Bezüglich des Fremdsprachenlernens herrscht blinder Enthusiasmus, Bild: NZZ
Bitte noch genauer hinsehen beim Fremdsprachenunterricht, Urs Kalberer
Der Artikel „Genauer
hinsehen beim Fremdsprachenunterricht“ (NZZ, 25.6.) moniert, wissenschaftlich
fundierte Argumente kämen in der Diskussion um den frühen
Fremdsprachenunterricht zu kurz – man müsse besser hinsehen. Diesem Wunsch sei
hiermit entsprochen. Die Verfasser – allesamt Professoren an Pädagogischen
Hochschulen (PH) – zitieren zur Legitimation der aktuellen Sprachenpolitik
verschiedene Studien. Es ist ihr gutes Recht, dies sehr selektiv zu tun und die
fast einhellige empirische Evidenz zu ignorieren, nach welcher früher
Unterricht verbunden mit spärlicher Kontaktzeit nur sehr enttäuschende
Resultate zu liefern vermag.
Die zitierte ESLC-Studie zeigt
beispielsweise, dass auf Stufe Primarschule tendenziell nur eine Fremdsprache
unterrichtet wird. Ausnahmen sind Estland und Griechenland. Ungeachtet des
frühen Beginns ist das Niveau der erreichten Sprachkompetenzen tief: Trotz
(oder gerade wegen) mehrjährigem Unterricht mit tiefer Lektionenzahl (30-80
Stunden pro Jahr) kommen 42 Prozent der Getesteten nicht über das tiefste
Niveau (A1) hinaus. Dies sind höchst bedenkliche Werte, die auch von der
anderen zitierten Studie (Ellie) bestätigt werden. Primarschüler erreichen nach
mehrjährigem Unterricht gerade das niedrigste Kompetenzniveau von A1. Als
negative Begleiterscheinungen erleben wir in der Schweiz die Aufsplitterung des
Lehrkörpers, da nur sehr wenige Lehrpersonen das erforderliche Niveau in zwei
Fremdsprachen erreichen. Ausserdem werden Fremdsprachen zu Selektionszwecken
gebraucht, was bereits früh zu Schulfrust führt. Schliesslich verdrängen die
Fremdsprachen andere wichtige Fächer aus der Stundentafel. Allein im Fall der
ersten Fremdsprache entspricht dies der Anzahl Deutschlektionen von zwei ganzen
Schuljahren.
Nach den Erfahrungen und der
wissenschaftlichen Faktenlage sind kritische Anmerkungen zu den
Frühfremdsprachen erlaubt. Ganz im Sinne von Georges Lüdi, dem Vater der
Sprachenstrategie von 2004, der nun selbst Mängel konstatiert. Lüdi stellt
fest, dass der frühe Fremdsprachenunterricht „nicht optimal“ verlaufe und von
„blindem Enthusiasmus“ begleitet sei (Le Temps, 23. Juni 2014). Es sei –
entgegen der vielen Behauptungen – nicht der Fall, dass junge Schüler besser
Sprachen lernten als ihre älteren Kollegen.
Erinnern wir uns, was zu Beginn der
Frühfremdsprachen-Einführung versprochen wurde: Die Kinder würden spielerisch
leicht und schnell Fremdsprachen lernen. Dies geschehe mit tollen, modernen
Lehrmitteln und top ausgebildeten Lehrkräften. Bekanntlich konnte keine dieser
Versprechungen von den verantwortlichen Ausbildungsstätten eingehalten werden.
Anstatt endlich einen Schlussstrich unter dieses fatale Experiment an
Schulkindern zu ziehen, fordern die Autoren keck Geduld und Geld für weitere
neue Lehrmittel, weitere Lehrerkurse und vor allem noch weitere
wissenschaftliche Untersuchungen.
Das Statement der drei PH-Professoren malt im Falle einer Abkehr von
zwei Primarfremdsprachen den Teufel an die Wand. Dabei verkennen sie, dass ihre
Theorien längst die Deutschschweizer Schule im Würgegriff haben. Während also Professoren vorgeben, den nationalen Zusammenhalt bewahren
und die Lehrkräfte „noch besser unterstützen“ zu wollen, wird gleichzeitig eine ganze
Schülergeneration verheizt.
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