11. April 2018

Schule von Morgen – Eine Frage des «Wie»!

Wir stecken mitten in einem Bildungswandel. Die «Digitalisierung» ist dabei omnipräsent. Alle wollen für unsere Jugendlichen die beste Schule. Doch statt am gemeinsamen Strick zu ziehen, ziehen alle in eine andere Richtung. Am Schluss müsste eigentlich die Frage lauten: Wie sieht denn die gute Schule von Morgen wirklich aus und wie erreichen wir dieses Ziel?
Schule von Morgen – Eine Frage des «Wie»!, 10.4. von Thomas Baer


In jüngster Zeit, wenn immer über die Modernisierung der Schule gesprochen oder geschrieben oder über den Lehrplan 21 debattiert wurde, stellten es die Medien gerne als «Kampf» dar. Ein «Kampf» zwischen den Reformern und Wirtschaftsverbänden, welche die Schule gleich morgen radikal umgekrempelt sähen und den Kritikern, die sich berechtigte Sorgen machen, da Digitalisierung auf der ganzen Bandbreite auch nicht das Allerheilsmittel einer guten Bildung sein kann! Doch die Kritiker wurden nur zu gern in die Ecke der «Ewiggestrigen» gestellt. Immer wieder wurden ihre Aussagen verdreht oder bewusst missverstanden. Wenn Eltern frappante Wissenslücken ihrer Sprösslinge feststellen, wenn sie die mangelnde Kontrolle kritisieren, wenn sie die fehlende Unterstützung durch die Lehrer, pardon Coaches, anprangern, dann sind dies berechtigte und nicht aus der Luft gegriffene Argumente!

Wir wissen aber, dass in der Regel nur positiv über die Schule berichtet wird oder berichtet werden darf. Oft tönt es dann nach einem Systemwechsel so, man sei sich Fehlern bewusst, es sei ja logisch, dass nicht alles auf Anhieb funktionieren könne. Doch wenn ein «Schulexperiment» über mehrere Jahre dauert und noch immer keine nennenswerten Verbesserungen für die Schüler erfolgt sind, muss man sich schon die Frage erlauben, ob die Schule dann in eine richtige Richtung läuft.

Wenn mir ein Schüler des 10. Schuljahrs nach ein paar wenigen Wochen sagt, es sei die beste Entscheidung gewesen, noch ein Schuljahr anzuhängen, jetzt habe er endlich wieder einmal richtige Lehrer, die den Stoff vermitteln würden, stimmt eine solche Aussage schon nachdenklich. Solche Stimmen sind keine Seltenheit und zwar oft von guten Schülern! Sekundarschüler, die ihre Aufnahmeprüfung ans Kurzzeitgymnasium schaffen wollen, sind fachlich und stofflich an SOL-Schulen oft derart im Hintertreffen, dass zuerst der gesamte Prüfungsstoff erarbeitet werden muss. Interessant ist dabei auch die jüngst gelesene Kritik, Sekundarschüler hätten kaum mehr eine Chance an den Gymnasien. Statt sich einmal die Frage zu stellen, ob nicht das Bildungsniveau der Sekundarschule stark gesunken ist, was die Anforderungen anbelangt, überlegt man sich lieber, die Aufnahmeprüfungen zu vereinfachen, indem man etwa die Französischprüfung streicht. Kann dies das Ziel sein? Sicher nicht: Die Sekundarschule müsste «ihre Hausaufgaben besser machen»!

Kommen wir zu einem letzten Beispiel aus der Praxis: Ein Schreinerstift, den ich seit Jahren begleite, wurde auch «digital» beschult und hätte ohne meine Unterstützung wohl grösste Probleme im Berufsleben gehabt, hätte er ohne die externe Unterstützung überhaupt eine Lehrstelle bekommen! Heute meistert er die Berufsschule mit Bravur. Pläne werden aber noch immer mit Bleistift und Papier angefertigt. Das iPad ist also in weiter Ferne und die vermeintliche «Vorbereitung aufs Berufsleben» hätte realitätsferner nicht sein können. Mathematik wird noch immer auf Papier gelöst und mit dem Kopf verstanden, sicher aber nicht auf einem elektronischen Spielzeug.

Was wollen wir?
Wenn über die «Schule von Morgen» geredet wird, so hat Jeder und Jede eine Meinung dazu. Schliesslich gingen alle einmal selber zur Schule und haben ja eine Ahnung davon. Wirklich alle? Glaubt man dem Wirtschaftsdachverband, so vertritt er primär seine Interessen, weit ab von Fragen nach der Pädagogik und Didaktik. Redet man mit flammenden Lehrplan-21-Befürwortern, so sind diese begeistert, möglichst viel Arbeit an die Kinder zu delegieren. Sie nennen es dann Selbstkompetenz-Erwerb. Unsere Bildungstechnokraten indessen sind, geblendet von den hervorragenden finnischen PISA-Resultaten, auf einen Zug der Reform aufgesprungen, ohne dabei zu merken, dass die guten Ergebnisse der Skandinavier noch eine Spätfolge eines einst traditionellen Unterrichts waren! Jetzt ist es natürlich zu spät, eine Kehrtwende vorzunehmen und noch weniger einzugestehen, dass man auf ein falsches Pferd gesetzt hat.

Solange viel zu viele Interessen, Meinungen und Visionen einer «Schule von Morgen» im Raum stehen, so schnell wird es eine wirklich «gute Schule» nicht geben. Wie heisst es so schön: Viele Köche verderben den Brei. In der Schule haben wir diesen Brei seit Jahrzehnten! Es wird an allen Ecken und Enden experimentiert und versucht, notabene alles auf Kosten unserer Schüler. Wer definiert denn eigentlich, was eine gute Schule ausmacht? Haben wir die Schule nicht längst digitalisiert? Unsere Jungen, unsere Gesellschaft sind ja weiss Gott nicht stehen geblieben und beherrschen elektronische Medien durch deren täglichen Gebrauch ohnehin. Für den Lernenden macht es aber einen Unterschied, ob er eine Fremdsprache im Klassenverband durch aktive und physische Kommunikation oder bloss am iPad virtuell lernt, indem er ein paar Sprachübungen hört und Wörtchen eintippt. Gerade im Sprachenerwerb ist ein gesamtheitlicher Unterricht unabdingbar. Eine Sprache lernt man nicht (nur) virtuell! Das Sprachlabor lässt grüssen!
Auch der soziale Aspekt ist in der Schule wichtig, vielleicht sogar wichtiger denn je! Ein Lehrer – ich spreche bewusst nicht von Coach – sollte Vorbildfunktion haben, die Schüler motivieren, anleiten, fördern und fordern, ihnen Feedbacks geben, korrigieren und kontrollieren. Natürlich bedeutet dies einen Mehraufwand, eine Arbeit, die sich allerdings auch im Digitalzeitalter noch lohnt. Ein guter Lehrer soll Vertrauensperson sein und die Schüler ernst nehmen, und zwar als Menschen und nicht als «virtuelle Wesen».
Dass die heutige Schulphilosophie in eine verkehrte Richtung läuft, zeigt sich weiter auch am Umstand, dass das Lernen nach dem «Lustprinzip» gewiss nicht die richtige Vorbereitung auf das Berufsleben sein kann. Wo und in welchem Betrieb kann ein Jugendlicher wählen, was er gerne arbeiten möchte? Wenn der Chef sagt, «dies und das müsse bis dann erledigt sein», kann sich der Lehrling wohl kaum ausnehmen, das zu tun, worauf er gerade Lust hat. Wird hier nicht an so mancher Schule einfach eine «pseudo-heile Welt» vorgegaukelt? Kommt hinzu, dass sich die Schüler oft «zu tiefe» Lernziele setzen, weil sie ja möglichst rasch zu einem Erfolgserlebnis kommen wollen. Ein Lehrer, der seine Schüler wirklich kennt, kann sehr individuell fördern und fordern, nicht aber ein Lerncoach, der im «Grossraumbüro» – genannt Office – nicht einmal alle Sprösslinge persönlich kennt. Einem 13- bis 16-Jährigen ist es dann nicht zu verübeln, wenn er genau diese Schwächen des Systems ausnutzt, sprich, wenn er feststellt, dass seine Arbeiten nicht einmal bewertet werden und er keine oder magere Feedbacks bekommt.

Alles mit (Augen)-mass!
Wie oft habe ich erlebt, dass Lernen dann fruchtbar ist, wenn eine gute Beziehung zur Klasse besteht. Dann ist auch das individuelle Fördern, das es schon seit Jahrzehnten gibt und keine «Erfindung der Neuzeit» ist, produktiv und nachhaltig. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit können wir nicht aufhalten, gewisse Entwicklungen auch nicht. Aber es ist immer eine Frage, wie wir Lehrer damit umgehen. Sind wir antiquiert, wenn wir nicht jede Entwicklung ohne Reflexion mitmachen? Sind wir altertümlich, wenn nicht immer nur das iPad, der Computer oder ein Beamer unseren Unterricht dominieren? Nein! Es ist doch schlicht und einfach eine Frage des Masses. Wo macht es wann Sinn, ein elektronisches Medium einzusetzen? Beim Wörtchen-Lernen unterwegs kann ein Programm wie Quizlet sicher nützlich sein. Dennoch müssen die Wörter auch von Hand geschrieben und vor allem gelernt werden. Auch das Lernen von Grammatik passiert nicht am Computer genauso wenig wie das Büffeln von mathematischen Formeln. Was ist denn so schlecht, wenn wir etwas lernen? Wollen wir denn unser Wissen gänzlich den elektronischen Medien überlassen oder es gar auslagern? Noch nie hat Lernen jemandem geschadet. Doch heute könnte man mit Blick auf den neuen Lehrplan 21 meinen, dass Wissenserwerb grundlegend schlecht sei, denn nicht umsonst erinnert uns dieser mit dem überstrapazierten Begriff «Kompetenzerwerb» permanent daran, dass unsere Jugendlichen «nur noch» kompetent sein sollten. Das Wissen kann man ja überall und jederzeit woanders nachschauen. Wie aber «Kompetent sein» ohne Wissen funktionieren soll, müsste mir zuerst einmal jemand erklären. Ist es denn wirklich so verkehrt, wenn jemand Wissender einem «Unwissenden» etwas beibringt?

Die Schule sollte sich endlich wieder verstärkt mit ihren wesentlichen Dingen beschäftigen. Nicht alles ist Gold, was glänzt, und genauso ist es mit der «Verdigitalisierung» unserer Schule. Wenn einem Wirtschaftsdachverband vorschwebt, dass dereinst einmal ein Grossteil des Unterrichts nur noch elektronisch funktionieren sollte, dann möchte ich als Pädagoge wissen, wie er sich das denn konkret vorstellt, ohne dass die soziale Komponente, die Beziehung zu den Lernenden und der Wissenserwerb verloren gehen.

Wir Pädagogen sollen wieder kritischer werden, mehr reflektieren und gewisse Entwicklungen hinterfragen. Oft fehlt den Lehrpersonen der Mut, Farbe zu bekennen und auch einmal Nein zu sagen. Lieber schweigt man und versteckt sich hinter der Mainstream-Meinung. Doch Schule ist viel mehr als ein Einheitsbrei. Schule sollte und müsste farbig sein; das wollen alle. Ich meine damit die Vielfalt und Methodenfreiheit. Nicht alles, was unsere gute Schule einst auszeichnete, ist per se schlecht. Eine gute Schule zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie Bewährtes pflegt und Neues nicht verteufelt, aber dort integriert, wo es Sinn macht, optimiert, aber auch kritisch hinterfragt. Dies sollte unser Ziel sein! Uns aber einfach dem «Diktat» von zum Teil praxisfernen Bildungstechnokraten zu fügen wäre gewiss der verkehrte Ansatz. Schliesslich sind es wir Lehrerinnen und Lehrer, die täglich an der Basis unsere Arbeit erledigen und nur eines wollen: Die beste Schule!

Thomas Baer ist Primarlehrer & Nachhilfelehrer

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