Verschnaufpause im Sprachenstreit, Tages Anzeiger, 9.3. von Anja Burri
Das
Frühfranzösisch hat einen ersten Demokratietest bestanden. Gestern lehnte das
Nidwaldner Stimmvolk mit 61,7 Prozent der Stimmen die Fremdspracheninitiative
der SVP ab. Die Schülerinnen und Schüler in Nidwalden lernen weiterhin ab der
3. Klasse Englisch und ab der 5. Klasse Französisch. Die Sprachenstrategie
«3/5» der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)
bleibt so unangetastet. Die kantonale Initiative hatte verlangt, eine der
beiden Fremdsprachen nicht mehr in der Primarschule zu unterrichten. Die
Nidwaldner Regierung hatte das Volksbegehren unterstützt und bereits einen
Vorschlag zur Umsetzung präsentiert: Sie hätte den Französischunterricht auf
die Sekundarstufe verschieben wollen.
Das sorgte in der
Westschweiz für Empörung und löste sogar im eidgenössischen Parlament
Diskussionen aus. Entsprechend genau verfolgte man gestern die Abstimmung in
der Westschweiz. Nidwalden habe einen sehr schweizerischen Entscheid gefällt
und respektiere die Minderheiten, schrieb der Waadtländer SP-Nationalrat Jean
Christophe Schwaab auf Twitter. Und Anne-Catherine Lyon, Präsidentin der
Konferenz der Erziehungsdirektoren der Westschweiz und des Tessins, war
«beeindruckt von der Deutlichkeit des Entscheids». Enttäuscht zeigte sich der
Nidwaldner Regierungspräsident Res Schmid (SVP): «Mir ging es nie um eine
Schwächung des Französischunterrichts.» Er habe erreichen wollen, dass
Primarschüler mehr Lektionen in Mathematik und Deutsch erhielten.
«Wirklich erleichtert»
Die grösste Last dürfte
gestern Christoph Eymann, dem Präsidenten der Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren, von den Schultern gefallen sein. Er sei «wirklich
erleichtert», sagte er. Weil es in mehreren Deutschschweizer Kantonen
Bestrebungen gibt, den Französischunterricht aus der Primarschule zu streichen,
droht der Bund einzugreifen. Das will die EDK unbedingt vermeiden. Eymann
hofft, dass dieses «Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit» auch in den anderen
Kantonen ankommt. Nun wolle er erst «in Ruhe» weiterarbeiten; die EDK muss im
Juni Bilanz darüber ziehen, ob die in der Verfassung verankerte Harmonisierung
der kantonalen Schulsysteme gelungen ist. Dazu gehört auch der Sprachunterricht
mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule. Eine davon soll Französisch oder
Italienisch sein.
Bundesrat Alain Berset
hat bereits mehrfach angekündigt, der Bund werde einschreiten, sollten die
Primarschüler in einem Kanton nur noch Englisch lernen. Auch die
Bildungskommission des Nationalrats (WBK) möchte den Kantonen vorschreiben,
dass spätestens zwei Jahre vor Ende der Primarschule eine zweite Landessprache
unterrichtet werden muss. Sie hat eine entsprechende parlamentarische
Initiative verabschiedet. Dieses Druckmittel brauche es weiterhin, sagt WBK-Präsident
Matthias Aebischer (SP). Denn der weitsichtige Entscheid der Nidwaldner sei nur
ein «Zwischenhalt». Spätestens im Ständerat dürfte der WBK-Vorstoss nur eine
Chance haben, wenn in nächster Zeit tatsächlich ein Kanton aus dem
Sprachenkompromiss der EDK ausschert.
Potenzielle Abweichler
Das ist allerdings in
mehreren Kantonen möglich: Zum einen in Luzern und Graubünden, wo ebenfalls
Volksinitiativen hängig sind. Im Kanton Thurgau muss die Regierung einen
Auftrag des kantonalen Parlaments umsetzen. Dieses hatte bereits im vergangenen
August beschlossen, den obligatorischen Französischunterricht aus dem Lehrplan
der Primarschule zu kippen.
Im Kanton Zürich hat ein
Komitee angekündigt, ab Juni Unterschriften für eine Fremdspracheninitiative zu
sammeln. Mit Spannung erwartet wird weiter eine Evaluation des
Fremdsprachenunterrichts, den die Zentralschweizer Kantone in Auftrag gegeben
haben. Die Resultate sollen im Herbst vorliegen. Darauf zählen auch die
Abstimmungsverlierer von Nidwalden. «Das Stimmvolk wollte verhindern, dass
unser Kanton vorprescht», sagt Christoph Keller, Mitinitiant und Präsident der
Nidwaldner SVP. Er sei deshalb gespannt, wie die Zentralschweizer Studie
herauskomme.
Doch selbst wenn alle
erwähnten Kantone den Englisch- und Französischunterricht auf der Primarstufe
beibehalten, bleibt die Disziplinierungsaufgabe der EDK anspruchsvoll. Im
Aargau und in Appenzell Innerrhoden lernen die Kinder bis Ende der fünften
Klasse weiterhin nur Englisch. Beide Kantone wollen das Frühfranzösisch erst
mit dem Lehrplan 21 einführen. Im Aargau ist dies für das Schuljahr 2020/21
vorgesehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen