Forscher untersuchen seit 2004, wie sich das Verhalten von 1400 Zürcher
Schulkindern entwickelt. Dabei zeigte sich, dass Schüler, die eine gute
Beziehung zur Lehrperson haben, sich rücksichtsvoller, mitfühlender und weniger
aggressiv verhalten.
Weniger aggressiv dank guter Beziehung zum Lehrer, Aargauer Zeitung, 10.8. von Matthias Scharrer
Sie waren erst etwa sieben Jahre alt, als
die Studie über sie begann. Mittlerweile sind über zehn Jahre vergangen und aus
den Kindern Jugendliche geworden. Immer wieder füllten sie umfangreiche
Fragebögen aus, erst jährlich, dann alle zwei Jahre, zuletzt 2015. Darin standen
Fragen wie: «Wenn jemand traurig war oder weh hatte, wie oft hast du versucht,
ihn zu trösten?» Oder: «Wie häufig hast du andere Menschen geschlagen, gebissen
oder getreten?» Auch ihre Lehrkräfte und Eltern wurden befragt.
Die Rede ist von über 1400 Stadtzürcher
Schulkindern, an denen seit dem Jahr 2004 die Entstehung von Gewalt erforscht
wird. Z-Proso heisst die entsprechende Studie. Nun hat ein Forscherteam um den
Zürcher ETH-Soziologen Manuel Eisner, der heute Professor an der Universität Cambridge
ist, die Daten ausgewertet, um den Einfluss der Schüler-Lehrerbeziehung auf
mögliches Problemverhalten von Schülern zu erforschen.
Das Ergebnis ist zunächst wenig
überraschend: Wer eine gute Beziehung zur Lehrperson hat, verhält sich
rücksichtsvoller, mitfühlender und weniger aggressiv. «Im Durchschnitt zeigten
Schüler mit einer positiven Lehrer-Beziehung 18 Prozent mehr prosoziales
Verhalten und bis zu 38 Prozent weniger aggressives Verhalten als Schüler, die
ambivalent oder negativ ihrer Lehrperson gegenüberstanden», heisst es in einer
gestern veröffentlichten Mitteilung der ETH Zürich.
«Dass die Beziehung zur Lehrperson das
soziale Verhalten der Schüler beeinflusst, hatten wir erwartet», so
Studienleiter Eisner. «Unerwartet ist jedoch, wie stark diese Beziehung das
Verhalten der Kinder beeinflusst.»
Effekt
auch nach Lehrerwechsel
So liess sich der bei Zehnjährigen
festgestellte positive Effekt einer guten Schüler-Lehrer-Beziehung auch bis zu
vier Jahre später noch nachweisen – obwohl dazwischen, wie an Zürcher
Primarschulen beim Übergang von der dritten in die vierte Klasse üblich, ein
Lehrerwechsel stattfand.
Die Forscher kommen zum Schluss, dass ein
gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis mindestens so stark zu einem positiven
Verhalten beiträgt wie die gängigen Gewaltpräventionsprogramme. «Diese
Programme sind sehr gut und aus unserer Sicht unverzichtbar», so Eisner.
«Unsere Resultate sollten aber in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften
einfliessen – damit macht man effektive Gewaltprävention.»
Inwiefern an den Schulen und in der
Lehrerausbildung bereits auf eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung fokussiert
werde, sei ihm nicht bekannt, räumt Eisner auf Nachfrage ein. Und fügt an: «Es
gibt innerhalb der Schulen die Möglichkeit, das stärker zu unterstützen. Für
die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist das wichtiger als Strafen.»
Als Beispiel nennt er den Beizug von Schulpsychologen, Sozialarbeitern oder
anderen Lehrpersonen durch Lehrer, die zu einzelnen Schülern keinen guten Draht
finden. Laut der Studie gibt es bereits einige Präventionsprogramme, die auf
die Stärkung der Schüler-Lehrer-Beziehung abzielen.
Allerdings seien diese auf den Kindergarten
oder in die Vorschule ausgerichtet. An entsprechenden Programmen für Lehrkräfte
von heranwachsenden Jugendlichen mangle es aber. Stattdessen würden Schulen
oftmals Schüler, die Probleme machen, ausschliessen oder anderweitig strafen.
Je mehr die Kinder ins Pubertätsalter
kommen, um so problematischer wird laut Eisner das Verhältnis Schüler-Lehrer:
So hätten bei den Zehnjährigen noch 90 Prozent der Befragten ihr Verhältnis zur
Lehrperson als «sehr gut» oder «ziemlich gut» bezeichnet. Bei den 15-Jährigen
bemängelten gegen 20 Prozent die Qualität ihrer Beziehung zur Lehrperson.
Einfluss
auch auf die Leistung
Auf die Studie angesprochen, sagt Lilo
Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV): «Das
Ergebnis überrascht mich nicht.» Auch die schulischen Leistungen von Schülern
mit einer guten Beziehung zur Lehrperson seien besser. Erst kürzlich habe der
ZLV an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) eine Weiterbildung zu diesem
Thema gesponsert.
Doch mit Aus- und Weiterbildung allein sei
es nicht getan: Mit entscheidend für gute Schüler-Lehrer-Beziehungen seien die
Klassengrössen. «Die Klassen sollten nicht zu gross sein», betont Lätzsch. Die
durchschnittlichen Klassengrössen seien gegenwärtig zwar akzeptabel, doch in
einzelnen Gemeinden gebe es Ausreisser.
Zudem komme es stark auf die
Zusammensetzung der jeweiligen Klasse an: «Man müsste vermehrt auf Klassen mit
schwierigen Kindern eingehen», fordert die ZLV-Präsidentin. Der ZLV empfehle
beispielsweise, solche Schüler vorübergehend in «Lernzentren» zu schicken.
Schulhausintern würden in den Stadtzürcher Schulen alle ein bis zwei Wochen die
pädagogischen Teams zusammenkommen, um sich über Problemfälle auszutauschen.
100
Klassenlehrerstunden
Auch für die Pädagogische Hochschule Zürich
und das kantonale Volksschulamt (VSA) ist das Thema der Studie nicht neu: «Der
Aufbau einer starken Lehrer-Schüler-Beziehung ist ein zentrales Thema während
der ganzen Ausbildung an der PH Zürich und danach bei der Ausübung des Berufs
im Schulfeld», betont PHZH-Rektor Heinz Rhyn.
Und die stellvertretende VSA-Chefin
Brigitte Mühlemann verweist darauf, dass die Klassenlehrerfunktion gestärkt
werden soll, indem ab 2017 pro Klasse und Schuljahr 100 Stunden für die
Klassenlehrerfunktion zur Verfügung stehen. Auch mit der Reduktion der Anzahl
Lehrpersonen pro Klasse sollen die Schüler-Lehrer-Beziehungen gestärkt werden.
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