23. Januar 2018

Pädagogischer Wert von Lagern in angespannten finanziellen Zeiten

Der Kanton Thurgau hat rasch gehandelt. Am 29. Dezember 2017 publizierte das Bundesgericht seinen Entscheid, wonach für obligatorische Schullager nicht mehr als 16 Franken pro Tag verlangt werden dürfen. Da die Volksschule grundsätzlich unentgeltlich sein muss, dürfen den Eltern pro Kind nur jene Verpflegungskosten in Rechnung gestellt werden, die durch die Abwesenheit der Kinder eingespart werden. Jetzt, drei Wochen nach dem Entscheid aus Lausanne, hat die Thurgauer Regierung die notwendige Anpassung der Volksschulverordnung bereits vorgenommen. Für Schullager von fünf Tagen dürfen noch höchstens 80 Franken in Rechnung gestellt werden. Bisher wurden bis zu 300 Franken erhoben.
Der Rotstift gefährdet Schweizer Klassenlager, NZZ, 20.1. von Jörg Krummenacher


Rechtsgrundlagen anpassen

Schneller hat kein anderer Kanton reagiert. Denn nicht nur im Thurgau waren bisher die Ansätze zu hoch, sondern auch in diversen anderen Kantonen: Basel-Stadt verlangte für ein Skilager bis zu 70 Franken pro Tag, Basel-Landschaft bis zu 40 Franken. Bern verrechnete Tagessätze bis 30, Zürich bis 22 Franken. Im Aargau, wo der Kanton keine Vorgaben macht, haben die Gemeinden bisher bis 40 Franken pro Tag erhoben. Eine Ausnahme stellt St. Gallen dar, das schon bisher so tat, wie vom Bundesgericht eingefordert: die Eltern nur so weit zu beteiligen, als diesen Einsparungen erwachsen. Der Beitrag pro Tag wurde hier vor 20 Jahren bei 15 Franken plus Teuerung fixiert.

Die meisten Kantone halten auf Anfrage fest, dass sie das Bundesgerichtsurteil analysieren und soweit nötig die Rechtsgrundlagen anpassen werden. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren will sich bei nächstmöglicher Gelegenheit über die Auswirkungen des Entscheids austauschen. Zu spüren wird dieser vor allem in den für die Volksschule zuständigen Gemeinden sein. Im Thurgau werden sie die nicht gedeckten Kosten der nun anstehenden Skilager selber tragen müssen.

Lager haben «positiven Effekt»

Wie sich der Bundesgerichtsentscheid längerfristig auf bisher obligatorische Lager und Aktivitäten der Volksschule auswirken wird, ist offen. Die Befürchtung aber ist gross, dass er zu einem weiteren Rückgang der Klassenlager führen könnte. So sind im Kantonsparlament von Basel-Landschaft gleich zwei Vorstösse eingereicht worden, welche die Durchführung von Lager- und Projektwochen sowie von Austauschprogrammen gefährdet sehen. Solche Anlässe hätten erwiesenermassen «einen positiven Effekt auf die Entwicklung kultureller und sozialer Kompetenzen», schreibt Landrat Roman Brunner (sp.) in seiner Interpellation, und auch die CVP/BDP-Fraktion wehrt sich dafür, dass die Lager «nicht dem Rotstift zum Opfer fallen».

Gleiches gilt für den Kanton Bern, wie Regierungspräsident und Erziehungsdirektor Bernhard Pulver erklärt: «Es wäre sehr bedauerlich, wenn sich die Gemeinden und Schulen künftig entschliessen würden, auf diese Dienstleistung zu verzichten.» Pulver hofft, dass die Schulen «ihre pragmatische Vorgehensweise fortsetzen» und weiterhin Klassenlager anbieten, sei dies doch «eine wichtige Aufgabe mit hohem pädagogischem, sozialem und gesundheitsförderndem Wert».

Eine Möglichkeit besteht darin, die Lager nicht mehr als obligatorisch zu erklären und freiwillige Elternbeiträge einzuziehen, wobei weniger gut betuchte Eltern finanziell unterstützt werden. Einen kreativen Ansatz verfolgten Primarschüler im Kanton Aargau, indem sie eine Schülerzeitung realisierten und verkauften, um das Schullager zu finanzieren. Einen Anreiz setzt auch Groups Swiss, die Branchenorganisation der Schweizer Gruppenunterkünfte, die rund 650 Unterkünfte im Land vermittelt. Sie hat bei den Schulklassen einen Wettbewerb ausgeschrieben: Wer bis zum 31. Januar möglichst originelle Gruppenunterkünfte zeichnet und einsendet, gewinnt zwölf Gratisaufenthalte. «Wir spüren, dass die Lehrpersonen mit neuen Buchungsanfragen zuwarten und vor allem die definitiven Buchungen zurückstellen», sagt Groups-Geschäftsleiterin Christina Aenishänslin.

Bessere Verteilung erhofft

Auch im Kanton Graubünden, wo unzählige Skilager durchgeführt werden, geben diese zu reden, wenn auch aus einem anderen Grund. Ein Vorstoss im Grossen Rat beklagt, dass die zeitliche Festlegung der Lager und Sportwochen in den anderen Kantonen zu wenig koordiniert erfolge. Das führe in den Wintersportorten zu einer Ballung der Nachfrage vor allem im Februar: Die Kapazitäten reichten in dieser Zeit nicht aus, während im Januar und März ein «Loch» entstehe. «Tatsächlich täte schon seit Jahrzehnten eine bessere Staffelung der Skilager not», sagt auch Christina Aenishänslin. Der Schneemangel habe in den letzten Jahren eine zusätzliche Konzentration auf die Saisonmitte gebracht.
Die Bündner Regierung hat sich hinter den Vorstoss gestellt und konstatiert ebenfalls eine «suboptimale Nutzung der Ressourcen». Sie will die einzelnen Bedürfnisse analysieren und anschliessend bei der Erziehungsdirektorenkonferenz einen Vorstoss unternehmen. 


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