In einer Mehrzweckhalle im Kanton Thurgau wird Theater gespielt. Ein
grausames Theater. Primarschüler spielen Leichen, Kriegstote. Zugedeckt sind
sie mit türkischen Fahnen, niedergeschossen wurden sie von anderen Kindern. Die
Bühne als Schlachtfeld. Das Thema ist offenbar die grausame Schlacht von
Gallipoli im Ersten Weltkrieg, jene Schlacht, in welcher 1915 die
Entente-Mächte vom Osmanischen Reich besiegt wurden. Die Schlacht ist in der
Türkei ein Mythos, wird vom Autokraten Erdogan politisch instrumentalisiert.
Die halbwüchsigen Laiendarsteller im Thurgau haben in Militäruniformen gesteckt.
Sie salutieren, und sie rufen gemäss «Sonntags-Blick» Parolen für das türkische
Vaterland.
Allein der Verdacht, dass diese türkische Propaganda auf Schweizer Boden
stattfinden kann, schreckt auf. Wir wollen das nicht. Und es ist ein veritabler
Skandal. Denn offenbar haben die Schülerinnen und Schüler das nationalistische
Kriegstheater auch im Heimatkundeunterricht in Flawil eingeübt. Diese
sogenannten Kurse in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) gibt es in der
Schweiz seit den 1930er Jahren, damals waren sie entstanden auf Initiative von
politischen Flüchtlingen aus Italien. In der Zwischenzeit gibt es
heimatkundlichen Unterricht für diverse Migranten, so auch für Türken.
Angeboten werden die Kurse von den jeweiligen Botschaften oder Kulturvereinen. Die
Teilnahme ist freiwillig, aber der Besuch der Kurse erfolgt während der
Schulzeit. Und es gibt einen Eintrag im offiziellen Zeugnis der Volksschule.
Schluss mit der türkischen Propaganda, NZZ, 8.5. von Michael Schoenenberger
Die einstige Idee des HSK-Unterrichts war es, den zugewanderten Menschen
eine Rückkehr ins Herkunftsland zu erleichtern. Weil in der Realität nur wenige
Migranten zurückkehrten, änderten sich die Zielsetzungen des Unterrichts im
Laufe der Zeit. Heute sollen die Heimatkunde und der Sprachunterricht auch dazu
dienen, die Integration in die schweizerische Gesellschaft zu unterstützen.
Hierzu existiert ein Rahmenlehrplan, erstellt von der Bildungsdirektion des
Kantons Zürich. Er wird von anderen Kantonen übernommen, so auch von den
Kantonen St. Gallen und Thurgau. Im Rahmenlehrplan sind wunderschöne Leitideen und
hehre Ziele formuliert. So «erweitern Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeit,
sich in die Gesellschaft zu integrieren». So «gehören politische Ideologien
nicht in den Unterricht». So «unterstützt der Unterricht die Schüler und
Schülerinnen in ihrer Konfliktfähigkeit, ihren interkulturellen Kompetenzen und
ihrer Urteilsfähigkeit». Überdies ist «der HSK-Unterricht politisch und
konfessionell neutral. Er geht von einer pluralistischen Weltanschauung aus und
verzichtet auf jede politische und nationalistische Indoktrination.»
So weit die Theorie. Beim vorliegenden türkischen Exempel liegen die
Dinge offenkundig anders. Hier wurde der Heimatkundeunterricht missbraucht. Nun
ist es die Pflicht und Schuldigkeit aller kantonalen Erziehungsbehörden,
genauestens hinzuschauen. Zumindest die zuständige Stelle im Kanton St. Gallen
hatte keine Ahnung. Es ist zu vermuten, dass es in anderen Kantonen nicht
besser aussieht. Es wäre ratsam, die türkischen HSK-Angebote systematisch zu
durchleuchten, in allen Kantonen. Wenn gut gemeinte Heimatkunde missbraucht
wird für nationalistische und kriegstreiberische Propaganda, ist eine rote
Linie überschritten. Der Staat hat dann seine Verantwortung zu übernehmen. Was
hier geschieht, widerspricht fundamental den Zielen des HSK-Unterrichts. Es ist
Türkei-Propaganda auf Schweizer Boden. Mit solcher Gehirnwäsche werden
letztlich Parallelgesellschaften gefördert. Und das ist das Gegenteil von
Integration.
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