Bei der türkischstämmigen Bevölkerung in der Schweiz liegen die Nerven
blank. Zuerst sorgt eine von der türkischen Botschaft gesteuerte
Schüleraufführung der Schlacht von Gallipoli in Uttwil TG für Aufregung. Bei
dieser Schlacht stoppten im Ersten Weltkrieg Osmanen die westlichen
Entente-Mächte. Und jetzt soll das türkische Ministerium für Auslandtürken laut
«SonntagsBlick» Wochenendschulen planen. Der autokratische Präsident der
Türkei Recep Tayyip
Erdogan versuche so, die Diaspora im Ausland auf seine
Linie zu bringen. Kinder und Jugendliche sollen die türkische Geschichte durch
die Brille des Islam und des ehemaligen osmanischen Grossreiches betrachten.
Türkisches Schülertheater irritiert Schweizer Bildungsdirektorin, Bund, 14.5. von Christoph Aebischer
Die Schlagzeilen häufen sich kaum zufällig, denn in der Schweiz ist die
Opposition stark, und in wenigen Wochen will sich Erdogan zum vierten Mal zum
türkischen Präsidenten wählen lassen. Die Opposition hierzulande reagiert
entsprechend irritiert. Der Missbrauch des etablierten Unterrichts heimatliche
Sprache und Kultur, kurz HSK, und die staatlichen Pläne für Wochenendschulen
rufen nun aber auch Schweizer Politiker auf den Plan. Für SVP-Nationalrat Peter
Keller werden so «Parallelgesellschaften mit einem aggressiven Islam»
gefördert. «Das brauchen wir in der Schweiz nicht», sagt er.
Schulbehörden und «muslimische Gemeinden» müssten handeln. Er verlangt,
dass Lehrmittel konsequent bewilligt, Lehrpersonen überprüft werden und die
Behörden unangemeldete Besuche durchführen. Auch SP-Nationalrat Matthias
Aebischer erfüllt es mit Sorge, wenn «Erdogan und seine Partei AKP» Schulen
eröffnen wollen. Er sieht aber keinen unmittelbaren zusätzlichen
Handlungsbedarf. «In der Schweiz haben wir – im Unterschied zur Türkei – die
Meinungsäusserungsfreiheit», sagt er. Diese kenne aber Grenzen. Überschritten
würden sie beispielsweise, wenn der Genozid an den Armeniern geleugnet werde.
EDK macht Vorfall zum Thema
Silvia Steiner, Bildungsdirektorin des Kantons Zürich und Präsidentin
der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK),
hat ebenfalls keine Freude an den Vorkommnissen. Man dürfe die beiden Sachen
aber nicht vermischen. Die Aufführung habe im Rahmen des HSK-Unterrichts
stattgefunden. Dieser habe konfessionell und politisch neutral zu sein. Im
Kanton Zürich brauchen diese Kurse eine Anerkennung, die alle drei Jahre
überprüft wird. Ausserdem wird den Gemeinden empfohlen, den Unterricht zu
besuchen und zu überprüfen. Falls es bei den HSK-Kursen in mehreren Kantonen
Schwierigkeiten gebe, könne die EDK vermitteln. Steiner (CVP) möchte das
Schülertheater zum Anlass für eine erneute HSK-Diskussion nehmen: «Wir werden
im EDK-Vorstand darüber sprechen.»
Nicht zuständig seien die Bildungsbehörden hingegen bei den
Wochenendkursen. «Ähnlich wie bei anderen privaten Veranstaltungen mischen wir
uns da nicht ein», sagt sie. Selbstverständlich müsse der gesetzliche Rahmen
aber eingehalten werden. Hinweisen auf Verstösse müssten der Staatsschutz oder
die Polizei nachgehen.
Gülen-Bewegung im Visier?
Wenig erbaut über die emotionale Debatte ist ein türkischstämmiger
Familienvater, der sich dem Erdogan-kritischen Lager zurechnet. Kurz vor den
Präsidentschaftswahlen vom 24. Juni möchte er aus Furcht vor Drangsalierung
nicht namentlich erwähnt werden. Für ihn werden sowohl die Schüleraufführung
als auch die geplanten Wochenendschulen zu dramatisch dargestellt. Theater zu
Schlachten habe es früher auch schon gegeben. Was hinter den Wochenendschulen
steckt, kann er allerdings bloss vermuten. Eventuell wolle die Türkei so den
Einfluss der Gülen-Bewegung eindämmen. Erdogan macht sie für den Putschversuch
vom Juli 2016 verantwortlich.
Im Inland folgten rigorose Säuberungsaktionen. Im Ausland konnte die
Bewegung ihren Einfluss aber gerade im Bildungsbereich bewahren. Mit den
Wochenendkursen würden sie eine regimetreue Konkurrenz erhalten. Die Schulen
sollen in insgesamt 15 westlichen Ländern entstehen. Bis Ende Juni können laut
«SonntagsBlick» online Gesuche eingereicht werden. Die Kurse richteten sich an
Schüler im Alter von 6 bis 17 Jahren. Die Kurse sollen mindestens zwei
Lektionen türkische Sprache und je eine Lektion Geschichte, Religion und
türkische Kultur beinhalten.
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