Trennen statt integrieren - Teuscher weicht Schulpflicht für Jenische auf, Bund, 10.3. von Niklas Zimmermann
Als
«gescheitert» bezeichnet Irene Hänsenberger die Versuche, jenische Eltern zur
Einhaltung der Schulpflicht zu zwingen. Statt sie mit Bussen zu bestrafen, will
die Stadt Bern die Fahrenden künftig motivieren, ihre Kinder in die Schule zu
schicken. Ab August werden im Schulhaus Stapfenacker in Bümpliz – das in der
Nähe des Standplatzes Buech liegt – neuerdings zwei Speziallehrkräfte
angestellt, wie die «SonntagsZeitung» berichtete. Sie sollen den Kindern getrennt
vom regulären Unterricht Förderunterricht erteilen.
«Wir wollen den
Fahrenden nicht ihre Kultur wegnehmen», sagt Irene Hänsenberger, Leiterin des
städtischen Schulamts – aber unbedingt müsse verhindert werden, dass die Kinder
von der Sozialhilfe lebten. Hintergrund der Massnahme ist, dass einige Jenische
bereits seit Jahren trotz Strafmassnahmen ihre Kinder nicht regelmässig in die
Schule schickten.
«Erhebliche
Unterschiede»
Zudem: Im Stapfenacker
führte es immer wieder zu Reibereien, wenn die Jenischen im Oktober wieder in
ihre Regelklasse zurückkehrten, sagt der städtische Schulinspektor Peter Hänni.
Als «erheblich» bezeichnet Hänni den Rückstand der Jenischen – welche von März
bis Oktober generell von der Schulpflicht befreit sind. Mit teilweise getrenntem
Unterricht wolle man beiden Bevölkerungsgruppen besser gerecht werden. Künftig
sollen die Kinder der Jenischen acht bis zwölf Stunden die Woche in
sogenannten «Lernateliers» unterrichtet werden. Der Schwerpunkt des
Spezialunterrichts liegt im Schreiben, Rechnen und Französisch. «Mit diesen
elementaren Dingen sollen Kinder für ihr künftiges Leben fit gemacht werden»,
sagt Hänni.
Wenn die Fahrenden im
Sommer auf Reisen sind – kümmern sich die beiden neuen Lehrkräfte darum, dass
die Schule nicht aussen vor bleibt. Wenn die Eltern einverstanden sind, würden
die Kinder im Fernunterricht betreut. Laut Hänni haben dies einzelne jenische
Familien explizit gewünscht.
Mit den Lernateliers für
Fahrende beschreitet die Stadt Bern neue Wege. Konkrete Vorbilder gebe es
keine, sagt Schulamtleiterin Hänsenberger. Zuversichtlich stimme sie der
Elternabend, welcher kürzlich im Schulhaus Stapfenacker durchgeführt wurde. Die
jenischen Eltern, welche dabei waren, hätten grosses Interesse gezeigt, sagt
sie.
2005 vereinbarte die
Stadt mit den Fahrenden, dass sie ihre Kinder von Oktober bis Februar in die
Schule im Stapfenacker schickten. Laut der Schulamtleiterin gibt es zwar keine
Eltern, welche ihre Kinder nie zur Schule schickten – sie nähmen es mit der
Präsenz aber nicht genau. Oft seien die Schüler gleich für drei Wochen «krank»
oder bei Verwandten im Wallis, beschreibt ein an den Lernateliers Beteiligter
die Problematik.
Das System «stösst an
Grenzen»
Zwangsmassnahmen seien
jedoch «belastend für das Vertrauensverhältnis» zwischen der Schule und den
Jenischen, sagt Schulinspektor Hänni. Nun versuche man, «das Vertrauen neu
aufzubauen». Die Schule müsse bei Abwesenheiten der Kinder nicht mehr unbedingt
eine Anzeige erstatten. Bisher sei dies in jedem Fall so gewesen, sagt er.
Mit der Toleranz
gegenüber Schulschwänzern setzt sich Bern von anderen Städten ab – und erntet
Kritik. Nur weil einzelne Straftäter rückfällig werden, schafft man nicht das
Strafrecht ab, zitiert die «SonntagsZeitung» den Leiter des Schulamts in
Zürich. Von einer Abschaffung der Schulpflicht könne aber keine Rede sein, sagt
Sven Baumann, Generalsekretär der Stadtberner Bildungsdirektion. Bei den
Allermeisten würden die Bussen wirken, so Baumann – doch hier habe man es mit
einer Bevölkerungsgruppe zu tun, «bei der wir mit unserem System an die
Grenzen stossen.»
Franziska Teuscher (GB),
Bildungsdirektorin der Stadt Bern, wollte gegenüber dem «Bund» keine Stellung
dazu nehmen, ob das neue Projekt mit der Schulpflicht wirklich vereinbar ist;
und inwiefern der getrennte Unterricht der Integrationspolitik der Stadt
entspricht.
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