8. Mai 2018

Ein veritabler Skandal

In einer Mehrzweckhalle im Kanton Thurgau wird Theater gespielt. Ein grausames Theater. Primarschüler spielen Leichen, Kriegstote. Zugedeckt sind sie mit türkischen Fahnen, niedergeschossen wurden sie von anderen Kindern. Die Bühne als Schlachtfeld. Das Thema ist offenbar die grausame Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg, jene Schlacht, in welcher 1915 die Entente-Mächte vom Osmanischen Reich besiegt wurden. Die Schlacht ist in der Türkei ein Mythos, wird vom Autokraten Erdogan politisch instrumentalisiert. Die halbwüchsigen Laiendarsteller im Thurgau haben in Militäruniformen gesteckt. Sie salutieren, und sie rufen gemäss «Sonntags-Blick» Parolen für das türkische Vaterland.
Allein der Verdacht, dass diese türkische Propaganda auf Schweizer Boden stattfinden kann, schreckt auf. Wir wollen das nicht. Und es ist ein veritabler Skandal. Denn offenbar haben die Schülerinnen und Schüler das nationalistische Kriegstheater auch im Heimatkundeunterricht in Flawil eingeübt. Diese sogenannten Kurse in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) gibt es in der Schweiz seit den 1930er Jahren, damals waren sie entstanden auf Initiative von politischen Flüchtlingen aus Italien. In der Zwischenzeit gibt es heimatkundlichen Unterricht für diverse Migranten, so auch für Türken. Angeboten werden die Kurse von den jeweiligen Botschaften oder Kulturvereinen. Die Teilnahme ist freiwillig, aber der Besuch der Kurse erfolgt während der Schulzeit. Und es gibt einen Eintrag im offiziellen Zeugnis der Volksschule.
Schluss mit der türkischen Propaganda, NZZ, 8.5. von Michael Schoenenberger


Die einstige Idee des HSK-Unterrichts war es, den zugewanderten Menschen eine Rückkehr ins Herkunftsland zu erleichtern. Weil in der Realität nur wenige Migranten zurückkehrten, änderten sich die Zielsetzungen des Unterrichts im Laufe der Zeit. Heute sollen die Heimatkunde und der Sprachunterricht auch dazu dienen, die Integration in die schweizerische Gesellschaft zu unterstützen. Hierzu existiert ein Rahmenlehrplan, erstellt von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Er wird von anderen Kantonen übernommen, so auch von den Kantonen St. Gallen und Thurgau. Im Rahmenlehrplan sind wunderschöne Leitideen und hehre Ziele formuliert. So «erweitern Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren». So «gehören politische Ideologien nicht in den Unterricht». So «unterstützt der Unterricht die Schüler und Schülerinnen in ihrer Konfliktfähigkeit, ihren interkulturellen Kompetenzen und ihrer Urteilsfähigkeit». Überdies ist «der HSK-Unterricht politisch und konfessionell neutral. Er geht von einer pluralistischen Weltanschauung aus und verzichtet auf jede politische und nationalistische Indoktrination.»
So weit die Theorie. Beim vorliegenden türkischen Exempel liegen die Dinge offenkundig anders. Hier wurde der Heimatkundeunterricht missbraucht. Nun ist es die Pflicht und Schuldigkeit aller kantonalen Erziehungsbehörden, genauestens hinzuschauen. Zumindest die zuständige Stelle im Kanton St. Gallen hatte keine Ahnung. Es ist zu vermuten, dass es in anderen Kantonen nicht besser aussieht. Es wäre ratsam, die türkischen HSK-Angebote systematisch zu durchleuchten, in allen Kantonen. Wenn gut gemeinte Heimatkunde missbraucht wird für nationalistische und kriegstreiberische Propaganda, ist eine rote Linie überschritten. Der Staat hat dann seine Verantwortung zu übernehmen. Was hier geschieht, widerspricht fundamental den Zielen des HSK-Unterrichts. Es ist Türkei-Propaganda auf Schweizer Boden. Mit solcher Gehirnwäsche werden letztlich Parallelgesellschaften gefördert. Und das ist das Gegenteil von Integration.


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