Nadja Pastega hat kein Verständnis
für das von Alain Berset
geforderte Frühfranzösisch, das zur Frage des «nationalen
Zusammenhalts»
hochstilisiert wird.
Mes chers compatriotes, ça suffit! Sonntagszeitung, 10.7. von Nadja Pastega
Das Schweizer Sprachen-Seldwyla geht weiter. Bundesrat und Innenminister
Alain Berset will Deutschschweizer Kantone per Gesetz zwingen, schon in der
Primarschule eine zweite Landessprache zu unterrichten. Das kommt faktisch
einem Frühfranzösischobligatorium gleich. Von Berset und anderen Franz-Fans
wird es zur Frage des «nationalen Zusammenhalts» hochstilisiert, dass alle
Deutschschweizer Primarschüler zwei Stunden pro Woche im Frühfranzösischunterricht sitzen. Das ist pure Hysterie. Bis in die Neunzigerjahre gab es
kein Frühfranzösisch, ohne dass die Schweiz auseinadergefallen wäre.
Das Eingreifen des Bundesrats ist ideologisch motiviert. Es gibt dafür keine
pädagogischen Gründe. Das ist stossend. Es kann nicht sein, dass sämtliche
Deutschschweizer Schüler auf Teufel komm raus in der Primarschule zwei
Stunden pro Woche Frühfranzösisch lernen sollen, nur weil sich die Romands
sonst übergangen fühlen. Für den nationalen Zusammenhalt spielt es keine
Rolle, wann der Fremdsprachenunterricht beginnt – sondern einzig, wie gut
die Schülerinnen und Schüler die Sprache am Ende der obligatorischen Schulzeit
beherrschen.
Wie Bersets zentralstaatliche Intervention war bereits der Sprachenbeschluss
der Erziehungsdirektorenkonferenz von 2004 politisch motiviert: Für das Modell, dass ab der dritten Klasse die erste und ab der fünȑen Klasse die zweite
Fremdsprache unterrichtet wird, gibt es keine pädagogische Notwendigkeit.
Im Gegenteil: Studien haben gezeigt, dass das Alter für das Lernen einer Sprache
nicht entscheidend ist. Frühstarter haben keine nachhaltigen Vorteile –
Schüler, die erst in der Oberstufe mit einer Fremdsprache beginnen, holen den
Rückstand gegenüber jenen, die damit schon in der Primarschule angefangen
haben, schnell auf. Das hat eine Untersuchung der Zürcher Linguistin Simone
Pfenninger ergeben. Sie erhielt dafür von der Universität Zürich die Habilitation.
Wie vergiftet die Fremdsprachendebatte inzwischen geführt wird, zeigt die
Reaktion von EDK-Präsident Christoph Eymann auf diese Arbeit. Um das
EDK-Sprachenkonzept argumentativ über die Forschungsergebnisse hinwegzuretten,
kanzelte er Pfenningers Studie als «qualitativ ungenügend» ab.
Für das erfolgreiche Lernen einer Sprache sind Qualität, Quantität und Intensität
des Unterrichts entscheidend. Das Kurzfutterkonzept an den Primarschulen
mit zwei bis drei Lektionen pro Woche kann nicht funktionieren. Es
braucht deutlich mehr Stunden. Denkbar wäre die Methode der Immersion,
das heisst, dass gewisse Fächer ausschliesslich in der Fremdsprache unterrichtet
werden. Dazu braucht es muttersprachliche Lehrkräfte. Einfach liesse sich
eine höhere Lektionenzahl erreichen, indem die zweite Fremdsprache auf die
Oberstufe verschoben wird. Durch den späteren Beginn werden Stunden frei,
die für die erste Sprache eingesetzt werden könnten.
Welche Sprache zuerst gelehrt wird, soll man den Kantonen überlassen. Es
gibt schlicht keinen sachlichen Grund, warum das Französisch sein muss.
Wenn von den Anhängern von Frühfranzösisch darauf verwiesen wird, dass
umgekehrt in den Westschweizer Schulen längst flächendeckend Frühdeutsch
unterrichtet wird, ist das zwar richtig – die Frage muss aber erlaubt sein, ob die
Romands deshalb besser Deutsch sprechen, als die Deutschschweizer Französisch beherrschen.
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