Mit der Initiative muss sich auch noch der Ständerat beschäftigen, Bild: Keystone
Sexualkunde soll auch im Kindergarten möglich sein, St. Galler Tagblatt, 4.3.
"Die Initiative will ein Problem lösen, das gar nicht
existiert", sagte Chantal Galladé (SP/ZH) im Namen der vorberatenden
Bildungskommission. Die Sexualerziehung sei schon heute Sache der Eltern, werde
aber vom schulischen Unterricht ergänzt.
Zudem machte Galladé auf
allfällige Umsetzungsprobleme aufmerksam. Gemäss der Initiative soll
Sexualkunde in der Schule erst ab dem vollendeten neunten Altersjahr
unterrichtet werden dürfen, "Unterricht zur Prävention von
Kindsmissbrauch" wäre aber schon ab dem Kindergarten möglich. Danach soll
der Sexualkundeunterricht noch bis zum vollendeten zwölften Altersjahr
freiwillig sein und nur vom Klassenlehrer erteilt werden.
Damit ergäben sich
praktische Schwierigkeiten, wenn Kinder unterschiedlichen Alters in einem
Klassenzimmer sässen, sagte Galladé. "Auch die Initianten konnten uns hier
keinen Lösungsansatz liefern."
Zweifel am Nutzen von Sexualkundeunterricht
Gemäss den Initianten
werden die Kinder hierzulande in Kindergärten und Primarschulen "immer
häufiger mit Pornografie und Sexualkundeunterricht belästigt". Dabei
spürten die Eltern wohl am besten, wie viel das Kind über Sexualität erfahren
wolle, sagte Verena Herzog (SVP/TG). Eine zu frühe Konfrontation mit dem Thema
habe psychische Probleme zur Folge.
Es gebe keine Studien, die
den Nutzen eines frühen Sexualkundeunterrichts belegten, sagte der Basler
SVP-Nationalrat Sebastian Frehner. Er ist Co-Präsident des Initiativkomitees,
in dem SVP-Parlamentarier wie Toni Bortoluzzi, Oskar Freysinger und Peter Föhn,
aber auch der CVP-Nationalrat Jakob Büchler sitzen.
Koffer des Anstosses
In aller Munde war bei der
Debatte am Mittwoch der sogenannte "Sex-Koffer" - auch wenn dieser
schon längst wieder verschwunden ist, wie Maja Ingold (EVP/ZH) bemerkte.
Der besagte Koffer war in
baselstädtischen Schulen zum Einsatz gekommen. Er enthielt Material für den
Sexualkundeunterricht, an dem sich konservative Kreise aufrieben. Die Debatte
über den umstrittenen Koffer im Jahr 2011 gab den Anstoss für die Initiative.
"Der Basler 'Sex-Koffer' war erst der Anfang", sagte Felix Müri
(SVP/LU). Das Bundesamt für Gesundheit treibe die Sexualisierung beständig
voran.
Auf der Gegenseite äusserte
Hans-Peter Portmann (FDP/ZH) in einer launigen Rede die Vermutung, dass wohl
auch seine Generation von einem "Sex-Koffer" profitiert hätte. Denn
mehrere Parlamentarier hätten sich im Vorfeld der Debatte mit Verweis auf das
"heikle Thema" gesträubt, das Wort zu ergreifen.
"Initiative unterstützt
Pädophilie"
In den Augen der Gegner
würde mit der im Dezember 2013 eingereichten Initiative die
Missbrauchsprävention erschwert. Damit folgten sie der Argumentation des
Bundesrats, der die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfiehlt.
Der schulische
Sexualkundeunterricht schütze Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt,
sexuell übertragbaren Krankheiten und unerwünschten Schwangerschaften, sagte
Bildungsminister Johann Schneider-Ammann im Rat.
Prävention sei nur
möglich, "wenn gewisse Dinge beim Namen genannt werden", sagte
Chantal Galladé. "Tabuisierung und Prüderie ist kein wirksames Mittel
gegen Missbrauch", sagte Martina Munz (SP/SH). Noch deutlicher wurde Aline
Trede (Grüne/BE): "Die Initiative unterstützt die Pädophilie."
Mehrere Redner liessen es
sich nicht nehmen, auf eine unschöne Episode in der Geschichte der Initiative
hinzuweisen: Nachdem bekannt geworden war, dass ein Mitinitiant einige Jahre
zuvor wegen Kindsmissbrauchs verurteilt worden war, musste das Initiativkomitee
die Unterschriftensammlung stoppen und in geänderter Zusammensetzung ein
zweites Mal starten.
Falsches Bild von Sexualität korrigieren
Die Kinder hätten heute
mit einem Mausklick Zugriff zu harter Pornografie, so der Tenor unter den
Initiativgegnern. Der Sexualkundeunterricht könne das falsche Bild korrigieren,
das den Kindern dadurch vermittelt werde, sagte Mathias Reynard (SP/VS).
In den Augen der Gegner
vermindert das Volksbegehren zudem die Chancengleichheit. "In vielen
Familien ist die Aufklärung noch immer ein Tabu", sagte Bernhard Guhl
(BDP/AG). Diese Familien delegierten die Aufgabe an die Schule, weshalb der
Sexualkundeunterricht dort nicht verunmöglicht werden dürfe. Mehrere
Nationalräte warnten ausserdem vor einem Eingriff in die kantonale Schulhoheit.
Am Ende der
dreieinhalbstündigen Debatte sagte Chantal Galladé: "Ein Land, das sich
einen Nachmittag lang über Plüsch-Vaginas aufregen kann, ist ein glückliches
Land."
Nun muss sich noch der
Ständerat mit der Initiative befassen.
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