13. Mai 2018

Schüler sollen an ihre Grenzen stossen

Das sagt Lernforscherin Elsbeth Stern über Didaktik:
Schulen setzen zunehmend auf selbstverantwortetes Lernen statt auf Frontalunterricht. Der richtige Weg?
Ich habe nichts gegen Frontalunterricht. Es kommt nicht drauf an, ob der Lehrer doziert oder die Schüler in Gruppenarbeit lernen. Entscheidend ist, dass die Schüler an ihre Grenzen stossen.
«Nichts gegen Frontalunterricht» Tages-Anzeiger, 5.5. von Tina Huber



Was meinen Sie damit?
Der Lehrer kann etwa eine schwierige Aufgabe stellen und sagen: «Überlegt euch, warum ihr diese Aufgabe nicht lösen könnt.» So bringt er die Schüler dazu, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen, an das anzuknüpfen, was sie wissen. Nur so lernt man dauerhaft. Wir sollten nicht glauben, dass das mit Computern oder Gruppenarbeit automatisch besser wird.

Und wenn jemand einfach nicht mit Mathe zurechtkommt?
Dann müssen die Lehrer eben dafür sorgen, dass auch schwächere Schüler Erfolgserlebnisse haben. Gerade in Mathematik lassen sich die Schwierigkeitsstufen einfach dosieren. Ein Lehrer kann beispielsweise seinen Schülern zehn unterschiedlich schwierige Aufgaben stellen mit der Aufforderung, sie sollen sich jene aussuchen, die sie nicht auf Anhieb, aber mit etwas Anstrengung lösen können.

Also scheitern, damit man zur Lösung kommt?
Genau. Nur so lernt man dauerhaft. Das ist besonders in den Naturwissenschaften entscheidend. Unsere Studien haben gezeigt, dass es in der Physik oft nicht an den Schülern liegt, wenn sie schlecht sind – sondern am Unterricht. Es herrschen viele falsche Vorstellungen, die aus Alltagserfahrungen kommen. Bei Atomen etwa denken viele an kleine Teilchen, die aneinanderpappen, weil sie früher mit Lego gespielt haben. Erst wenn solche Irrtümer geklärt sind, versteht man richtig. Vor allem intelligente Mädchen lernen so besser.

Warum interessieren sich immer noch so wenige Mädchen für Physik oder Biologie?
Das ist in erster Linie eine Frage des Interesses, nicht der Intelligenz: Mädchen bringen genau dieselben kognitiven Eigenschaften mit wie Knaben. Nur bei den Hochbegabten sind Knaben leicht übervertreten. Aber man macht es den Mädchen zu einfach, in den Naturwissenschaften aufzugeben und sich beispielsweise den Sprachen zuzuwenden, wo sie oft auch begabt sind. Viele Lehrer überlegen sich zu wenig, wie sie das Interesse der Mädchen für naturwissenschaftliche Fächer wecken können. Sie müssten stärker auf die spätere Anwendung, beispielsweise im Umweltschutz oder in der Medizinaltechnik, hinweisen.


Interview: Tina Huber 

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