8. Februar 2018

Zemp will nicht, dass Lehrer Sans-Papier-Kinder melden müssen

In den USA heissen sie «Dreamers», in der Schweiz «Sans-Papiers» – Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Wie viele es sind, kann nur geschätzt werden: So geht das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach einer Auswertung von 58'000 bis 105'000 Sans-Papiers aus, die derzeit illegal in der Schweiz leben. Und wie in den USA geben sie derzeit auch in der Schweiz zu reden: Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) hat Ende Januar mit deutlicher Mehrheit (17 zu 8 Stimmen) eine Motion eingereicht, die die Einschränkung der Rechte der Papierlosen vorsieht.
"Lehrpersonen sind keine Mitarbeiter der Migrationsbehörden", Tages Anzeiger, 8.2.


So soll künftig der Rechtsanspruch auf Sozialversicherungen wie AHV und Krankenversicherungen auf Personen mit geregeltem Aufenthaltsstatus beschränkt werden. Die Versorgung der Papierlosen soll im Krankheitsfall durch eine staatliche Anlaufstelle sichergestellt werden. Weiter sollen Arbeitgeber und Wohnungsvermieter von Sans-Papiers härter bestraft werden. Und auch der Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen soll erleichtert werden. Lehrer müssten demnach die Kinder von Sans-Papiers melden.
Am 7. März wird der Nationalrat während der Frühlingssession die Motion der SGK behandeln und wohl dem Vorschlag seiner Kommission folgen.

Beat W. Zemp, wie steht der Lehrerverband zur SGK-Motion, welche unter anderem vorsieht, dass Lehrpersonen Sans-Papiers-Kinder melden müssen?
Ich habe zwar Verständnis für die Migrationsbehörde, die den Status der in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländern klären möchte. Doch kann dies nicht über die Schule geschehen. Ich habe bereits im Zusammenhang mit dem «Aktionsplan gegen Radikalisierung» von Bundesrätin Sommaruga gesagt: Lehrkräfte sind weder Mitarbeiter des Nachrichtendienstes noch der Migrationsbehörde.

Tangiert die Motion Ihrer Meinung nach das Recht auf Grundschulunterricht?
Ja, und für uns ist klar: Das Recht, das in der Bundesverfassung verankert ist, gilt vor jeglicher Meldepflicht. Bildung bleibt Grundrecht, unabhängig von jeglichem Status.

Warum wehren sich Lehrkräfte denn so vehement, solche Informationen weiterzugeben?
Die Grundbasis der Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler ist Vertrauen. Würden Lehrpersonen nun aufgefordert, ihren Schülern nachzuspionieren oder sie zu überwachen, würde dieses Vertrauensverhältnis gestört. Es entstünde ein enormer Schaden.

Inwiefern? 
Stellen Sie sich beispielsweise vor, ein Kind verschwindet nach einer Meldung einer Lehrperson von einem Tag auf den anderen. Das wäre für die Klasse ein enormes Problem. Die Schüler könnten nicht Abschied nehmen, könnten keine Kontaktdaten austauschen. Dies liefe gegen die pädagogischen Grundaufgaben der Lehrperson.

Unterliegen Lehrpersonen denn gegenüber den Behörden gänzlich einer Schweigepflicht?
Nein, im Gegenteil. Mit dem neuen Kinder- und Erwachsenenschutzrecht machen Lehrpersonen Gefährdungsmeldungen – beispielsweise an die Kesb. In diesem Fall steht aber einzig das Kindeswohl im Vordergrund.

Eine mögliche Umsetzung der Motion wäre auch, dass die Lehrpersonen nur Zahlen und keine konkreten Daten an die Behörden liefern.
Wie sollen Lehrpersonen denn da vorgehen? Müssten Schüler am ersten Schultag ihren Pass zur Inspektion vorlegen? Das wäre ein Umgang mit vertraulichen Daten, den ich als nicht konform ansehe und bei welchem ich mir auch nicht vorstellen kann, dass dies funktionieren soll.

Was sind mögliche Reaktionen von Sans-Papiers-Eltern auf die vorliegende Motion?
Es kommt darauf an, wie die Vorlage umgesetzt würde. Aber wenn von Lehrpersonen wirklich verlangt würde, aktiv nachzuforschen, dann ist es gut möglich, dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Wir haben dies beispielsweise in den 1990er in Genf gesehen: Als dort die Frage der Sans-Papiers stärker zum Politikum wurde, versteckten die Eltern die Kinder zu Hause. 


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