"Schule nicht schlecht reden", Bild: Keystone
Weshalb lesen unsere Schüler so schlecht, Herr Hürzeler? SRF Regional, 26.9.
Neue Daten aus der Pisa-Studie 2012 haben diese
Woche für Schlagzeilen gesorgt. Denn diese Daten sagen: Im Bereich Mathematik
liegen die Kinder der Region zwar im Mittelfeld. Wenn man die Resultate mit
anderen Kantonen vergleicht. Im internationalen Vergleich rangieren die
Schweizer Schülerinnen und Schüler sogar relativ weit vorne.
Allerdings: Bei der Lesekompetenz hat der Kanton
Aargau im Vergleich zur Pisa-Studie 2009 an Rängen eingebüsst. Und im Vergleich
zu anderen Kantonen leigt der Aargau zurück. Das heisst: Die Aargauer Kinder
lesen immer schlechter.
Reaktion Nr. 1: Enttäuschung
Dieses Resultat «enttäuscht» SVP-Bildungsdirektor
Alex Hürzeler. Gleichzeitig beschwichtigt Hürzeler im Gespräch mit dem
«Regionaljournal Aargau Solothurn» von Radio SRF. «Wir müssen die Schule Aargau
jetzt auch nicht schlecht reden.»
Die Ausgaben für Bildung sind im Aargau von 2003
bis 2012 um über einen Drittel angestiegen, auf rund 900 Millionen Franken.
Trotzdem nimmt die Qualität der Leseleistung offenbar ab. Die SVP schreibt:
«Die Ausgaben werden immer grösser, die Schüler immer dümmer». Was läuft
schief?
Reaktion Nr. 2: Analyse
Hürzeler hat noch keine klare Antwort. «Wir müssen
das jetzt sachlich analysieren. Wir müssen schauen, ob wir die Mittel überall
richtig einsetzen.» Die Formulierungen seiner eigenen Partei empfindet er als
arg zugespitzt.
Alex Hürzeler wehrt sich aber auch gegen
Forderungen von links, dass man jetzt einfach mehr Geld in die Bildung
investieren müsse. «Die Gleichung mehr Geld gleich bessere Bildung ist zu
einfach.»
Vorwurf Nr. 1: Das Schulsystem funktioniert nicht
Die Resultate der Pisa-Studie hat Kritiker auf den
Plan gerufen. Das Aargauer Schulsystem und seine vielen Veränderungen in den
letzten Jahren würden sich nun auf die Kompetenzen der Schulkinder
niederschlagen, so der Vorwurf.
Alex Hürzeler will nicht nur das Schulsystem zur
Verantwortung ziehen. «Auch die Gesellschaft hat eine MItverantwortung.
Wahrscheinlich sitzen aktuell kaum Eltern mit ihren Kindern daheim und lesen
Bücher.»
Hürzeler macht auch die moderne Mediennutzung
verantwortlich. «Als ich vorher durch den Bahnhof gelaufen bin, habe ich genau
eine einzige Person mit einem Buch gesehen. Alle anderen haben ihr Handy
benutzt.»
An der Schulorganisation will Hürzeler aktuell
nicht «schrauben». Man könne nicht schon wieder das Bildungssystem umbauen.
«Wir wollen jetzt auch einmal Ruhe ins System bringen.»
Vorwurf Nr. 2: Der Amtsleiter ist eine
Fehlbesetzung
Die SVP fordert sogar personelle Konsequenzen. Sie
greift aber nicht den politischen Verantwortlichen (und Parteigenossen) Alex
Hürzeler an, sondern dessen Amtsleiter. Der Abteilungsleiter Volksschule müsse
seinen Platz räumen, so die Forderung.
Hürzeler dazu: «Das ist eine deplatzierte Haltung
und Zuspitzung meiner Partei.» Er wolle diese Forderung nicht einmal
diskutieren. «Die Schule findet vor Ort statt, nicht in meinem Departement.»
Vorwurf Nr. 3: Schlechte Lehrer
Der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband
hingegen hält viele Lehrer für fachlich zu wenig qualifiziert. «Tatsache ist,
dass Lehrermangel herrscht», gibt Alex Hürzeler zu. Es sei sicher so, dass
nicht auf allen Stufen überall immer die richtig qualifizierten Lehrpersonen im
Schulzimmer stehen.
Die Schulleitungen und Schulpflegen vor Ort würden
aber ihr Bestes geben. Und genau sie sollten sich auch um die Qualität kümmern,
so die Forderung von Bildungsdirektor Alex Hürzeler. Man müsse an der Front
ansetzen: Auch bei der Lehrerbildung zum Beispiel.
Vorwurf Nr. 4: Konzentration auf schlechte Schüler
Ein brisanter Vorwurf kommt von Alex Hürzeler
selber. Er hatte am Dienstag erklärt, dass sich die Lehrer möglicherweise zu
stark auf schlechte Schüler konzentrieren müssten. Denn die Pisa-Studie zeigt:
Vor allem die Zahl der sehr leistungsstarken Schüler hat zwischen 2009 und 2012
abgenommen.
«Wir müssen den Fokus wieder vermehrt auf die
starken Schüler legen», bestätigt Alex Hürzeler seine Analyse im Gespräch mit dem
Regionaljournal. Damit kritisiert Hürzeler indirekt auch das Modell der
integrativen Schule, wo auch schwache Schüler in die Regelklassen integriert
sind.
Im Gespräch relativiert Hürzeler allerdings diese
Kritik: «Wir können dieses Modell sicher diskutieren, immerhin ist es im Aargau
weiterhin freiwillig. Aber die Pisa-Studie basiert nicht auf Daten von
Schülern, welche selber aus integrativen Klassen kommen. Das muss man betonen.»
Was nun?
Keine personellen Konsequenzen, kein weiterer
Totalumbau im Schulsystem. Alex Hürzeler hat andere Lösungsansätze, damit die
Aargauer Schülerinnen und Schüler künftig wieder besser lesen können.
«Wir müssen Lösungen suchen im Bereich Deutsch und
Naturwissenschaften.» Hürzeler will sich in den nächsten Jahren vor allem darauf
konzentrieren, mit den betroffenen Verbänden und Hochschulen die
Unterrichtsqualität zu verbessern. «Offenbar machen wir da noch Fehler.» Dafür
brauche es aber weder mehr Geld noch neue Strukturen, betont Hürzeler.
Und: «Ich will den Leistungsaspekt wieder betonen.
Die Lehrer sollen von ihren Schülerinnen und Schülern auch Leistung einfordern.
Das darf neben allen integrativen Bemühungen nicht untergehen.»
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