Bildungspolitiker sind gegen höhere Hürden für die Kantischüler, Aargauer Zeitung, 22.7. von Mathias Küng
Entscheiden sich zu wenige Bezirksschülerinnen und -schüler für
eine Lehre? Womöglich, weil man ihnen den Übergang in die Kantonsschule zu
leicht macht, wie Gewerbepolitiker in der az kritisierten?
SP-Grossrat
und Sekundarlehrer Thomas Leitch und Maya Bally, BDP-Grossrätin und
Vorstandsmitglied des Vereins Aargauischer Schulpflegepräsidenten, verweisen
vorweg beide auf die Demografie.
Weil
geburtenschwache Jahrgänge nachkommen, wird sich die Lehrlingsknappheit noch
verschärfen. Bally: «Auch mit mehr Lehrlingen aus der Mittelschule kann man
diese Lücke nicht auffüllen.»
Sie
fragt, ob das Ausbildungsniveau von Schulabgängerinnen und -abgängern wirklich
schlechter geworden ist oder ob nicht vielmehr die Anforderungen gestiegen
sind.
Deutlich weniger Realschüler
Früher
besuchten je rund ein Drittel der Schüler Real, Sek und Bez. Heute sind je rund
40 Prozent in Sek und Bez und rund 20 Prozent in der Real.
Darauf
verweist Kathrin Scholl, stellvertretende Geschäftsführerin des Aargauischen
Lehrerverbandes. Heute gehen somit auch Schüler in die Bez, die früher eine
Lehre gemacht hätten.
Entscheidend
ist für Scholl, dass die Bez die Schüler «neutral» ausbildet, sodass diese eine
Lehre machen oder in die Kanti gehen könnten.
«Den
Entscheid für den weiteren Weg fällen aber die Schüler und ihre Eltern, nicht
die Schule.» Scholl wehrt sich unter Verweis auf die tiefe Maturitätsquote im
Aargau klar gegen höhere Hürden für Bez-Schüler. Sie setzt «auf eine engere
Zusammenarbeit zwischen Schule, Gewerbe und Eltern».
Bally: Verbesserungen suchen
Maya
Bally und Kathrin Scholl geben zu bedenken, dass es für schwächere
Schulabgänger, die es schon immer gab, immer weniger Stellen gibt. Die einen
kritisieren zudem laut Bally ein Manko bei den Sprachkenntnissen, andere in
naturwissenschaftlichen Fächern, wieder andere wollen das Gestalterische mehr
fördern.
Bally:
«Die Klagen höre ich aber sehr wohl. Es wäre Zeit, dass Vertreter von
Volksschullehrern und Lehrmeistern zusammensitzen, über die unterschiedlichen
Erwartungen und Möglichkeiten diskutieren und nach Verbesserungen suchen.»
Leitch: Berufsbildungsfonds
SP-Grossrat
Thomas Leitch unterrichtet seit 25 Jahren als Sekundarlehrer. In
typenübergreifenden Abschlusstests am Ende des 8. Schuljahres zeigten viele
Sekundarschüler Bezirksschulniveau und man sehe später einstige Sekundarschüler die Berufsmatura machen, sagt Leitch: «Das zeigt, gute Sekundarschüler können das auch.»
Sekundarschüler Bezirksschulniveau und man sehe später einstige Sekundarschüler die Berufsmatura machen, sagt Leitch: «Das zeigt, gute Sekundarschüler können das auch.»
Leitch
will keinesfalls Kantonsschule und Berufslehre gegeneinander ausspielen. Auch
sollte man den Zugang zur Kantonsschule nicht erschweren: «Schliesslich braucht
auch die Industrie heute 30 Prozent Akademiker.»
Er
unterstützt aber vollauf Forderungen für gleich lange Spiesse in der
Ausbildung. Leitch fordert, dass wie im Kanton Zürich Firmen, die nicht selbst
ausbilden, in einen kantonalen Berufsbildungsfonds einzahlen. Davon profitieren
sollen die Lehrbetriebe.
Deppeler: Von Grund auf lernen
Mit
den Forderungen des Gewerbes sehr einverstanden ist Walter Deppeler,
SVP-Grossrat, Bildungspolitiker und Winzer mit Meisterdiplom: «Wer will, dass
mehr Sek- und Bezschüler eine Lehre absolvieren, spricht mir aus dem Herzen.»
Er
macht die Erfahrung, dass Schüler, die den Weg via Kanti und Fachhochschule
gegangen sind, zu wenig mit der Praxis verbunden seien. Deppeler: «Wer einen
Beruf von Grund auf gelernt hat und dann eine Weiterbildung macht, geht seine
Arbeit anders an. Das gibt die besseren Fachleute.»
Auch
Ruedi Suter, Rektor der Berufsschule Lenzburg, versteht die Forderungen des
Gewerbes. Er sieht ein grosses Spannungsfeld: Einerseits steigen die
Anforderungen, anderseits kämen eher schwächere Schüler.
Eben
weil heute die Kanti beliebter sei. Vielfach mangle es an Grundfertigkeiten wie
Lesen, Schreiben, Rechnen. Da würde er sich mehr Übung wünschen – und mehr
Information über die heute hohe Durchlässigkeit des Systems. Auch mit
Berufslehre besteht heute über gezielte Weiterausbildungen gar die Möglichkeit
einer akademischen Karriere.
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