23. Januar 2018

Homeschooling im Aufwind

Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder nicht zur Schule schicken, sondern zuhause selbst unterrichten. Und nehmen dafür einiges auf sich.

Homeschooling boomt trotz manchen Vorbehalten, Tageswoche, 20.1. von Jeremias Schulthess


Die Familie S. wohnt in Basel-Stadt und schickt ihre Kinder nicht zur Schule. Dafür muss sie jedes Jahr 4000 Franken Bussgeld bezahlen – 1000 Franken pro Kind und ebenso viel pro Elternteil.

Warum tun sich die Eltern das an? Es sei eine Lebenseinstellung, die dahinterstecke, sagt die Mutter. Ihre Kinder sollen nicht mit Zwang und nach fixem Programm lernen. «Die Schule bietet nicht die Möglichkeit, auf jeden Einzelnen einzugehen.»
Für den Präsident des Lehrerverbands Schweiz, Beat Zemp, ist das, was die Familie S. tut, ein «radikaler Weg». Homeschooling-Eltern suchten häufig die «totale Kontrolle über ihr Kind». Denn zuhause könnten die Eltern ihren eigenen Erziehungsstil leben, ohne von der Aussenwelt belangt zu werden. Zemp schätzt, dass «sich Leute vor allem aus religiösen oder ideologischen Gründen» für Homeschooling entscheiden. «Es können ehrbare Motive dahinterstecken, aber auch solche, die man durchaus hinterfragen kann.»

Der Verzicht auf Schule ist in der Schweiz ein Randphänomen. Eine Studie zählte in der Schweiz 2012 rund 500 schulpflichtige Kinder, die nicht zur Schule gingen.
Doch Homeschooling sei etwas, das immer mehr Eltern in Betracht ziehen würden, erklärt Martina Miedaner, die ihre Kinder ebenfalls nicht zur Schule schickt und die Eltern berät, die Homeschooling machen möchten. Sie spricht von einem «Phänomen, das immer mehr Leute beschäftigt».

Elternverbände bestätigen den Trend

Ähnliches berichten zwei Schweizer Elternverbände. Pia Amacher von der Elternlobby Schweiz sagt, die Anfragen von Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken möchten, «nehmen derzeit extrem zu».

Willi Villiger vom Verein «Bildung zuhause» bestätigt den Trend. Sein Verein hilft explizit Eltern, die Homeschooling praktizieren wollen. Villiger spricht von einem «steten, jedoch keineswegs ungestümen Wachstum». Die Mitgliederzahl des Vereins habe sich innerhalb der letzten sechs Jahre von 200 auf etwa 600 Eltern verdreifacht.

Das Erziehungsdepartement (ED) Basel-Stadt kann die Entwicklung nicht bestätigen – wohl auch deshalb, weil der Kanton das Gesetz für Privatunterricht restriktiv handhabt und Eltern aus dem Kanton wegziehen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen. In Basel-Stadt ist Homeschooling nämlich grundsätzlich verboten. Bewilligt wird Privatunterricht nur, wenn «besondere Gründe vorliegen, dass ein Unterrichtsbesuch nicht möglich ist».

In Baselland weniger restriktiv

Privatunterricht kann der Kanton zum Beispiel bei einem Kind mit chronischer Krankheit bewilligen. Möglich ist der Privatunterricht aber auch dann nur über ein Jahr hinweg. Eltern, die länger zu Hause unterrichten wollen, müssen über ein Lehrerdiplom verfügen.
2017 verzeichnete das ED fünf Gesuche für Privatunterricht, wovon keines bewilligt wurde. Die Zahl der Gesuche sei «immer etwa gleich hoch», sagt Departementssprecher Simon Thiriet.

Volksschulleiter Dieter Baur erklärt, warum der Kanton das Homeschooling restriktiv handhabt:
«Homeschooling kann als zeitlich befristete Lösung in Einzelfällen Sinn machen. Abgesehen davon bin ich aber ein Verfechter der Schulpflicht. In einer Schule erleben die Kinder einen wertvollen Austausch mit Gleichaltrigen. Schule besteht nicht nur aus Lernen und Hausaufgaben, sondern sie ist auch ein soziales Konstrukt. Zuletzt werden Kinder von ihren Eltern immer mit einer speziellen Optik beurteilt. Das ist zweifellos richtig und gut so, nur ist für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auch der Kontakt zu anderen Bezugspersonen wie beispielsweise Lehrpersonen extrem wichtig.»

Für einmal liberaler zeigt sich bei diesem Thema der Nachbarkanton Baselland. Pia Amacher von der Elternlobby Schweiz kennt dort Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, ohne dass sie dafür eine Busse bezahlen müssen.


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