15. Februar 2018

Primarschule sollte bildschirmfrei sein

Es ist ein Elend mit der Schule. Auch im 21. Jahrhundert setzt sie auf Bücher, Stift und Papier, ja auf Wandtafel und Kreide. Dabei ist die Zukunft, natürlich, digital. Wie sollen die Kinder morgen vermittelbar sein, wenn sie sich heute mit Zirkel und Schönschrift plagen müssen? Wie den Anforderungen der Wirtschaft genügen, wenn sie ihr Deutsch wie weiland Schiller und Goethe aus Büchern lernen?
Ja, jetzt herunterfahren, Tages Anzeiger, 15.2. von David Hesse


Die Forderung von Economiesuisse
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse forderte letzte Woche Massnahmen. Die digitale Technik müsse Einzug in die Schulen halten, und zwar in eine Mehrheit der Stunden, nicht nur ins neue Fach «Medien und Informatik». So soll im Zeichenunterricht etwa digitale Bildbearbeitung gelehrt und Mathematik wie Deutsch schon den Primarschülern primär digital vermittelt werden.

Doch diese Forderungen sind unsinnig. Es braucht nicht mehr Computer an den Schulen, sondern weniger, und auf Primarstufe am besten keine – gerade weil die Digitalisierung bald jeden Lebensbereich erfasst. Den Umgang mit Touchscreens lernen die Kinder sowieso, nebenbei, es geht nicht anders. Die Schule aber kann und soll die letzte weitgehend bildschirmfreie Stätte sein. Dies aus mindestens fünf Gründen:

1. Leistung. Es gibt bis jetzt kaum seriöse Studien, die Computer und Lernerfolg zusammenbringen. Im Gegenteil, die OECD erkannte 2015: «Schüler, die an Schulen sehr häufig Computer benutzen, schneiden bei den meisten Lernergebnissen viel schlechter ab.» Für die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter sind Bildschirme sowieso eher schädlich: Die US-Vereinigung der Kinderärzte empfiehlt heute null Stunden Bildschirmzeit für Unter-Zweijährige und maximal eine Stunde täglich für ältere Kinder. iPads für die Kleinsten, damit sie später einen Vorteil haben? Vergessen Sie es. Nichts schlägt hinsetzen und selber spielen.

2. Wer mit Heften und Büchern statt mit Screens arbeitet, lernt etwas. Sich mit einem unveränderlichen gedruckten Text beschäftigen, der durch kein lustiges Video aufgelockert wird und neben dem kein animierter Dackel aufspringt, wenn man die Kontrollfrage richtig beantwortet: Das ist eine Kompetenz. Viele wichtige Dinge des Lebens kommen als sperrige Texte daher, vom Kleingedruckten im Kreditvertrag bis zur Hotelbibel. Wer sich darauf nicht einzulassen weiss, ist ungenügend ausgebildet.

3. Die Schule darf sich nicht von gewinnorientierten Firmen einspannen lassen. In einigen Kantonen werden Tests mit Tablets im Unterricht durchgeführt – gesponsert von Unternehmen wie Samsung, die teilweise auch die Kosten für die Lehrerweiterbildung übernehmen. Hier werden die Kunden von morgen angefixt. Die Volksschule sollte ihre Abwehrkräfte stärken. Solche Firmen sind keine neutralen Partner.

4.Es wäre falsch, die Förderung unserer Kinder zu sehr den Maschinen zu überlassen. Wer will, dass der Mensch immer relevanter bleibt als Gewinn und Effizienz, der sollte die nächste Generation von empathischen, fühlenden, warmen Wesen ausbilden lassen.

5. Es ist verkehrt, den Alltag der Kinder mit Computern aufzurüsten, solange wir selber nicht sicher sind, ob die Digitalisierung unser Erwachsenenleben wirklich verbessert. Derzeit mehren sich die Studien, die Zweifel aufwerfen. In Grossbritannien leiden Pensionäre an den Self-Scanning-Kassen im Supermarkt, weil die sie um ihren oft einzigen Schwatz des Tages bringen. In der Schweiz sehen Gymnasiasten ihre Ferien vermehrt als Stress, weil sie da ihre Social-Media-Kanäle mit Erlebnissen füttern müssen. «Haben Smartphones eine Generation kaputtgemacht?», fragte jüngst die US-Psychologin Jean Twenge.

Montessori-Schulen im Silicon Valley
Mancher mag solche Einwände für ängstlich und konservativ halten. Doch blicken wir ins zukunftsfreudige Silicon Valley: Letzte Woche war hier zu lesen, dass viele Stars der Tech-Szene früher Montessori-Schulen besuchten. Stimmt. Und viele schicken ihre Kinder heute wieder in Privatschulen, an denen es keine Tablets gibt, kein Wi-Fi. Steve Jobs sagte einmal auf die Frage, ob seine Kinder das neue iPad liebten: «Sie dürfen es nicht benutzen.» Weil Malen und das Spiel im Wald für die Kreativität eben doch das Beste sind.

Das ist die echte Gefahr der Digitalisierung: Dass handgemachte, vom Menschen vermittelte Bildung zu einem Privileg wird, das sich nur noch in der teuren Privatschule erfahren lässt. Wir alle sollten uns Offlinebildung leisten können.


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