8. Mai 2018

Bildungsrat versus Stimmvolk

Der Umbau der Schullandschaft soll im Kanton Baselland offenbar gegen den Willen des Landrats und den des Stimmvolks durchgesetzt werden. Zwei Beispiele dafür:
Nachdem sich das Baselbieter Stimmvolk gegen die vom Bildungsrat beschlossenen Sammelfächer ausspricht, will dieser wöchentliche Einstundenfächer einführen. Da solche in der Praxis nicht umsetzbar sind, käme es über Fächerzusammenlegungen zwangsläufig doch zu Sammelfächern. Dafür notwendige Weiterbildungen für die Lehrpersonen wären allerdings nicht zu finanzieren, was einem Bildungsabbau gleichkäme. Es muss folglich eine Motion eingereicht und eine Initiative lanciert werden, um den Bildungsrat zum Einlenken zu bewegen.
Riesen-Aufwand für 3500 Kompetenzen, Basler Zeitung, 8.5. von Felix Hoffmann

Die nächste schulpolitische Initiative verlangt unter anderem die Reduktion der vom Bildungsrat favorisierten 3500 Kompetenzen auf eine praxistaugliche Anzahl, die Nennung von Themen, Stoff- und Jahreszielen sowie nach Niveaus differenzierten Unterricht. Da der Regierungsrat mit seinem Gegenvorschlag über die Forderungen des Initiativkomitees hinausgeht, zieht dieses seine Initiative zurück. Anschliessend informieren zwei Angestellte des kantonalen Amts für Volksschulen (AVS) die Lehrerkollegien praktisch ausschliesslich über die Kompetenzorientierung, als gäbe es im Baselbieter Lehrplan weder niveaudifferenzierte Stoff- noch Jahresziele. Den regierungsrätlichen Gegenvorschlag ignorierend, nutzte der Bildungsrat offenbar den Umstand, dass die Initianten in ihrem Initiativtext keine explizite Höchstgrenze erwähnten. Er hält somit an seinen 3500 Kompetenzen fest und versucht damit Stoffinhalte und Themen zu marginalisieren.
Teure Weiterbildungen
Nichts spricht prinzipiell gegen Kompetenzen, im Gegenteil. Fähigkeiten waren schon immer die Folge von gutem Unterricht. Der ausschliessliche Fokus auf Kompetenzen verkehrt allerdings Ursache und Wirkung und ist somit zwangsläufig verbunden mit der Vernachlässigung des Unterrichts. Dies führt zu einem klassischen Paradoxon. In der Praxis bringt die Fokussierung auf 3500 Kompetenzen nämlich einen nicht zu bewältigenden Aufwand mit sich, schon nur bei der Durchführung von Prüfungen und deren Auswertung. Man rechne: 3500 Kompetenzen verteilt auf zwölf Fächer und neun Schuljahre, ergeben rund 32 Kompetenzen pro Fach und Jahr. Bei beispielsweise jährlich acht Prüfungen sind dies vier zu prüfende Kompetenzen pro Test. Multipliziert mit 22 Lernenden, sind wir bei 88 Kompetenzen pro Test und Klasse. Hochgerechnet auf das ganze Jahr ergeben sich bei acht Prüfungen 704 Kompetenzbewertungen pro Klasse; bei fünf Klassen also 3520, wobei dann jede Kompetenz in neun Jahren jeweils nur einmal geprüft wurde. Um eine Entwicklung der Fähigkeiten nachzuzeichnen, sollten sie immerhin drei- bis viermal getestet werden, wodurch die Lehrkraft schnell rund 10 000 bis 14 000 Kompetenzbewertungen zu bewältigen hätte.

Letzten Endes geht diese absurde Bewertungshysterie zulasten des Unterrichts. Darunter leidet dann paradoxerweise auch die Kompetenz der Lernenden. Überdies geht eine derartig überstrapazierte Kompetenzorientierung zwangsläufig einher mit teuren Weiterbildungen und fortwährenden Evaluationen. Die Fachhochschulen und privatwirtschaftliche Anbieter hocken bereits ungeduldig in ihren Startlöchern. Genau dies ist der springende Punkt.
Missachtung des Volkswillens
Mit seinem Versuch, Sammelfächer und eine in ihrem Ausmass paradoxe Kompetenzorientierung gegen den Willen des Landrats und der Stimmberechtigten durchzudrücken, stellt sich der Bildungsrat einmal mehr in den Dienst der Reformindustrie und damit gegen die Interessen der öffentlichen Schule. Damit missachtet er zusammen mit Verantwortungsträgern des AVS den Willen des Regierungs- beziehungsweise Landrats sowie den der Stimmbevölkerung.

Dass sich ein politisches Gremium gegen Entscheide des Souveräns stellen kann, widerspricht demokratischen Grundsätzen. Aufgrund der fehlenden Rechenschaftspflicht gegenüber Volk und Parlament wird auch ein neu besetzter Bildungsrat immer wieder Entscheide gegen die Interessen der öffentlichen Schule treffen können, die dann wiederum nur unter enormem Aufwand zu korrigieren sind. Abhilfe schafft hier die Ablösung des Laiengremiums Bildungsrat durch den professionellen Beirat Bildung. Die diesem Organ angehörenden Fachleute sind einem guten öffentlichen Schulsystem verpflichtet. Sie entscheiden nicht abschliessend, sondern unterbreiten sachlich begründete Empfehlungen zuhanden des Regierungsrats. Sagen wir am 10. Juni Ja zur Schaffung des Beirats Bildung.
Felix Hoffmann ist Sekundarlehrer und wohnt in Himmelried.


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