Christine Le Pape Racine, Leiterin der Professur Französischdidaktik an der PH FHNW, konnte die Anwesenden nicht überzeugen, Bild: fhnw
Wie die Baselbieter Lehrer die Professoren vorführten, Basler Zeitung, 26.9. von Thomas Dähler
Zwei verstaubt anmutende Theoretiker wollen den Praktikern, die
täglich unterrichten, erklären, wie die Wirklichkeit ist: ein hoffnungsloses
Unterfangen. Ob der von Präsident Roger von Wartburg geleitete Vorstand des
Lehrervereins die Professoren absichtlich ins offene Messer laufen lassen
wollte, ist nicht bekannt. Jedenfalls geriet der angesagte kontradiktorische
Meinungsaustausch zwischen den beiden Wissenschaftlern und den
Frühfremdsprachen-Skeptikern Rudolf Wachter, Professor an der Universität
Basel, und Urs Kalberer, Lehrer und Didaktiker aus Malans, zu einer extrem
einseitigen Angelegenheit – zeitweise sogar richtiggehend zum Tribunal. Leicht
erhielt man den Eindruck, dass die vom sprachlichen Schulalltag bitter
enttäuschten Lehrkräfte endlich mal die Gelegenheit erhielten, denen so richtig
die Leviten zu lesen, die ihnen die Suppe eingebrockt haben. Lehrkräfte, die
auf der Seite ihrer Fachhochschul-Professoren standen, waren jedenfalls im
ganzen Saal keine auszumachen.
Le
Pape versteifte sich darauf, dass das Fremdsprachenprojekt nicht vor 2018
ausgewertet werden könne. Und Manno beeilte sich zu erklären, dass alle
Fremdsprachenstudien aus dem Ausland nicht auf die Schweiz übertragen werden
könnten. Die einzige in der Schweiz verfügbare Studie besage, dass zwei
Frühfremdsprachen die Schüler nicht überfordern würden.
Da
hatte der Bündner Lehrer Kalberer, der offensichtlich über alle Studien, die
seit der Jahrhundertwende in Europa und den USA publiziert wurden, Bescheid
weiss, leichtes Spiel. Das Fazit: «Je früher desto besser, ist ein Mythos.»
Und: «Ältere Lerner lernen besser.» Im Primarschultempo von zwei
Wochenlektionen brauche man 20 Jahre, um auf gleich viel Sprachkontakte zu
kommen wie Sprachschüler im fremden Sprachgebiet. Kalberer: Erfolg habe eine
Frühfremdsprache bei uns nur, wenn eine Klasse maximal 15 Schüler zähle, jeden
Tag eine Lektion stattfinde und die Lehrkraft über muttersprachliche
Kompetenzen verfüge – ein Ding der Unmöglichkeit. Uniprofessor Wachter wies
darauf hin, dass im Pionierkanton Zürich Frühenglisch eingeführt wurde, bevor
überhaupt die erste wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben wurde – und dabei
habe es sich erst noch um ein Gefälligkeitsgutachten gehandelt.
Vergebliche
Mühe
Le
Pape und Manno sagten dazu nichts. Dafür meldeten sich mehrere Lehrkräfte aus
dem Publikum. Tenor: Ihre Sprachlektionen in der dritten und vierten Klasse –
in den Broschüren der Baselbieter Bildungsdirektion hochgelobt – seien
vergebliche Mühe. Der Aufwand jedenfalls stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag.
In der dritten Klasse könne zudem nur beschränkt auf die Erstsprache Deutsch
zurückgegriffen werden, denn die Schüler beherrschten Hochdeutsch noch gar
nicht richtig. Die Schüler hätten derart «den Ablöscher», dass sich die
Frühsprache sogar kontraproduktiv auswirke.
Vergeblich
versuchte Le Pape die Vorzüge eines Unterrichts ohne Klausuren anzupreisen.
Vergeblich dozierte Manno, dass es einer «angepassten Didaktik» bedürfe. Ein
Kollege, der in Yverdon Frühdeutsch unterrichtet hatte, erzählte, er sei trotz
Didaktik und deutscher Muttersprache in der Romandie völlig chancenlos gewesen:
«Deutsch ist in der Romandie genau so uncool wie Franz in der Deutschschweiz.»
Wie begossene Pudel standen die beiden Professoren von der Pädagogischen
Hochschule da – und erhielten ein Geschenk für ihren Theorie-Beitrag.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenRoger von Wartburg, Präsident des LVB, macht folgenden Kommentar:
AntwortenLöschenWas mich an der Berichterstattung in der BaZ stört, ist, dass der Eindruck entsteht, der LVB habe eine Art "Schauprozess" abgehalten und die beiden Exponenten der PH regelrecht "vorgeführt". Dem war aber definitiv nicht so! Beide Seiten erhielten gleich viel Redezeit und die Pro-Seite durfte sogar mit ihrem Kurzreferat beginnen, also an diesem Abend vor ein noch gänzlich "unbelastetes" Publikum treten. Es kam zu keinen Zwischenrufen oder persönlichen Anfeindungen, insgesamt wurde überaus pfleglich miteinander umgegangen. An jeder Gemeindeversammlung wird mit weitaus härteren Bandagen gekämpft. ABER: Ganz offensichtlich ist es der Pro-Seite nicht gelungen, auch nur ansatzweise einen Draht zu den anwesenden Lehrkräften zu finden. Diese haben sich und ihre Alltagsrealität zweifelsfrei stärker in den Voten der Contra-Seite wiederfinden können. Wahrscheinlich war es auch nicht sonderlich geschickt von der Pro-Seite, eine kritische Frage eines Primarlehrers als "nicht zeitgemäss" zu bezeichnen - da erstaunt es wenig, wenn sich die unterrichtende Zunft nicht ernst genommen fühlt von den Planungsbehörden. Das wäre dann ein weiteres Indiz für die wachsende Entfremdung zwischen Theorie und Schulpraxis - ein Problem, das der LVB seit Jahr und Tag anprangert.
Roger von Wartburg, Präsident LVB
Leserbriefschreiber Christoph Studer meldet sich in der Basler Zeitung:
AntwortenLöschenRichtig: Die beiden Fachhochschulprofessoren konnten einem leidtun. Aber nicht, weil sie von den Baselbieter Lehrpersonen an der Delegiertenversammlung vorgeführt wurden, sondern weil sie sich mit ihrem schlechten Referat zum Frühfremdsprachenkonzept selber bis auf die Knochen blamiert haben.
Frühestens 2018 würden erste Resultate vorliegen, meinte Frau Le Pape Racine. Der Erfolg werde sich aber ganz sicher einstellen, weil die von ihnen ausgebildeten Lehrpersonen ganz anders unterrichten würden. Es sei alles nur eine Frage der Motivation und der angepassten Didaktik. Mehr an Rechtfertigung für die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts war – ausser akademischen Floskeln – von ihnen nicht zu erfahren. Ob das genügt, um einen so teuren Grossversuch an Tausenden von Kindern zu starten?