12. Februar 2018

Verheerende Folgen durch Schreiben nach Gehör

Die 2017 veröffentlichte Studie zum bundesweiten Bildungsniveau war besorgniserregend. Jetzt werden die Ergebnisse von Vergleichsarbeiten an Berliner Grundschulen veröffentlicht: Sie sind alarmierend.
Grundschüler können nicht mehr richtig schreiben, Welt, 12.2. von Claudia Becker


Seit Jahren beklagen Philologen einen dramatischen Verfall der Rechtschreibkenntnisse bei deutschen Schülern. So hat Wolfgang Steinig, Professor für Germanistik an der Uni Siegen, beim Vergleich von Schulaufsätzen festgestellt, dass Schüler 2012 zwar kreativer schreiben, aber mehr als doppelt so viele Rechtschreibfehler machen wie 1972.
Und auch in Mathematik erfüllen immer weniger die Mindeststandards. Das zeigte nicht zuletzt der vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der Kultusministerkonferenz erhobene Bildungstrend 2016. Danach erreicht gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Viertklässler den Regelstandard beim Schreiben, etwa zwei Drittel beim Lesen und Zuhören. Nur 62 Prozent der Viertklässler haben bundesweit in Mathematik die von der Kultusministerkonferenz vorgesehenen Mindeststandards erreicht.

Eigentlich wären die Zahlen unter Verschluss geblieben
Die aktuellen Ergebnisse der Vergleichsarbeiten, die Berliner Drittklässler unter dem Namen Vera 3 schreiben und die dem „Tagesspiegel“ vor der offiziellen Veröffentlichung in der kommenden Woche bereits vorliegen, sind noch weit dramatischer. 24.000 Grundschüler nahmen teil, drei Viertel von ihnen erreichten die Regelstandards im Bereich Rechtschreibung nicht. Die Hälfte kommt nicht an die Mindestanforderungen heran.
Auch in Mathematik sieht es düster aus. Beim Thema „Größen und Messen“ waren für mehr als ein Drittel die einfachsten Aufgaben zu schwer.

Eigentlich wären diese Zahlen unter Verschluss geblieben. Die Vera-Ergebnisse, so die Begründung, seien nur für den schulinternen Gebrauch vorgesehen. Dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auskunftsrechten von Abgeordneten (Az. 2 BvE 2/11) ist es zu verdanken, dass Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Zahlen veröffentlicht. Der Neuköllner SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrick hatte in einer entsprechenden Anfrage die Politikerin dazu aufgefordert.

Wie zu erwarten, fallen die Ergebnisse für Kinder mit deutscher und nicht deutscher Herkunftssprache unterschiedlich aus. Doch auch für deutschsprachige Schüler sind die Zahlen alarmierend: In Rechtschreibung erreichten nur fünf Prozent den „Optimalstandard“, 40 Prozent liegen auf der untersten Stufe. 60 Prozent der Kinder mit einer anderen Muttersprache blieben unter dem Mindeststandard.

In Mathematik waren beim Thema „Größen und Messen“ der Hälfte der nicht deutschsprachigen Kinder die einfachsten Aufgaben zu schwer.
Für die Ergebnisse lassen sich unterschiedliche Gründe finden. Dass geflüchtete Kinder nicht mehr in sogenannten Willkommensklassen unterrichtet werden, sondern auch im regulären Schulbetrieb, könnte nur einer sein.

Lehramtsstudenten brauchen Nachhilfe
Bildungsexperten führen die schlechten Rechtschreibkenntnisse deutscher Schüler auf eine zu lange Anwendung der Methode „Schreiben lernen nach Gehör“ zurück. Sie wurde vor einigen Jahren in allen Bundesländern eingeführt und erlaubte den ABC-Schützen in den ersten Grundschuljahren, statt „Butter“ „Buda“ zu schreiben, statt „Tor“ „Toa“
Eltern sollten nicht korrigieren, damit die Kinder nicht die Lust verlieren. Dass die Kinder das Bewusstsein für die richtige Schreibweise verlieren beziehungsweise gar nicht erst erlangen, wurde Lehrern erst allmählich klar. Auch wenn sich mittlerweile einige Bundesländer von der Methode verabschiedet haben – die Folgen bleiben und zeigen sich in Leistungskontrollen und Bildungsstudien.

Die Auswüchse eines mangelhaften Rechtschreibunterrichts erreichen auch die Universitäten. So stellt das Institut für Germanistik der Universität Duisburg-Essen (UDE) mit Sorge fest, dass unter den Lehramtsstudenten für das Fach Deutsch deutliche Defizite im Bereich Rechtschreibung und Grammatik vorliegen. Mittlerweile bietet die Universität gezielte Projekte an, bei denen die Sprachkompetenzen von Lehramtsstudenten verbessert werden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen