Bildungsdirektor Hürzeler will den Reformeifer abkühlen, Bild: Keystone
Nur nach dem Takt der Bevölkerung, Basler Zeitung, 24.9. von Thomas Dähler
«Es wird immer teurer, dümmer zu werden!» So hat die Aargauer SVP
gestern die schlechten Pisa-Ergebnisse der Volksschule im Nachbarkanton
gegeisselt. Dabei ist der Kanton Aargau weit davon entfernt, ein mit dem
Baselbiet vergleichbares Reform-Chaos zu veranstalten. Gleichwohl leidet auch
die Aargauer Volksschule unter einer wachsenden Zahl von Problemschülern. Auch
ohne Mitgliedschaft im Harmos-Konkordat sind die Herausforderungen für die
Aargauer Schulen gross. Doch der Kanton Aargau begegnet diesen Herausforderungen
mit weit weniger Reformplänen als das Baselbiet.
Landessprache Absage erteilt
Die
Harmonisierungsdiskussion, die nach der Jahrtausendwende die Schweiz erfasst
hat und 2006 in den von Volk und Ständen bewilligten Bildungsrahmenartikel
mündete, verleiteten einst auch die Aargauer Bildungspolitiker dazu, die
Volksschule auf den Kopf zu stellen. 2008 führte der Aargau nach dem Zürcher
Vorbild Frühenglisch ab der 3. Klasse ein und erteilte damit indirekt der
Landessprache Französisch eine Absage.
Doch es sollte dies
der einzige Sündenfall bleiben: Den überbordenden Reformeifer der
Bildungspolitiker stoppte das Volk 2009. Es lehnte das sogenannte
Bildungskleeblatt an der Urne ab und schickte den dafür verantwortlichen
Bildungsdirektor in die Wüste: Rainer Huber (CVP) wurde abgewählt. Seine Stelle
übernahm der SVPler Alex Hürzeler.
Mit dem
vermeintlichen Glückskleeblatt hatte die Regierung das Fuder überladen.
Vorgesehen war nicht nur, zusammen mit den beiden Basel das Schweizer
Normschulmodell 6/3 (sechs Jahre Primar-, drei Jahre Sekundarschule)
einzuführen. Geplant war zusätzlich, die Schulen über einen «Sozialindex» mit
mehr Mitteln auszustatten, den Kindergarten und die untersten
Primarschulklassen zu einer «Eingangsstufe» zu verschmelzen und die Gemeinden
zur Einführung von Tagesschulangeboten zu verpflichten.
Kein Harmos-Beitritt
Das haushohe Nein
zum Bildungskleeblatt führte dazu, dass der Aargau bis heute den Beitritt zum
Harmos-Konkordat nicht mehr erwog. Bildungsdirektor Hürzeler beschränkte sich
darauf, mit der abgespeckten Reform «Stärkung der Volksschule» obligatorische
zwei Jahre Kindergarten sowie für die Primar- und Sekundarschule das Model 6/3
einzuführen. Damit führt Hürzeler den Aargau an die übrige Schweiz heran. Noch
vor dem Baselbiet: Der um ein Jahr verschobene Sekundarschulübertritt ist im
Aargau bereits Realität. Die heilsame Wirkung des Bildungskleeblatt-Neins hat
den Kanton Aargau zwar nicht von der Bildungsharmonisierung dispensiert, doch
die Bildungsdirektion in Aarau geht Reformen seither vorsichtiger an.
Trotz Modell 6/3
blieb die Hoheit über die Volksschule im Aargau bei den Gemeinden. Zwar mussten
die kleineren Gemeinden, wie im Baselbiet auch, Raum für ein zusätzliches
Primarschuljahr schaffen, doch im Wissen um die schulkritische Bevölkerung
wurde meist auf Luxuslösungen verzichtet. Auch an den Sekundarschul-Standorten
wurde der Wechsel pragmatisch umgesetzt und nicht auf Teufel komm raus Primar-
und Sekundarschule überall getrennt.
Ein
Schulhaus-Bauboom wie im Baselbiet setzte mit dem Label-Wechsel der
Sechstklässler von Sekundar- zu Primarschülern nicht ein. Im Zuge des
gesellschaftlichen Wandels sehen sich die Volksschulen ohnehin genügend anderen
Problemen ausgesetzt und kämpfen wie andernorts auch mit bürokratischem
Aufwand, Heilpädagogik und Schulsozialarbeit.
Mit dem Wechsel zum
Modell 6/3 wurde bei den Fremdsprachen keine Anpassung vorgenommen. Französisch
als zweite Fremdsprache beginnt weiterhin in der 6. Klasse und und damit quasi
automatisch in der Primarschule. Frühfranzösisch wurde vorerst auf das Jahr
2020 verschoben.
Vorläufig ohne Lehrplan 21
Beim unter der
Schirmherrschaft der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren auszuarbeitenden
Lehrplan 21 sind die Gegner im Aargau ebenso hartnäckig wie im Baselbiet. Dass
der Verein «Starke Schule Baselland» den Lehrplan 21 mit der Initiative für
einen Harmos-Austritt bekämpfen will, wurde auch im Aargau registriert. Vor
einem Monat lancierte ein ähnlich heterogen wie im Baselbiet zusammengesetztes
Komitee eine Volksinitiative «Nein zum Lehrplan 21»: Mit einer abschliessenden
Fächerliste im Aargauer Schulgesetz soll den Sammelfächern und den kritisierten
«Lernumgebungen» der Riegel geschoben werden. Beim SVP-Bildungsdirektor dürften
die Initianten offene Türen einrennen. Dieser hat die Einführung des Lehrplans
21 einstweilen auf das Jahr 2020 verschoben.
Bis zu diesem
Zeitpunkt ist möglicherweise auch bekannt, ob der Bund aktiv wird. Weil zu
wenig Kantone dem Harmos-Konkordat beigetreten sind, hätte der Bund die
Möglichkeit dazu. Doch solange dies nicht geschieht, bleiben sowohl die
Fremdsprachenregelung als auch der Lehrplan in der Kompetenz des Aargaus – und
einer Bildungsdirektion, die sich im Gegensatz zum Baselbiet primär an der
Bevölkerung im eigenen Kanton orientiert.
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