Chatten? Nur mit Freunden. Ostschweiz am Sonntag, 3.7. von Julia Nehmiz
Früher
wurden Kinder gewarnt: «Steig nicht zu Fremden ins Auto, nimm keine
Süssigkeiten von Leuten an, die du nicht kennst.» Heute spielt es sich
diffiziler ab. Kinder und Jugendliche sind via Smartphone mit der ganzen Welt
verbunden. Der Fall Paul hat aufgewühlt – und ein Thema ins Bewusstsein der
Öffentlichkeit gerückt, dem man sich nicht genug widmen kann: Sicherheit im
Internet. Der 12jährige Paul aus dem Solothurnischen hat das als sicher
gepriesene «Minecraft» gespielt. Im Chatforum des Spiels geriet er an seinen
Entführer.
Die
Fünft- und Sechstklässler einer St. Galler Primarschule haben davon gehört, der
Fall Paul wurde teils im Unterricht thematisiert. Für die Lehrer ist Sicherheit
im Netz ein Dauerthema. Denn: Erschreckend viele Eltern interessieren sich
nicht dafür. Am Infoabend zum Thema «Handy & Co.» nahmen nicht einmal 30
Erwachsene teil. In städtischen Schulhäusern gilt ein Handyverbot – doch in der
Freizeit sind die Kinder online.
Fast alle
gamen regelmässig
Von den
25 Fünft- und Sechstklässlern haben bis auf 5 alle ein Smartphone. Einige der
Schüler sind vom ständigen Handygebrauch genervt. «Immer nur aufs Handy
starren, ich gehe lieber raus und treffe mich mit meinen Freundinnen», sagt
Bianca. Ihr erstes Handy hat sie schon in der 2. Klasse bekommen, damit ihre
Mutter sie erreichen konnte, wenn Bianca zu ihren Freundinnen ging, ohne
Bescheid zu sagen. Ein anderes Mädchen will kein Handy: «Ich habe keine Zeit
dafür», sagt Perilisa. Ihre Tage seien mit Schule und den vielen Hobbies
ausgefüllt.
Gamen?
Das machen – bis auf fünf – alle. Manche dürfen nur am Wochenende, andere
hocken täglich bis zu drei Stunden vor dem Computer. Wobei: «Meine Mutter
spielt mehr auf dem Handy als ich», sagt ein Mädchen. Einer ruft, seine Oma sei
süchtig nach «Candy Crush». Ein 13-Jähriger hat es schon weit gebracht: im
Flugsimulator war er auf Platz 20 der besten Schweizer Spieler.
Bei
manchen Kindern kontrollieren die Eltern, was sie spielen, welche Seiten sie
besucht haben. Andere können sich frei im Netz bewegen. «Meine Eltern kennen
mein Passwort vom Handy nicht», sagt eine Schülerin stolz. Wenn ihre Eltern ihr
Handy kontrollieren wollten, lösche sie schnell den Seitenverlauf. Eine andere
hingegen hat von abends 20 Uhr bis morgens 8 Uhr keinen Internetzugang.
Anregung
zu neuen Games finden sie auf YouTube, bei Freunden, in der Werbung. Oft
spielen sie Spiele, die der grosse Bruder ihnen zeigt. Darunter sind auch
brutale, die erst ab 18 freigegeben sind. «GTA – Grand Theft Auto» kommt als
Autorennen daher, entpuppt sich aber als Killerspiel. 8 der 25 Kinder kennen
es. «Man muss Missionen erfüllen», sagt eine 13-Jährige. «Man besucht
Stripclubs», sagt ein Fünftklässler. Und man kann alles niedermetzeln. Feinde,
Tiere, Passanten. Minecraft hingegen haben fast alle schon einmal gespielt,
oder spielen es regelmässig. Aber sie würden nicht chatten, sagen sie. Das mag
vielleicht auch dem Besuch der Reporterin geschuldet sein. Die Kinder beteuern,
sie wüssten, dass man nichts Persönliches schreiben dürfe. Nie. Sie chatten nur
mit Freunden. Gehen Spielerkoalitionen nur mit Freunden ein. So, wie sie bei
Fremden nie ins Auto steigen würden, lassen sie sich auch in der virtuellen
Welt nicht auf Fremde ein.
Von
Fremden angeschrieben
Doch
Fremde lassen sich auf sie ein: Ein Mädchen erzählt, sie sei mehrfach in einer
WhatsApp-Gruppe aufgetaucht, in der sie gar nicht sein wollte. Eine andere
Schülerin berichtet, ein David habe sie auf Snapchat angeschrieben, er wisse,
wo sie wohne, er habe ihre Nummer, er wisse alles von ihr. Sie habe das ihrer
Mutter gezeigt und den Typ sofort blockiert.
Die
Lehrerin seufzt. Sie findet die Entwicklung höchst bedenklich. Durch die neuen
Medien würde man den Kindern viel von ihrer Unbekümmertheit nehmen.
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