Will den Anschluss an die Ostschweiz nicht verlieren: Martin Jäger, Bild: Yanik Bürkli
Martin Jäger: "Wir hinken schon jetzt hinterher", Südostschweiz, 7.3. von Stefan Bisculm
Im Kanton Graubünden wird seit dem Schuljahr 2012/13 Englisch ab der 5.
Primarschulstufe unterrichtet. Weil das Lehrmittel auf diesen Zeitpunkt hin
noch nicht fertig war, muss der erste Jahrgang bis zum Ende der Volksschule mit
einer Probeversion vorlieb nehmen. Erziehungsdirektor Martin Jäger findet, ein
guter Lehrer könne auch mit einem suboptimalen Lehrmittel gute Resultate
erzielen.
Warum wird im Kanton Graubünden mit einem unfertigen Englischlehrmittel
«New World» unterrichtet?
Martin Jäger: Der Kanton Graubünden hat das Lehrmittel «New
World» mit den anderen Kantonen entwickelt, die wie wir ab der 3. Klasse eine
Landessprache als erste Fremdsprache unterrichten und ab der 5. Klasse mit
Englisch beginnen. Diese sogenannten Passepartout-Kantone stützen sich dabei
auf einen Lehrplan, den man gemeinsam entwickelt hat. Die anderen
Passepartout-Kantone sind Bern, Baselland, Basel-Stadt, Solothurn, Wallis und
Freiburg und liegen in der westlichen Deutschschweiz. Es ist sinnvoll, dass wir
in Graubünden wie all diese Kantone das gleiche Lehrmittel verwenden ...
... der Kanton Graubünden hat aber ein Jahr früher mit dem
Englischunterricht begonnen und hat nicht gewartet, bis die Endfassung des
Lehrmittels «New World» vorlag. Warum diese Hektik?
Martin Jäger: Unser Problem ist, dass Graubünden der einzige Passepartout-Kanton im
Osten der Schweiz ist. Kantone wie St. Gallen, Thurgau und Glarus fangen
mit Englisch auf der Primarstufe an und haben viel früher damit gestartet. Wir
wollten nicht, dass unsere Schüler beim Austritt aus der Volksschule allzu weit
hinter dem Fahrplan der anderen Ostschweizer Kantone hinterherhinken. Wir
hinken schon jetzt hinterher.
Ein ganzer Jahrgang wird bis zum Ende der Volksschule also mit einem
unfertigen Lehrmittel unterrichtet. Eine Umfrage unter den Bündner
Sekundarlehrern hat ergeben, dass zwei Drittel der Lehrer mit dieser
sogenannten Erprobeversion unzufrieden sind. Das ist viel Kritik von der Basis.
Martin Jäger: Das wird am Anfang in anderen Passepartout-Kantonen wahrscheinlich
ähnlich tönen. Wenn sich das Lehrmittel als nicht optimal erweisen sollte,
werden wir da sicher noch schrauben müssen. Allerdings wird das der Kanton
Graubünden nicht alleine machen. Es ist nämlich gerade der Sinn der Sache, dass
alle Passepartout-Kantone gemeinsam handeln.
Bündner Schüler werden als Versuchskaninchen für ein unfertiges
Lehrmittel eingesetzt. Das birgt auch Risiken.
Martin Jäger: Der entscheidende Faktor für einen guten Unterricht sind die
Lehrpersonen. Eine gute Lehrperson kann auch mit einem suboptimalen Lehrmittel
ein gutes Resultat erzielen.
Warum hat der Kanton Graubünden nicht selber ein Englisch-Lehrmittel
evaluiert, warum folgte man blind den anderen Passepartout-Kantonen?
Martin Jäger: Die Passepartout-Kantone setzten das neue Sprachenmodell der
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren mit zwei
Fremdsprachen auf der Primarstufe gleich um wie wir. Der Lehrplan und das
Lehrmittel sind genau darauf ausgerichtet und darum ist es absolut sinnvoll,
dass der Kanton Graubünden das Rad nicht alleine neu erfindet.
Die anderen Passepartout-Kantone lehren ab der 3. Klasse aber
Französisch und nicht Italienisch. Und «New World» baut explizit auf den
Kompetenzen des Französischunterrichts auf. Für Graubünden ergibt das keinen
Sinn.
Martin Jäger: Es mag nicht 100 Prozent kompatibel sein, aber zu weiten Teilen schon.
«New World» baut darauf auf, dass Englisch nicht die erste Fremdsprache ist und
die Schulkinder schon Erfahrungen mit einer anderen Fremdsprache gemacht haben.
Ob man diese Erfahrungen mit Rätoromanisch, Italienisch, Deutsch oder
Französisch macht, ist kein fundamentaler Unterschied.
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