. Nach den
Sommerferien werden wieder sämtliche Basler Primarschulabgänger unter einem
Dach unterrichtet – in den drei Leistungszügen P, E und A.
Wenn
Bühler am Freitag zum letzten Mal als WBS-Schulleiter den Schlüssel umdreht,
wird keine Wehmut aufkommen. «Die hab ich schon hinter mir», sagt er.
Stattdessen werde er eine innere Genugtuung verspüren, dass an seiner Schule
trotz allem gute Arbeit geleistet wurde in den vergangenen 20 Jahren. Manche
Erkenntnisse und Methoden seien in die neue Sek übernommen worden.
Doch
als richtiger WBSler hat Bühler Demut gelernt. Vielleicht ist auch das
Schlussfest sinnbildlich für das Selbstverständnis der WBS, dieses vielleicht
grösste Missverständnis der Basler Schulgeschichte. Vergangene Woche hielten
aktuelle und frühere Lehrer die Abschiedsparty im Rahmen eines «gemütlichen
Zusammenseins» ab. Bei der OS hingegen wurde ein rauschendes Fest gefeiert. Den
«erfolglosen Konkurrenzkampf», so die frühere Rektorin Laschinger im «Schulblatt»,
habe man längst aufgegeben.
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