Die Mitarbeiter einer Hochschule werden per
Mail von der Leitung zu einem «Hearing» eingeladen. «Eure Meinung ist uns
wichtig!», steht im Betreff. Es geht um eine interne Reorganisation und
Lehrmittel. «Die Hochschulleitung freut sich auf eine lebhafte Diskussion!»
Zwei Wochen später: Die Aufgebotenen platzieren sich weit weg vom Podium.
Stoisch lassen sie anschliessend eine Power-Point-Präsentation voller
Ablaufschemen und Anglizismen über sich ergehen. Den Satz‚ «die Schulleitung
hat beschlossen», hört man mehrmals. Es wird auf Vorgaben der
Direktorenkonferenz, globale Standards und Studien hingewiesen, die «zwingend»
eingehalten werden müssen. Endlich die Diskussion. Niemand meldet sich. Zwei
Mitarbeiter mit Mikrofonen stehen tatenlos herum. Schliesslich erhebt eine Frau
die Hand. «Kann ich dieses Hearing voll als Arbeitszeit abrechnen, auch wenn
ich 40 Prozent arbeite?» Weitere Fragen gibt es nicht. Nach Abschluss des
Hearings, als die Mitarbeiter unter sich sind, geht es los: Man sage nichts,
bevor man nicht weiss, ob Vorschläge ernsthaft geprüft werden! Eine lausige
Alibiübung eines Public-Relations-Profis! Die Leitung inszeniert wie oft
«Mitarbeiterbeteiligung», ohne zuzuhören.
Eure Meinung ist uns wichtig, Basler Zeitung, 22.4. von Allan Guggenbühl
Neuerungen in Ausbildungsinstitutionen
sind erfolgreich, wenn die Basis mitmacht. Vor allem wenn das Ausbildungsniveau
der Mitarbeiter hoch ist, können Reformen nicht top-down implementiert werden.
Sie müssen einleuchten. Informationskampagnen genügen nicht, sondern es braucht
eine aktive Mitwirkung bei Kernentscheiden. Was in höheren Gremien ausgedacht
wird, muss der Realität der Arbeitswelt angepasst werden.
Früher wurde die Schweiz
durch kleine Ausbildungsinstitutionen geprägt. Dort konnte man sich an
Dozententreffen oder informellen Zusammenkünften über Vorschläge der Bildungsdirektion
oder mit Experten austauschen. Entscheidungsrahmen und Einflussmöglichkeiten
waren klar. Die Chance war gross, dass Mitarbeiter ihren Chefs sagten, was sie
denken. In grossen Ausbildungsinstitutionen mit einem komplexen Oberbau und
vielen Kaderpositionen, wie wir es heute kennen, ist dies schwieriger. Die
Verantwortlichen sind fern und werden vom Diskurs unter Ihresgleichen
absorbiert. Man will an Kongressen mit der eigenen Forschung brillieren oder
wendet sich dem globalen Networking zu. Die Erfahrungen der Mitarbeiter rücken
in den Hintergrund. Eine Einladung zu einem Kongress in Dortmund ist wichtiger
als vertiefte Gespräche mit der Basis. Die Gefahr ist, dass diese sich als
steuerbare Masse erlebt, der erklärt werden muss, was «fortschrittlich» ist.
Man verlässt sich auf professionelle Kommunikationsstrategien statt
Begegnungen. Es geht nicht um das Hineinhören in die Praxis, sondern die
Durchsetzung aktueller Paradigmen oder Irrtümer der Forschungsgemeinschaft.
Das Gefühl breitet sich aus, dass das New Public Management Mitbeteiligung
vorgaukelt. In Wirklichkeit sind Grundsatzentscheide längst gefallen und man
redet nur über Details. Geht es darum, der Basis Sand in die Augen zu streuen und
sich eine Scheinlegitimation zu geben?
Diese Form des Kontaktes
zu Mitarbeitern kennt man nicht nur aus China, sondern auch in Ländern mit
einer obrigkeitlichen Tradition wie England und Frankreich. In den letzten
beiden haben sich als Gegengewicht starke Gewerkschaften, Streikbereitschaft
und Strategien verbreitet, wie man die «Oberen» austrickst. Muss es bei uns
auch so weit kommen? Die schweizerische Demokratie lebt von einer
Diskussionskultur jenseits der Hierarchien und Stände. Wirkliche Leader hören
auf ihre Mitarbeiter und nehmen ihre Vorschläge auf.
Allan Guggenbühl ist
Psychologe und Autor des Buches «Vergessene Klugheit – Wie Normen uns am
Denken hindern».
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