Das neue Volksschulgesetz ermöglicht es Schulen,
den Eltern die Deutschnachhilfe für ihre Kinder zu verrechnen. Beim
Bundesgericht ist dagegen eine Beschwerde eingegangen – obwohl diese Praxis
bereits heute angewendet werden kann.
Eltern werden zur Kasse gebeten, St. Galler Tagblatt, 13.4. von Michèle Vaterlaus
Die Primarschulgemeinde Romanshorn will Eltern an den Kosten beteiligen, wenn
deren Kinder zusätzlichen Deutschunterricht benötigen. Ab August 2017 sollen
sie einen Pauschalbeitrag von 500 Franken bezahlen. Der Beitrag entfällt aber,
wenn das Kind im Vorfeld die Spielgruppe zweimal wöchentlich besucht hat.
Romanshorn führt damit eine Praxis ein, die mit dem neuen Thurgauer
Volksschulgesetz zwar rechtens wäre, aber umstritten ist.
Das neue
Volksschulgesetz hat der Grosse Rat zu Beginn des Jahres verabschiedet. Dieses
gibt Schulen das Recht, «in besonderen Fällen» von Eltern eine
Kostenbeteiligung für die Deutschnachhilfe zu verlangen, wenn die Kinder zu
wenig gut Deutsch sprechen. Gegen diesen Beschluss ist beim Bundesgericht eine
Beschwerde eingereicht worden. «Ein soziales Grundrecht unserer
Bundesverfassung garantiert jedem Kind das Recht auf ausreichenden und
unentgeltlichen Grundschulunterricht», sagt Valentin Huber. Er ist einer der
vier Privatpersonen, welche die Beschwerde eingereicht haben. Stelle die Schule
den Unterricht in Rechnung, dann sei das nicht mit diesem höherrangigem
Bundesrecht vereinbar.
Kritik kam schon früh
Bereits
nach der Gesetzesrevision wurde kritisiert, dass dieser Gesetzesartikel
verfassungswidrig sei. Regierungsrätin Monika Knill, Departement für Erziehung
und Kultur, erklärte bereits damals, man habe den Artikel im Gesetz
aufgenommen, da es in Schulgemeinden Fälle gebe, bei denen Kinder in der
Schweiz geboren wurden und sich die Eltern nicht um deren sprachliche Integration
bemühen. Der Grosse Rat und die vorberatende Kommission hätten sich aber
bewusst für eine Kann-Formulierung und für den Zusatz «in besonderen Fällen»
ausgesprochen, wie sie gegenüber unserer Zeitung sagte. Doch auch die
Formulierung kritisieren die Beschwerdeführer.
Willkür befürchtet
Valentin
Huber stellt die Frage, wer entscheide, was denn ein «besonderer Fall» sei und
wann ein Kind genügend gut Deutsch spreche. «Wir fragen uns, ob auch jedes Kind
gleich behandelt wird.» Denn ob Eltern zur Kasse gebeten werden oder nicht,
liege im Ermessen der jeweiligen Schulbehörde – und jede Schulbehörde würde
wohl wieder anders urteilen. Unterstützung in dieser Kritik bekommt er von Beat
W. Zemp, Präsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH).
Der Verband
hatte noch im November in Betracht gezogen, selbst eine Beschwerde
einzureichen. Hat sich dann aber dagegen entschieden, weil die Kantonalsektion
Bildung Thurgau aus guten Gründen nicht als Beschwerdeführer auftreten wollte,
wie Zemp sagt. «Der Gesetzesartikel betrifft in erster Linie Eltern und nicht
Lehrer.» Dennoch ist Zemp froh, dass durch die Beschwerde geprüft wird, ob der
Artikel verfassungskonform ist oder nicht. «Ich sehe vor allem Hürden bei der
Umsetzung», sagt er. «Wie will man Willkür verhindern?», fragt er sich, wie es
bereits Huber getan hat.
Anne
Varenne, Präsidentin von Bildung Thurgau, sagt: «Wir haben keinen Beschluss
gefasst. Doch an der Delegiertenversammlung war der Tenor dahingehend, dass den
Eltern eine Kostenbeteiligung auferlegt werden kann, wenn zumutbare
Möglichkeiten bestanden hätten, dem Kind vor Schuleintritt ausreichend Deutsch
beizubringen.» Mit zumutbar sei gemeint, dass das Angebot kostenlos und vor Ort
bestehen muss. «Das ist in vielen Gemeinden nicht der Fall», sagt sie. «Von
daher erzeugt das Gesetz auch einen gewissen Druck auf die Gemeinden, solche
Angebote zu schaffen. Das würden wir begrüssen.»
Verordnung lässt es bereits zu
Die
Primarschulgemeinde Romanshorn stützt ihren Beschluss, von Eltern für
zusätzlichen Deutschunterricht einen Kostenbeitrag zu verlangen, aber nicht auf
das neue Volksschulgesetz. «In der bestehenden Verordnung steht, dass
Massnahmen wie Deutsch als Zweitsprache in der Regel unentgeltlich sind», sagt
Schulpräsident Hanspeter Heeb. «Diese Formulierung schliesst nicht aus, dass in
Ausnahmefällen der zusätzliche Unterricht auch für kostenpflichtig erklärt
werden kann.»
So ist es
einigen Schulgemeinden im Thurgau bereits gang und gäbe, für Deutschnachhilfe
Rechnungen an die Eltern zu schreiben.
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